Auch Hans Grugger ist ein Opfer der Streif, so wie Daniel Albrecht. Zu den Rennen am Wochenende kehrt Grugger, der seine Karriere beendet hat, erstmals nach Kitzbühel zurück. Zwei Jahre nach seinem schweren Crash sagt er über seine Ex-Kollegen: «Das sind alles Verrückte.»
Es ist soweit. Hans Grugger war klar, dass dieser Moment einmal kommen wird. Früher oder später würde er sich seinem Schicksal stellen und nach Kitzbühel zurückkehren, an jenen Ort, an dem sich sein Leben auf einen Schlag verändert hat. Dieser Gedanke verfolgt den österreichischen Abfahrer schon seit er im März 2011 das Krankenhaus verlassen hatte.
Der erste Tag in Kitzbühel stand unter keinem guten Stern: Erst fanden die Topathleten bei Renndirektor Günther Hujara kein Gehör mit ihrer Kritik und der Forderung, das erste Training wegen schlechter Sicht und weicher Piste abzusagen. Dann stürzte Andrej Jerman, fuhr zunächst weiter und musste die Fahrt dann doch unterbechen.
Mit der Diagnose Gehirnerschütterung liegt der Slowene inzwischen in Innsbruck im Spital. 1,22 Sekunden hinter dem Trainingsschnellsten Aksel Lund Svindal rangierte der Schweizer Marc Gisin mit Startnummer 40 auf Platz 4. Die meisten Fahrer sprachen allerdings von einer besseren Besichtigungsfahrt.
Die 73. Hahnenkammrennen | Das Programm
Svindal auch im zweiten Training vorne; Gisin Neunter
Das Training am Donnerstag wird ab 11.05 Uhr auf ORF1 übertragen.
Es war der 20. Januar 2011, als Hans Grugger auf der Streif in Kitzbühel schwer gestürzt war. Schädelhirntrauma, innere Verletzungen, Koma – mehrere Tage kämpften die Ärzte um das Leben des Salzburgers.
Grugger war nicht der erste Rennläufer, den die berüchtigste und gefährlichste Abfahrtsstrecke der Welt abgeworfen hatte. Bereits 2008 war der US-Amerikaner Scott Macartney nach einem wilden Unfall bei Tempo 140 tagelang auf der Intensivstation gelegen, ein Jahr später erwischte es an der selben Stelle den Schweizer Daniel Albrecht. Drei Wochen lag der Walliser im künstlichen Tiefschlag.
Daniel Albrecht kämpft weiter
Macartney hat wie Grugger mittlerweile seine Karriere offiziell beendet. Daniel Albrecht hingegen kämpft seit seinem Unfall wie ein unermüdliches Stehaufmännchen um sein Comeback im Weltcup. Weil er seinen Verletztenstatus verloren hat ist er in den Startlisten an die hintersten Positionen gerutscht, weil die Erfolge ausgeblieben sind, hat ihn Swiss Ski in den B-Kader degradiert.
Zu allem Überdruss musste Albrecht in diesem Winter einen weiteren Rückschlag hinnehmen: Eine schwere Knieverletzung warf den 29-Jährigen abermals zurück – aber nicht aus der Bahn. Der einstige Weltmeister (Kombination 2007) lässt sich nicht unterkriegen und arbeitet bereits wieder an einer Rückkehr in den Leistungssport. «Wieso sollte ich zurücktreten», fragt Albrecht, der am vergangenen Wochenenende bei den Lauberhornrennen das Schweizer Team besuchte, «nach der Geschichte, die ich erlebt habe, muss ich sagen: Es ist diesmal nur das Knie.»
Auch Hans Grugger wollte zurück in den alpinen Weltcup. Auch er wollte lange Zeit nicht wahrhaben, dass er nicht mehr so leistungsfähig ist wie vor seinem Unfall und den Tagen im künstlichen Tiefschlaf. «Aber ich habe erkennen müssen, dass das Rennfahren so nicht mehr funktioniert», erklärt er.
Hans Grugger: Alles Gestörte
Heute wundert sich der 33-Jährige sogar über seine ehemaligen Abfahrtskollegen. «Ich bin manchmal richtig erschrocken», erzählt Hans Grugger, «die fahren ja alle wie die Henker, das sind alles Gestörte und Verrückte. Ich kann mir heute gar nicht mehr vorstellen, dass ich auch einmal so unterwegs war.»
Der Österreicher leidet noch immer an den Spätfolgen seines Unfalls. Einerseits macht ihm die Feinmotorik zu schaffen, andererseits fällt es ihm auch heute noch schwer, über einen längeren Zeitraum die Konzentration und Aufmerksamkeit hoch zu halten. «Das wird drei bis fünf Jahre dauern», weiss Grugger, der sich mit seinem Schicksal aber längst arrangiert hat.
Da ist keine Spur von Groll, da ist kein Hadern über das plötzliche Karriereende. Im Gegenteil: «Ich verspüre grosse Dankbarkeit», erklärt der 33-Jährige, «ich habe damals die Chance bekommen, dass ich weiter leben darf. Mir ist bewusst, dass ich eigentlich ein Riesenglück hatte und dankbar sein kann, dass ich wieder ein normales Leben führen darf.»
Keine Tränen
Vor seiner Rückkehr auf die Streif – Grugger nimmt mit seiner Freundin Ingrid Rumpfhuber, einer ehemaligen Rennläuferin an der Besichtigung zum zweiten Abfahrtstraining am Mittwoch teil – hat der Salzburger jedenfalls keine Angst. «Ich habe selbst keine Ahnung, wie das alles auf mich wirken wird, wenn ich die Piste wieder sehe. Aber ich gehe jetzt nicht davon aus, dass ich dort Tränen vergiessen werde. Ich glaube das wird nicht so schlimm, wie der Moment, an dem ich das erste Mal meinen Sturz auf Video gesehen habe.»
Damals hatte sich Hans Grugger mehrere Wochen überlegt, ob er sich diese Tortur antun solle. «Ich wusste ja nicht, was diese Bilder in mir auslösen würden», erinnert sich der Österreicher. «Das eigentlich Schwierige daran war, die Starttaste zu drücken. Das Video war dann kein Problem. Ich habe zwar gewusst, dass ich der Mann bin, der da stürzt. Aber ich habe da keinen Zusammenhang zu mir hergestellt. Vor allem habe ich gewusst, dass am Ende alles gut ausgegangen ist.»
Deshalb kann und wird Hans Grugger dem Skisport auch erhalten bleiben. Als Trainer und als angehender Sportlehrer. Derzeit trainiert er gerade für die Aufnahmeprüfung an die Sportuniversität. «Das ist gar nicht so einfach», sagt der 33-Jährige und schmunzelt, «die Übungen mit dem Reck und das Schwimmen sind richtig hart.»