Für das viertklassigen Bradford City ging in Wembley der Run im League Cup zu Ende. Dafür feierte der walisische Premier-League-Schreck Swansea den ersten grossen Titel seiner Clubgeschichte – mit einem deutschen Torhüter, der auf ungewöhnlichen Wegen zu einem Job in der Glitzerliga gekommen ist.
«Yes!» schrien gut 40’000 Bradford-City-Fans im Wembley-Stadion vor Freude, als Gary Jones’ Volley drei Minuten vor Ablauf der Spielzeit ganz, ganz langsam und überaus freundlich in Richtung des Swansea-Tors hoppelte. Die Anhänger des Viertligisten feierten mit stehenden Ovationen den ersten, einzigen Torschuss, der ihrer Mannschaft gegen die übermächtigen, brillant aufspielenden Schwäne aus Wales gelang, als ob sie soeben den Siegestreffer erlebt hätten.
4:0 stand es zu diesem Zeitpunkt für Michael Laudrups Elf, am Ende 5:0. Egal: nach einem allenthalben als «märchenhaft» beschrieben Pokal-Run mit Erfolgen gegen die Premier-League-Clubs Arsenal, Wigan und Aston Villa wollte man sich in der weinrot-goldenen Kurve Stolz und Spass nicht durch ein paar unschöne Zahlen kaputt machen lassen.
Vom Gegner kam nichts – gar nichts
Streng genommen war Jones’ 30-Meter-Rückgabe der zweite Ball, den Gerhard Tremmel am Sonntag halten musste. Vor Beginn der zweiten Hälfte hatte der Wind einen Luftballon in seinen Strafraum geweht, der gebürtige Münchner hatte auch diese Aufgabe souverän erledigt, ohne sich die Hände schmutzig zu machen. «Ich habe geschaut, dass ich da hinten nicht erfriere», sagte er später, «es war so kalt und von Bradford kam nichts – nichts».
Sein blaues Trikot bekam erst nach der Pokalübergabe in der königlichen Loge («Ich kannte das nur aus dem Fernsehen, normalerweise schalte dich da aber schon um») ein paar grüne Flecken, als er zusammen mit den Mitspielern auf den (verletzt pausierenden) Verteidiger Chico Flores sprang.
Zwei Stunden brauchte Tremmel, um aus der Kabine zu kommen, nach diversen Champagner-Duschen hatte er sich «fünf Mal» die Haare gewaschen. «Das stinkt vielleicht!» rümpfte er die Nase. Den eigenwilligen Geruch dieses Spezial-Shampoos kannte der 34-Jährige zuvor ja nicht – der Ligapokalerfolg ist der erste Titel seiner bewegten Karriere.
Das Torhüter-Märchen
Tremmel begann in der Jugend des SV Lochhausen und des FC Bayern, bei der SpVgg Unterhaching wurde er zu einem Bundesliga-Torhüter. Transfers zu Hannover und Hertha brachten ihn nicht entscheidend weiter, nach vier Jahren bei Energie Cottbus fand er 2010 in der Bundesliga dann überhaupt keinen Arbeitnehmer mehr. Tremmel ging zu Red Bull Salzburg.
Torhüter eignen sich ihrem Wesen nach in der Regel nicht als Wanderprofis, aber den 1,90 Meter grossen Keeper zog nach nur einem Jahr in Österreich auf die Insel. «Ich wollte unbedingt in die Premier League, aber wusste nicht wie», erzählt er. Der entscheidende Tipp kam von seiner Frau Sarah. Sie hatte im Internet gelesen, dass Swansea im Sommer 2011 für ein Trainingslager nach Österreich kommen würde und dazu noch einen Torhüter suchte.
Tremmel fuhr uneingeladen hin und spielte bei den gerade ins Oberhaus aufgestiegenen «Schwänen» vor. Zwei Einheiten später sass er im Mannschaftsbus auf dem Weg zum Flugzeug, inmitten verkaterter Kollegen. Die Mannschaft war am Vorabend geschlossen ausgegangen.
Die späte Anerkennung
Der damalige Trainer Brendan Rodgers (heute FC Liverpool) entschloss sich, den Niederländer Michel Vorm zur Nummer 1 zu machen. Als Laudrup in dieser Saison die Waliser übernahm, sass Tremmel weiter auf der Bank. Nur im Ligapokal liess ihn der Däne spielen, doch dann verletzte sich Vorm im Herbst und Tremmel erlebte dank glänzender Partien eine späte Anerkennung seines beträchtlichen Talents. In 19 Spielen verlor er nur zwei Mal, zur Belohnung wurde sein Vertrag bis 2015 verlängert.
«Egal was noch kommt, das bleibt», sagte er am Sonntag, die erstaunlich kleine Goldmedaille in der Hand. Ein bisschen Wehmut mischte sich in sein Glück: «Ich hätte gerne öfters die Chance bekommen». In der nächsten Saison – mit der Europa League – könnte er die Nummer eins im Liberty-Stadion werden. Vorm steht zu Verkauf.
Die begehrten Michu und Laudrup
Überhaupt müssen die «Swans» aufpassen, dass ihnen die Liga den ersten wichtigen Titel in der 100-jährigen Geschichte nicht gleich wieder durch ungewünschte Avancen vermiest. Michu (26), der überaus elegante Stürmer, der für drei Millionen Euro von Rayo Vallecano auf die Insel kam, ist mit seinen 19 Saisontreffern die Überraschung des Jahres und dementsprechend hochbegehrt. Und Laudrup wird bereits als ernsthafter Kandidat für den Job bein FC Chelsea gehandelt. Der 48-Jährige hat Swanseas passioniertes Kombinationsspiel um eine direkte Note verfeinert.
«Der Tag geht in die Geschichte ein, vor allem wegen Bradford», sagte Laudrup bescheiden. Ein Triumph der für nur 10’000 Euro zusammengestellten Elf der «Bantams» (Zwerghühner) im Nationalstadion hätte in Sachen Fussballromantik alles in den Schatten gestellt, mit Swansea traf es aber auch nicht die Falschen.
Das Vorbild für die Liga
Vor zehn Jahren konnte City seine Rechnungen nicht bezahlen, um ein Haar wären sie in den Halbprofi-Fussball (fünfte Liga) abgestiegen. Die Fans sammelten Geld und übernahmen 20 Prozent des Vereins, der heute ganz ohne Milliardäre auskommt und noch dazu hoch profitabel geführt wird. «Sie sind ein Vorbild für die ganze Liga», schrieb der «Daily Telegraph» bewundernd, «sie sind ein Fanal für Kreativität». Und für deutsche Wertarbeit im Kasten natürlich auch.