Nach dem Final-Triumph gaben sich die Sieger gelassen und die Verlierer flüchteten sich in Zukunftshoffnungen. Stimmen und Eindrücke nach der Demontage der Juve durch ein souveränes Real Madrid.
Diesmal konnte er die Tränen unterdrücken. Nicht wie bei der EM 2016, als Gianluigi Buffon das italienische Ausscheiden im Elfmeterschiessen gegen Deutschland so herzzerreissend beweinte. Diesmal war das Ergebnis wohl zu klar, 1:4 verlor Juventus Turin das Champions-League-Finale gegen Real Madrid. Und diesmal war es nicht die allerletzte Chance auf einen fehlenden Titel.
Aber geflucht, das hat Buffon, 39, schon. Vor allem nach dem Treffer zum 1:2 durch einen planlosen Brachialschuss von Reals Casemiro. Es war der zweite gefährliche Schuss auf sein Tor nach Cristiano Ronaldos Tor in der ersten Halbzeit, und zum zweiten Mal wurde der Schuss unhaltbar abgefälscht.
Das unromantischste Spiel, das es für einen Torwart geben kann
Da fiebern die Fussball-Romantiker der ganzen Welt also mit einer Torwartlegende. Dann erlebt die das unromantischste Spiel, das es für einen Torwart geben kann: Buffon wurde lange kaum geprüft und musste den Ball an diesem Abend trotzdem öfter aus dem Tor holen als in den zwölf vorherigen Champions-League-Spielen dieser Saison zusammen.
«In den Schlüsselszenen ist alles schiefgelaufen», haderte der weiterhin Unvollendete, aber natürlich gab es noch andere Gründe, warum die Italiener dieses Endspiel so enttäuschend deutlich verloren. Der offenkundigste: Real Madrid.
«Ihr könnt ruhig früher angreifen», sagte Zidane in der Halbzeit. Als die Spieler das taten, gab es über den Gewinner keinen Zweifel mehr.
Der Superbowl des Fussballs, zu dem das Europacup-Finale mit jedem Jahr mehr aufgeblasen wird, erlebte unter dem (aus Sicherheitsgründen geschlossenen) Dach in Cardiff ein Real auf der Höhe seiner Geschichte. Ein Real, das die Herausforderung, als erste Mannschaft die Champions League zu verteidigen, mit all seiner Grandezza annahm.
Letztlich war es ganz einfach: Juventus legte in der ersten Halbzeit alle Karten auf den Tisch und erreichte doch nur ein 1:1, wobei es selbst dazu die Gunst eines Jahrhundert-Fallrückziehers von Mario Mandzukic benötigte. Alles lief also gar nicht mal gegen die Turiner.
Aber sie waren im Kollektiv nicht ausreichend besser, um Reals individuelle Stärken aufzuwiegen. Im Gegenteil. Auch der Matchplan der Madrilenen erwies sich als überlegen, weil er Reserven liess. «Ihr könnt ruhig früher angreifen», sagte Trainer Zinédine Zidane seinen Spielern in der Halbzeit. Und als sie das dann taten, gab es über den Gewinner eigentlich keinen Zweifel mehr.
«Wenn wir beweglich sind und mit wenigen Berührungen spielen, wird es schwer für den Gegner», sagte Zidane. Was natürlich eine ziemliche Untertreibung ist. Es wird dann fast unmöglich.
«Wir wollten in Führung gehen und dann verteidigen.» So einfach hatte sich Juve-Trainer Massimiliano Allegri den Match vorgestellt. Es sollte anders kommen. (Bild: Reuters)
«Wahrscheinlich haben wir in der ersten Halbzeit überpacet», räumte Buffon ein. «Wir wollten in Führung gehen und dann verteidigen», erklärte der Trainer die nicht gerade originelle Taktik. Man hätte mehr erwartet von dem Strategen aus der Toskana, der noch das Halbfinale gegen Monaco durch sein Coaching entscheidend geprägt hatte. So gab seine Ratlosigkeit letztlich nur den Blick frei auf die grandiose Trainerperformance seines Gegenübers Zidane.
Es gab ja viele grosse Gewinner auf Seiten Reals. Den Mythos natürlich – nach der ersten Titelverteidigung im Champions-League-Format und dem insgesamt zwölften Titel im wichtigsten Europapokal dürfte die Frage nach dem grössten Verein der Welt für die nächsten Jahrzehnte erst mal wieder beantwortet sein.
Den CL-Titel hat Ronaldo verteidigt, jenen des Weltfussballers dürfte er auch dieses Jahr holen. (Bild: Reuters)
Und selbstverständlich Cristiano Ronaldo – mit seinen zwei Toren komplettierte er eine K.o.-Runde, die in der Europapokal-Geschichte ihresgleichen sucht. Zehn Treffer ab dem Viertelfinale hat er erzielt. Dem ewigen Rivalen Lionel Messi noch die Torjägerkrone der Champions League entrissen. Und seine fünfte Auszeichnung als Weltfussballer des Jahres vorweggenommen.
Er wird dadurch mit Messi gleichziehen, und mal ehrlich, wer hätte ihm das zugetraut. Spätestens seit diesem Finale kann es keine Einwände mehr geben, spätestens jetzt gehört er in die Reihe der grössten Fussballer der Geschichte.
