Die Ausschreitungen nach dem Spiel zwischen Borussia Dortmund und RB Leipzig verurteilen alle. Die Kritik am Kommerz des Dosen-Vereins wird nicht abebben. Die Anfeindungen waren auch keine Ausnahmen, sie sind aus Leipziger Sicht die Regel.
Vielleicht wäre es manchmal besser, man würde Fans fragen, wie bei Fussballspielen die Sicherheit zu organisieren sei. Zumindest ist diese Ansicht bei den Fans von RB Leipzig gerade sehr oft zu hören.
Die Frage, ob 1000 Leipziger Fans, die einem Sonderzug in Stadionnähe entsteigen, auswärts von einem massiven Polizeiaufgebot begleitet werden sollen, hätten ganz sicher 99 Prozent der Menschen bejaht, die eine Dauerkarte in einer Bundesliga-Fankurve haben – und 100 Prozent der Leipziger Fans.
Die Dortmunder Polizei kam zum gegenteiligen Schluss und verzichtete auf eine strikte Fantrennung – offenbar, weil sie nach Schema F vorging. Im Regelfall wird das Polizeiaufgebot vor allem daran ausgerichtet, mit wie vielen gewaltbereiten Fans man auf beiden Seiten rechnet. Lokalderbys oder Begegnungen zwischen Vereinen mit vielen gewaltbereiten Anhängern werden also von weit mehr Beamten geschützt, als wenn Augsburg auf Werder Bremen trifft.
Nun kann man natürlich mit gutem Grund fragen, ob nicht vielmehr diejenigen den Fussball zerstören, die auf Frauen und Kinder einprügeln, oder – wie vergangene Saison in Dresden geschehen – einen abgetrennten Ochsenkopf über den Zaun auf den Rasen werfen. Doch glaubt man den Aussagen der Leipziger Fans, sind Anfeindungen bei ihren Auswärtsspielen eher die Regel als die Ausnahme.
Eigentlich soll mit der Regel verhindert werden, dass Investoren die Geschicke der Vereine lenken, indem sie sich die Stimmenmehrheit erkaufen. Bei RB sind die nur 14 stimmberechtigten Mitglieder allerdings mehrheitlich von Red-Bull abhängig, die Macht der Konzernzentrale ist unbegrenzt. Für die Kritiker ist das genauso skandalös wie die Tatsache, dass das Vereinslogo fast identisch mit dem Firmenlogo ist.
Aus diesem Grund verzichtet der FC St. Pauli darauf, das Wappen auf seiner Homepage zu platzieren. Die Medienstellen vieler Vereine verweigern der «Leipziger Volks Zeitung» Interviews mit ihren Spielern vor den Partien gegen RB. Und prominente Manager – Schalkes Christian Heidel oder auch BVB-Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke beispielsweise – sparten nicht mit Kritik an den Neureichen. Kleinere Vereine, fürchten die Manager, könnten schon bald keine Chance mehr haben, sich in der ersten Liga zu behaupten, weil deren Plätze von millionenschweren Emporkömmlingen okkupiert werden.
Eine Umfrage des «kicker» ergab allerdings kürzlich, dass fast zwei Drittel der Befragten RB als «Bereicherung» empfinden – tatsächlich spielt RB attraktiven Fussball, hat ein junges Team beisammen und könnte mittelfristig die einzige Mannschaft sein, die der Übermacht der Münchner Bayern etwas entgegensetzen kann.
Nahezu einhellig ist in Deutschland derweil die Verurteilung der Gewaltexzesse von Dortmund. Dort traten enthemmte Menschen auf wehrlose Opfer ein, selbst eine Rollstuhlfahrerin wurde attackiert, ehe Dortmunder (!) Fans sie in Sicherheit brachten.
Die Leipziger glauben nicht, dass es einfacher wird für sie nach diesen Ereignissen.
Der Einsatzleiter, ein erfahrener Polizist, liess sich von seiner Medienstelle ganz bewusst mit der Aussage zitieren, er habe «in hasserfüllte Fratzen» geblickt und so etwas «noch nie erlebt». Es waren nach Polizeiaussagen die Fratzen von gewaltbereiten Ultras und deren Umfeld.
Es waren aber auch die Fratzen von Hunderten «ganz normaler» Dortmunder Zuschauer, deren Dauerkarte auf zum Teil sehr teure Plätze verwiesen. Jakob Grudzinski, Verantwortlicher des Fanprojekts Leipzig, glaubt denn auch nicht, dass die kommenden Auswärtsspiele harmonischer ablaufen werden – er hofft allerdings auf eine besser vorbereitete Polizei. «Der Hass ist so gross, dass daran auch die Ereignisse vom Wochenende nichts ändern werden.»