Die Fussballwelt schaut nach Zürich, wo die Fifa sich an diesem Freitag reformieren und einen neuen Präsidenten wählen will. Ein Überblick, um was es geht.
Um was geht es eigentlich der ausserordentlichen Zusammenkunft der 209 Mitgliedsverbände der Fifa?
Wenn am Freitag um 9.30 Uhr der Fussball-Konvent im Zürcher Hallenstadion eröffnet wird, geht es erst einmal um ein sogenanntes Reformpaket. Das soll die Grundlage für eine neue Zeitrechnung im bis zur Halskrause im Skandalsumpf steckenden Weltverband sein. Nachmittags wird dann zur Wahl geschritten, um einen neuen Präsidenten zu bestimmen.
» Wer sich noch einmal näher mit der der Fifa und mit ihrer Skandalchronik beschäftigen will – die Dokumentation bei Arte (95 Minuten)
Wird mit den Reformen jetzt alles besser?
Das möchte man mit einem klaren Jein beantworten. Die Fifa selbst nennt es «einen Meilenstein der Geschichte», aber Papier ist geduldig, und mit Leben müssen es die Funktionäre der Fifa füllen. Eine Spezies, für die die «Süddeutsche Zeitung» gerade die Wortneuschöpfung «Korruptionäre» gefunden hat.
Bei den Reformen geht es im weitesten Sinne um das, was man unter «Good Governance» versteht – also darum, seinen Laden sauber zu führen. Die Fifa nennt das «eine neue Transparenz- und Rechenschaftskultur». Die wichtigsten Punkte, die die Fifa unter dem massiven Druck nicht zuletzt staatlicher Ermittlungen (Schweizer Bundesanwaltschaft, US-amerikanische Justiz) ändern will:
- Das Präsidentenamt unterliegt künftig einer Amtszeitbegrenzung von maximal drei Amtszeiten à vier Jahre – das ist eine Lehre aus der Ära Joseph Blatter, der so lange am Präsidentenstuhl klebte, bis er die Institution Fifa an den Rand des Abgrunds geführt hatte.
- Der Präsident wird nicht mehr die Machtfülle besitzen wie Blatter und seine Vorgänger. Das Council (in dem der Präsident eine von 36 Stimmen hat) wird keine geschäftsführende Funktion mehr haben und wie ein Aufsichtsrat für das Generalsekretariat wirken, das die Geschäfte führt. Dem Präsident selbst wird eine mehr repräsentative Rolle zukommen. Die Fifa nennt das «eine klare Gewaltenteilung».
- Die Vergütung für die Tätigkeit des Präsidenten soll künftig offengelegt werden, ebenso das Gehalt des Generalsekretärs und anderer hoher Funktionsträger
- Das Exekutivkomitee mit seinen 24 Mitgliedern – wahrscheinlich eine der am schlechtesten beleumundeten Ansammlungen von Funktionären auf der grossen weiten Welt – gibt es künftig nicht mehr. An dessen Stelle tritt ein Rat, Council genannt – mit 36 Mitgliedern. Jeder Kontinentalverband muss neu mindestens eine Frau in den Fifa-Rat entsenden. Passiert das nicht, bleibt der Platz unbesetzt. Der Rat bestellt den Generalsekretär.
- Wer in diesen Rat will, muss a) von seinem Kontinentalverband gewählt werden und b) einen Integritätscheck bestehen, den die Fifa durch eine unabhängig besetzte Prüfungskommission vornehmen lässt.
- Der massiv überarbeitete Statuten-Entwurf der Fifa sieht weiter vor, dass die unübersichtliche Flut von Kommissionen (bisher 26) auf neun eingedämmt wird. Ausserdem ist neu in einem eigenen Artikel festgehalten: «Die Fifa bekennt sich zur Einhaltung aller international anerkannten Menschenrechte und setzt sich für den Schutz dieser Rechte ein.» Um die Mitgliedsverbände stärker einzubinden, finden künftig mindestens jährlich Konferenzen mit allen Verbänden statt.
