Als Roger Federer vor rund einem Monat auf dem Stuttgarter Weissenhof sein erstes Saisonspiel auf Rasen verlor, gegen den alten Freund Tommy Haas, geriet der grosse Plan des Maestros ein wenig ins Stocken. War der Verzicht auf die gesamte Sandplatzserie nicht eine Zockernummer, ein zu grosses, unkalkulierbares Risiko? Würde die mangelnde Matchpraxis nicht auch zum Verhängnis bei den weiteren Prüfungen auf den Tennis-Grüns?
Doch nun, Mitte Juli, da es auf die Zielgerade des Grand-Slam-Spektakels in Wimbledon geht, beim Turnier der Turniere im Welttennis, hat Federer sich selbst und seinen besorgten Parteigängern die Antwort gegeben – und wie.
Mit unnachahmlich magischem Touch, körperlicher Frische und imponierender Willenskraft spielte sich der 35-jährige Familienvater bisher mühelos durch die Wettbewerbsrunden: Nichts und niemand konnte ihn, den bisher siebenmaligen Champion der Internationalen Englischen Meisterschaften, auf dem Weg zum Traumziel stoppen. Zum achten Titel, zur neuen Rekordmarke, zur Vollendung auch des Aufschwungs in den späten Karrierejahren.
Teil der Wimbledon-Geschichte
«Ich spüre hier wieder eine aussergewöhnliche Inspiration», sagte Federer nach seinem Drei-Satz-Erfolg im Viertelfinale gegen den Kanadier Milos Raonic, «es ist auch das Gefühl, ein grosser Teil der Wimbledon-Geschichte zu sein, das mich antreibt.»
Wer soll, wer kann den dynamischen, alterslos scheinenden Federer noch stoppen bei dieser historischen Titelmission? Als Nächster muss es der Tscheche Tomas Berdych versuchen, aber wie so viele Kollegen hat auch er eine frustrierende Arbeitsbilanz gegen den Schweizer, genau genommen lautet sie 6:18. Immerhin einmal, im Jahr 2010, gewann er hier in Wimbledon ein Duell mit dem Rasenflüsterer. «Roger ist in brillanter Form. Ich muss das Spiel meines Lebens spielen, um gegen ihn zu gewinnen», sagte Berdych.
Nach seinem famosen Saisonstart liess sich Federer nicht dazu verleiten, weiter auf der Erfolgswelle zu surfen.
Genau das ist derzeit die Hausaufgabe für jeden Mitbewerber, wenn es gegen den überragend auftrumpfenden Federer geht. Gegen einen Mann, der in seiner strategischen Planung wieder einmal alles richtig gemacht hat. Nach seinem famosen Saisonstart mit den Siegen in Melbourne, Indian Wells und Miami liess sich Federer nicht dazu verleiten, einfach weiter auf der Erfolgswelle zu surfen.
Er nahm sich stattdessen die nächste längere Pause, liess die Konkurrenz auf den Sandplätzen schuften und ackern – und feilte selbst an der spezifischen Vorbereitung für die Zeit auf den Tennis-Grüns. Er weiss, dass er seinem Körper im fortgeschrittenen Alter nicht mehr die Strapazen zumuten darf, die er noch vor fünf oder zehn Jahren weggesteckt hatte. «Die Leistungssteuerung war ganz klar ausgelegt: Ich wollte mein bestes Niveau in der zweiten Wimbledon-Woche erreichen. Da wollte ich topfit sein», sagt Federer.
Ohne Satzverlust ins Halbfinal
Nun ist die Punktlandung da. Der Volltreffer für Federers Überlegungen, wie er sich noch einmal den begehrtesten aller Tennis-Titel sichern könnte, fünf Jahre nach dem Sieg in den Ausscheidungsspielen 2012. Während die anderen aus der Elitetruppe der Big Four strauchelten und teils unter Verletzungsproblemen litten, stürmte der Maestro ohne Satzverlust ins Halbfinale vor.
Angstschweiss musste er bisher noch nicht vergiessen, nicht einmal gegen den Gewaltaufschläger Raonic, dem er voriges Jahr in der Vorschlussrunde unterlegen war. Federer ist im Flow, er profitiert auch von dem Selbstbewusstsein, das ihm der Gewinn des neunten Titels bei seinem geliebten Vorbereitungsturnier in Halle mit auf den Weg an die Church Road gegeben hatte. «Es läuft eigentlich alles so, wie ich mir das vorgestellt hatte», sagt Federer.
Federer bestritt am Mittwoch sein schon 100. Wimbledon-Match, er ist nun auch der zweitälteste Halbfinalist seit dem Australier Ken Rosewall (1974). Aber niemand sieht dem «ewigen Gärtner von Wimbledon» («The Telegraph») im Hier und Jetzt das fortgeschrittene Alter an. Viel fehlt nun nicht mehr zu seinem nächsten Coup: «Es wäre eine unglaubliche Sache», sagt Federer. «Mein Traum lebt.»