Im Stadion mit den teuersten Preisen der Premier League erreicht der Unmut über die Transferpolitik eine neue Stufe. «Spend some fucking money!» schallte es Arsène Wenger nach der Heimniederlage zum Saisonauftakt von zornigen Fans entgegen. Der Arsenal-Trainer gibt sich pikiert und uneinsichtig.
Die ersten 90 Minuten einer Saison eignen sich normalerweise nicht für abschliessende Bewertungen, aber der Arsenal Supporters Trust (AST), ein Dachverband von Fans und Kleinaktionären des Londoner Vereins, hatte am Samstag genug gesehen.
Nach der 1:3-Heimniederlage gegen Aston Villa zum Start der Premier League verlangte AST in einem offenen Schreiben den sofortigen Stopp der Gespräche über eine Vertragsverlängerung mit Trainer Arsène Wenger über den kommenden Sommer hinaus. «Wir halten das Angebot eines neuen Vertrages für unangebracht», hiess es in dem Communiqué.
Den Zorn der Basis im Norden der Hauptstadt erregte weniger das Ergebnis als die enervierende Transferpolitik der vergangenen Monate. Während sich die Konkurrenz in der Liga zum Teil sündhaft teure Neuzugängen einverleibte, unterschrieb bei Arsenal nur der 20-Jährige Stürmer Yaya Sanogo (ablösefrei, vom Zweitligisten Auxerre) – trotz eines von Geschäftsführer Ivan Gazidis gross angekündigten Investitionsprogramms.
«Eskalation der finanziellen Feuerkraft»
Der amerikanische Funktionär sprach im Juni von einer «Eskalation der finanziellen Feuerkraft» des traditionell profitabel und vorsichtig agierenden Clubs. Die in Richtung Gonzalo Higuaín (Real Madrid/Napoli), Lars Bender (Leverkusen), Luis Suárez (Liverpool) und Luiz Gustavo (Bayern/Wolfsburg) abgegeben Schüsse verfehlten jedoch allesamt das Ziel.
So eskaliert in dem seit acht Jahren auf einen Titel wartenden Emirates-Stadion nur der Unmut über Wengers unerklärliche Abschlussschwäche auf dem Transfermarkt. «Spend some fucking money!» hallte es nach dem Schlusspfiff mal wieder durch das Rund.
«Wichtige Fragen zu der Art und Weise, wie bei Arsenal Spieler identifiziert, eingestellt und entlohnt werden bleiben offen,» schrieb AST. An den verfügbaren Mitteln fehlt es jedenfalls nicht: der Verein bestätigte indirekt, dass mindestens 80 Millionen Euro für Neuverpflichtungen bereit stünden.
Die Diskrepanz zu den teuersten Eintrittspreisen
Dass an der Holloway Road die teuersten Eintrittspreise Grossbritanniens gezahlt werden, lässt Arsenals zauderhaftes Transfergebaren noch rätselhafter erscheinen. Darüberhinaus wäre nach der Verabschiedung von 17 Ergänzungs- und Nachwuchsspielern ein Nachrüsten in allen Mannschaftsteilen akut notwendig. Gegen Villa hatte Wenger bereits Mühe, die Bank vernünftig zu besetzen.
Und auch beim imminent wichtigen Champions-League-Playoff-Hinspiel gegen Fenerbahce am Mittwochabend muss der Elsässer auf viele verletzte Stammkräfte (Mikel Arteta, Thomas Vermaelen, Alex Oxlade-Chamberlain, Abou Diaby, Nacho Monreal) verzichten. Per Mertesacker wird, wie beim Saisonauftakt, in Istanbul die Captainbinde tragen.
«Die Leute sagen, ‚kauf‘ Spieler, kauf‘ Spieler, kauf‘ Spieler‘. Aber wen?» fauchte der sichtlich gereizte Coach am Wochenende. «Wir analysieren jeden einzelnen Spieler auf der Welt und arbeiten 24 Stunden am Tag. Wenn wir keine Spieler kaufen, dann nur, weil wir keine finden.»
Das Problem der fehlenden Gewaltenteilung
Vereinsinsider sprechen von sehr langwierigen Entscheidungsprozessen, während deren die schnelleren Rivalen Arsenal die Wunschneulinge ausspannen. Dazu gesellt sich eine gewisse Sturheit: der einst für sein Scouting-Knowhow gefeierte Wenger hat sehr präzise Vorstellungen vom «objektiven» Transferwert eines Spielers und weicht ungern davon ab.
Das grösste Problem ist jedoch die fehlende Gewaltenteilung bei den Gunners. Es gibt keinen Sportdirektor, der Wenger die Arbeit abnehmen würde – und niemanden im Verein, der ihn notfalls zu seinem Glück zwingen könnte. Eigentümer Stan Kroenke aus den USA mischt sich nicht ins Tagesgeschäft ein. Der blasse Gazidis fungiert in der Praxis als Angestellter von Wenger, obwohl es umgekehrt sein müsste.
«Die Misswirtschaft und fehlenden Investitionen in den Kader sind unverzeihlich», schrieb am Dienstag der Wenger zuvor sehr lange treu gebliebene Reporter des «Daily Mirror». Selbst die Mannschaft wird langsam unruhig.
«Meiner Meinung nach brauchen wir noch einen Stürmer, eine namhafte Verpflichtung könnte unser Spiel verändern », sagte der französische Torjäger Olivier Giroud. Kollege Lukas Podolski, am Samstag nur ein paar Minuten auf dem Platz, kommt unter Wenger nur auf dem linken Flügel zum Einsatz.
Nach der Schelte der Aktionismus
Aufgeschreckt vom Villa-Resultat und dem verheerenden Publikumsecho gab Wenger am Montag Angebote für Newcastle Uniteds Mittelfeldspieler Yohan Cabaye und Paul Pogba (Juventus) ab – allerdings zu Konditionen, die von beiden Vereinen sofort als inakzeptabel zurückgewiesen wurden.
Für den Trip ins Şükrü Saracoğlu kommt die plötzliche Dringlichkeit sowieso zu spät. «Wenn wir auf den Eiffelturm steigen und Geld runter schmeissen, können wir trotzdem nur mit den Spielern spielen, die wir momentan haben», sagte Wenger vor dem Abflug in die Türkei trotzig.