Die neue Sitzverteilung der Fifa: Links das Exekutivkomitee alten Zuschnitts mit seinen 24 Mitgliedern, rechts das Council mit seinen 36 Sitzen. Fifa-Kongress 2016
Bleibt auch etwas unverändert?
Die Vergabe der Weltmeisterschaften. Erst 2013 war beschlossen worden, dass diese weitreichende Entscheidung nicht mehr dem als zu korruptionsanfällig angesehenen Exekutivkomitee obliegt, sondern der Vollversammlung der 209 Verbände. Was das nach der höchst umstrittenen Doppelvergabe der WM 2018 (Russland) und 2022 (Katar) ändern soll, ist noch nicht klar. Der Stimmenkauf wird wahrscheinlich bloss aufwändiger und teurer.
Welche Chance hat das Reformpaket?
Um bei den Ermittlungen der US-Justiz nicht endgültig als mafiöse Vereinigung zu gelten, werden die Reformen als überlebensnotwendig erachtet. Das wurde den Konföderationen klar gemacht, und zuletzt hat das Exekutivkomitee – also diejenigen, die nach den Verhaftungswellen noch übrig sind – dringend Zustimmung empfohlen. Dazu ist beim Konvent in Zürich immerhin eine Dreiviertelmehrheit nötig.
Wie ernst es den Vätern dieses Papiers ist (dazu gehört auch der in Oberwil/BL domizilierte Pharma-Manager Domenico Scala), zeigt, dass die Reform als Paket zur Abstimmung kommt. Erste Anläufe, die vom Basler Strafrechtsprofessor Mark Pieth initiiert worden waren, scheiterten 2013 nicht zuletzt am Widerstand aus der Europäischen Fussballunion Uefa heraus.
Und wer wird nun neuer Fifa-Präsident?
Mit dem Scheich aus Bahrain lassen sich im Wettbüro mit einem Franken Einsatz fünfzig Rappen gewinnen, mit dem Mann aus Brig immerhin fast zwei Franken. Vertraut man den Buchmachern, haben also die drei anderen Kandidaten keine Chance. Und das heisst: Entweder kommt der Chef des Weltfussballverbandes weiterhin aus dem Wallis und untermauert damit den europäischen Einfluss, oder er wird erstmals von der asiatischen Konföderation gestellt.
Das Kandidatenkarussell (von links oben): Prinz Ali Bin Al Hussein, Gianni Infantino, Scheich Salman bin Ebrahim Al Chalifa, Tokyo Sexwale und Jérôme Champagne. (Bild: Keystone)
Die (von einer Prüfungskommission für okay befundenen) Kandidaten:
Salman bin Ebrahim Al Chalifa
50 Jahre alt, Mitglied der Königsfamilie von Bahrain und seit drei Jahren Präsident des asiatischen Kontinentalverbandes. In dieser Position erwarb er sich Respekt, was man von seiner Rolle bei der blutigen Niederschlagung des arabischen Frühlings in Bahrain nicht sagen kann. Es wird behauptet, er sei an Repressionen gegen Fussballer seines Landes beteiligt gewesen. Das bestreitet Salman aufs Heftigste. Mit dem neuen Menschenrechts-Anstrich der Fifa will das nicht richtig zusammenpassen. Dennoch gilt er als aussichtsreichster Anwärter, da er allein aus Asien (46) und Afrika (54) einen Grossteil der Stimmen auf sicher haben soll.
