Der FC Basel hat sich auf die Fahne geschrieben, mehr auf den eigenen Nachwuchs zu setzen. Gleichzeitig lanciert der Schweizer Fussballverband (SFV) ein neues Ausbildungszertifikat für Schweizer Fussballclubs. Mit einem Anforderungskatalog, den der FC Basel bereits weitgehend erfüllt. Auch wenn die Resultate der ersten Mannschaft derzeit immer wieder mal ernüchtern, in Sachen Nachwuchsarbeit ist der FCB Spitzenreiter.
Dass sich der FC Basel 1893 bald «Leistungszentrum» nennen darf, liegt auch an Roland Heri. Der Informatiker ist Sportkoordinator und Mitinitiant der Abteilung Leistungsdiagnostik im Nachwuchsbereich. Eine Funktion, die sich an das Berufsfeld des klassischen Konditionstrainers anlehnt und dessen Kompetenz um datenbasierte Erkenntnisse ergänzt.
Technische Mittel haben zu ganz neuen Ansätzen im professionellen Nachwuchsfussball geführt. Heri sagt: «Kein Fussballverein mit Ambitionen wird in Zukunft auf Leistungsdiagnostik verzichten können.» Grund genug einmal nachzufragen: Was tut sich eigentlich in der Leistungsdiagnostik?
Den Ferrari aus der Garage geholt
Auf dem Nachwuchscampus des FC Basel trainieren die Jugendlichen ab Stufe U15 mit einem Brustgurt. Dieser sammelt Daten aus den Trainingseinheiten. Möglich ist das auf dem Feld 11 und dem Kunstrasenplatz.
LPMS heisst das System. Das steht für Local Positioning Measurement System und bedeutet: Laufwege und Bewegungsradien, Topspeeds bei Sprints und Positionswechsel – nichts bleibt den Messposten am Spielfeldrand verborgen.
Beim FC Basel sprach man lange nur vom «Ferrari in der Garage» – ein Luxusding von ungeahnter Wirkungskraft. «Eine Hymne auf die Weitsicht von Frau Oeri!», sagt Roland Heri heute auf der FCB-Geschäftsstelle oben im Glasturm. «Sie hat uns diese Technik beim Bau des Campus zur Verfügung gestellt.»
Kostenpunkt für Software, Kameras, Licht und Computer: rund eine Million Franken. Doch die Sensoren blieben nach der Campus-Eröffnung 2013 erst einmal aus. «Wir ahnten damals nur unscharf, was mit dem LPMS anzustellen sei», gibt Heri zu.
Vor zwei Jahren fuhr der FCB den Ferrari schliesslich aus der Garage. Er investierte in Auswertungstechnik und Personal und nahm das LPMS in Betrieb. Seither schreitet die Aufrüstung munter voran: 2016 entwickelte der Club in Partnerschaft mit der Swisscom die FCB-Nachwuchs-App, eine Art zentralen Datenspeicher. Hier können Trainer und Personal sämtliche Daten einsehen, die das LPMS und andere Messstationen von den einzelnen Nachwuchsspielern erfasst haben.
Zwischen Glaskugel und Frühwarnsystem
Für eine professionelle Leistungsdiagnostik braucht der Verein nicht nur den technischen Apparat, bestehend aus Messsystemen, Software und Servern. Dazu kommen auch wissenschaftlich geschultes Personal, Datenanalysten und Konditionstrainer. Diese entwickeln auf Grundlage der Daten individuelle Trainingspläne.
Der FC Basel hat sich diese Infrastruktur zusammen mit der Stiftung Nachwuchscampus geleistet. Vor vier Jahren hat er in der Nachwuchsabteilung mit dem Datensammeln begonnen, und jetzt geht es darum, die Datenströme in Zählbares umzuwandeln. Welche muskulären und konditionellen Voraussetzungen hat ein Spieler mit 15 Jahren erfüllt, der sich nun mit 18 Jahren zu einem potenziellen Innenverteidiger für die erste Mannschaft entwickelt hat? Die ersten Erkenntnisse wurden im Datenspeicher inzwischen gefunden.
«Keine Software kann Persönlichkeit vermessen.» – Roland Heri, Sportkoordinator beim FCB
Darum geht es ja am Ende: Anhand vergleichbarer Leistungswerte möglichst früh zu erkennen, ob da ein nächster Breel Embolo heranwächst. Der Datenschatz der Leistungsdiagnostik ist Frühwarnsystem und Kristallkugel zugleich. Die erhobenen Leistungsdaten werden anhand von Algorithmen längerfristig immer neue Erkenntnisse generieren.
Da stellt sich die Frage: Birgt das nicht auch Risiken und Nebenwirkungen?
Was geschieht mit den Hakan Yakins der Gegenwart? Mit Spielern, deren Trainingsdisziplin auch mal im unteren Tourenbereich dreht, deren Pässe und Schüsse aber immer wieder Spiele entscheiden? Was geschieht mit den Genies ohne Sixpack, den Intuitiven, aber Langsameren? Fallen die im algorithmisch justierten Frühwarnsystem für Talente durch die Maschen?
«Niemals!» – Heri klopft energisch auf den Tisch. «Kampfgeist und Leidenschaft werden im Fussball immer vor der Digitalität stehen.»
«Charakter ist keine Ziffer»
Der Sportkoordinator weiss um die politisch anrüchige Vorstellung eines digitalen Überwachungsapparats, der dem Trainer die Aufstellung nach Leistungsdaten diktiert. «Die Leistungsdiagnostik alleine wird niemals bestimmen, ob ein Spieler zum Einsatz kommt oder nicht», sagt er, «aber die Leistungsdiagnostik stellt den Ausbildnern und ihren subjektiven Eindrücken eine objektive Einschätzung zur Seite.»
Die Spieler selbst beteiligen sich im Übrigen ebenfalls an ihrem Datenpaket. Sie schreiben nach jedem Training ihr subjektives Befinden in die App. «Kommt es dort zu groben Unterschieden zwischen der empfundenen Tagesform und den erhobenen Leistungsdaten, suchen die Ausbildner das Gespräch mit dem Talent», sagt Heri.
Da ist er wieder, der Begriff «Talent», der so gar nicht in den Kosmos der Zahlen passen will. Roland Heri, seit vielen Jahren im Bereich der Begabtenförderung beim FC Basel, versucht beides zusammenzubringen:
«Talent ist ein grosses Wort, das gerne inflationär verwendet wird. Zahlen können ein Indiz dafür liefern, dass da ein Talent heranwächst. Aber meiner Meinung nach darf man das Talent nicht nur im Umgang mit dem Ball bewerten. Die Persönlichkeit spielt eine entscheidende Rolle, und keine Software der Welt kann die vermessen. Charakter ist keine Ziffer.»