Noch wundersamer ist allenfalls der Werdegang des Trainers Zidane, der nur fünf Jahre älter ist als Buffon, aber schon 2006 bei Real die Karriere beendete und danach erst mal gar nichts machte. Manchmal soufflierte er «dem Verein meines Lebens» einen Transfer (etwa einen 18-jährigen Raphael Varane), später fungierte er mal als eine Art Teammanager und 2013 für ein Jahr als Assistenztrainer. 2014 übernahm er die zweite Mannschaft von Real, mit sehr überschaubarem Erfolg.
Zidane hat als Trainer von Real Fehler gemacht, aber keinen zweimal. (Bild: Reuters)
Als er in einer Notsituation nach der Entlassung von Rafael Benítez vor anderthalb Jahren als Chefcoach anfing, brachte er also nicht viel mehr mit als seine Aura. Nun hat er den Weltpokal gewonnen, zum zweiten Mal die Champions League und die spanische Liga.
Das Double aus nationaler und internationaler Meisterschaft war Real seit 1958 nicht mehr gelungen. Ihresgleichen sucht Zidanes Kunst, den gesamten Kader über die ganze Saison bei Laune gehalten und damit einen Teamgeist geschaffen zu haben, den Kapitän Sergio Ramos «den besten» nennt, «seit ich hier bin». Seit zwölf Jahren.
Im wohl schwierigsten Verein der Welt für Trainer hat Zidane «on the job» gelernt, er hat dabei Fehler gemacht, aber keinen zweimal und immer die richtigen Schlussfolgerungen gezogen. Von der Hereinnahme Casemiros in die Stammelf auf Kosten von James Rodríguez in der Vorsaison bis zum Systemwechsel auf 4-4-2 in den letzten Wochen, begünstigt durch den Verletzungsausfall von Gareth Bale.
180 Millionen neben dem Platz
Als sich der Waliser für gestern wieder zurückmeldete, musste er in seiner Heimatstadt Cardiff trotzdem bis zur Schlussphase auf der Bank bleiben. James stand derweil noch nicht mal im 18-Mann-Kader.
Zusammen haben beide 180 Millionen Euro gekostet, die wichtigsten Investitionen der aktuellen Amtszeit von Florentino Pérez. Keiner von Zidanes Vorgängern hätte sich getraut, sie so zu marginalisieren. Keinem hätte Pérez das durchgehen lassen. Zidane schon. Und das ist vielleicht dessen grösste Leistung.
«Er kann sein ganzes Leben im Verein bleiben», flötete der mächtige Präsident in Cardiff. Angesprochen auf mögliche Transfers sagte Pérez, der sich früher immer auch als Sportdirektor Reals verstand: «Wir werden mit Zizou sprechen, er ist der Dirigent dieses Orchesters.» James wird wohl gehen und auch Bale gab Zidane am Samstag auf Nachfrage keine Bestandsgarantie. «Wir geniessen jetzt erst mal, was wir erreicht haben und dann sprechen wir über die Zukunft», wich er aus.
Souveränes Real
Seinen eigenen Beitrag hielt Zidane gewohnt klein. «Ich werde jetzt nicht behaupten, dass ich der beste Trainer der Welt bin». Aber man darf sich allmählich daran gewöhnen, ihn in diese Elite zu zählen. Natürlich, er hat fantastische Spieler und oft auch das nötige Glück.
Aber zuletzt trat Real immer souveräner auf und schaffte nach zwei knappen Erfolgen gegen Atlético Madrid in den Finals 2014 (Verlängerung) und 2016 (Elfmeterschiessen) jetzt den klarsten Triumph in dem mit drei Titeln in vier Jahren zweitgrössten Erfolgszyklus des Vereins nach den fünf Europacups am Stück in den 1950er Jahren.
«Wahnsinn», nannte Kapitän Sergio Ramos diese Serie, «das hätte ich mir nie träumen lassen». Mit einer guten Altersstruktur im «wohl besten Kader in der Geschichte von Real Madrid» (Ex-Grösse Raúl) kündigt sich eine noch längere Ära an.
Ein besonderer Tag, aber nicht der glücklichste
Wie selbstverständlich die Madrilenen ihre kontinentale Dominanz nach einer schwierigen Zeit im Schatten des FC Barcelona schon wieder betrachten, zeigte sich nicht nur in der am Ende routinierten Demontage von Juventus, sondern auch in der vergleichsweise zurückhaltenden Freude. Ihren Ligagewinn vor zwei Wochen hatten sie noch ausufernder gefeiert.
«Heute ist ein besonderer Tag, aber der Tag der Meisterschaft war der glücklichste meiner Karriere», sagte Zidane. Sieben der letzten acht Europapokaltitel, darunter alle vier in der Champions League, gingen nach Spanien, und auch wenn es Zidane aus Höflichkeit so nicht sagte, war die Botschaft doch klar: die Primera División ist derzeit schwerer zu gewinnen als die Champions League.
Nächstes Jahr will er noch einmal versuchen, endlich die Champions-League zu gewinnen: Gianluigi Buffon neben Wundertorschütze Mario Mandzukic nach dem verlorenen Final. (Bild: Reuters)
Für Gigi Buffon macht Reals goldene Epoche die Aussichten nicht besser. Ein Jahr will der «Maradona des Tors» (Ex-Mitspieler Paolo Montero) noch spielen. Eine Chance bleibt, den längst verdienten Europapokal zu gewinnen. Buffon muss es wohl mit der Devise halten, die sein Trainer Allegri ausgab, als er mit erstaunlicher Heiterkeit das Stadion verliess: «Das Schöne am Leben ist doch: es gibt dir immer eine neue Chance.»