Gianni Infantino
45 Jahre alt, stammt aus Brig und damit nur ein paar Torwartabschläge von Blatter-Town Visp. Hat sich in der Uefa bis zum Generalsekretär hochgearbeitet und pflegt nicht nur den selben Dialekt wie Blatter, sondern auch ein paar von dessen Floskeln (Fussballfamilie, Welt retten etc.). Kam wie die Jungfrau zum Kind, weil es Michel Platini, seinem Uefa-Präsidenten, den Boden unter den Füssen weggezogen hat. Der Franzose, der als aussichtsreichster Anwärter gegolten hatte, ist mit Sepp Blatter über ein Zwei-Millionen-Euro-Gentlemen-Agreement aus der Fifa-Kasse gestolpert. Infantino, ganz Apparatschik, hat die alte Blatter-Methode im Wahlkampf angewendet: Den Verbänden mehr Geld versprochen. Kann man machen, wenn man es hat. Und die WM will er von 32 auf 40 Teilnehmer und damit auch zeitlich ausweiten. Eine Idee, die vor allem die grossen, einflussreichen Ligen nur mässig sexy finden.
Prinz Ali bin Hussein
40 Jahre alt, der vierte Sohn des verstorbenen Königs von Jordanien, Hussein I. Beim Kongress 2015 erreichte der Prinz – von den Europäern portiert – 73 Stimmen im ersten Wahlgang gegen Blatter. Diesmal wird er als chancenlos eingestuft.
Jérôme Champagne
57 Jahre, Franzose und ein alter Fahrensmann im Fussball und im Weltverband. Der Berufsdiplomat hat schon 2012 ein Positionspapier zu Strukturveränderungen in der Fifa in die Welt gesetzt, gilt trotz jahrelanger Dienste für die Fifa (stellvertretender Generalsekretär von 1999 bis 2010) als integer, lässt allerdings nichts auf Sepp Blatter kommen. Mit ihm würde die WM bei 32 Teilnehmern bleiben – helfen wird ihm das nicht.
Tokyo Sexwale
62 Jahre, Südafrikaner und an der Seite von Nelson Mandela Anti-Apartheidskämpfer. Später ist Sexwale (gesprochen: Sekuale) mit Edelsteinhandel steinreich geworden. Er ist ein Beckenbauer-Freund und aus dem Nichts Kandidat auf den Fifa-Vorsitz geworden. Da nicht mal der afrikanische Kontinentalverband geschlossen hinter ihm steht, werden seine Chancen gegen Null verortet.
Wie läuft das Wahlprozedere?
Im ersten Wahlgang ist eine Zweidrittelmehrheit nötig (140 der 209 Stimmen, falls denn alle Verbände einen Delegierten geschickt haben). Danach reicht die absolute Mehrheit (105 Stimmen), und falls nötig scheidet bei jedem Wahlgang der Kandidat mit den wenigsten Stimmen aus.
Die meisten Beobachter gehen von folgendem Szenario aus: Scheich Salman bin Ebrahim Al Chalifa wird Präsident und sorgt dafür, das Infantino der neue, mächtige Generalsekretär wird. Ob daraus dann die vielbeschworene Zeitenwende im Fussball-Weltverband wird, darf durchaus bezweifelt werden.
Die sechs Kontinentalverbände der Fifa, die Anzahl ihrer Mitgliedsverbände und den demenstsprechenden Stimmen bei der Vollversammlung.
Und was macht der Blatter Sepp?
Weint irgendwo eine Träne. Wenigstens einen beifallumtosten Abgang von der Bühne, die seine Welt bedeutete, hätte er sich noch gewünscht. Und nun? Suspendiert, gesperrt, geschmäht und im Visier der Strafverfolgungsbehörden. Muss man Mitleid haben mit Blatter? Sicher nicht. Denn er hat es zugelassen, dass die Fifa an ihrer Funktionärsspitze zu einem tiefen Sumpf geworden ist. Er wäre mal besser nach der WM 2014 zurückgetreten, hat der ebenso machtbesessene wie -besoffene Blatter unlängst mal gesagt. Tja, Sepp, zu spät.
Game over: Sepp Blatter, hier in einer berühmt gewordenen Szene, als er bei einer Medienkonferenz am Fifa-Hauptsitz in Zürich im Juli 2015 mit einem Bündel Spielgeld beworfen wird. (Bild: Reuters/ARND WIEGMANN)