Am Montag beginnt in London in Wimbledon das dritte Grand-Slam-Turnier des Jahres. Die Macher des legendären Tennis-Events haben ein Geschäftsmodell aufgebaut, das auch dank TV-Geldern aus Asien, dem Mittleren Osten und auch aus den Ländern Osteuropas prächtig funktioniert.
Wenn Roger Federer stets in der Woche vor dem Wimbledon-Turnier über die menschenleere Anlage des All England Club marschiert, fühlt er sich fast «wie in einem Tennis-Paradies». Der langjährige Alleinherrscher im grünen Grand-Slam-Tempel erfreut sich an der üppigen Blumenpracht, den sauber gepflegten Plätzen oder auch mal an neu errichteten Courts wie Platz 2 oder Platz 3, die sich mit souveräner Selbstverständlichkeit ins ehrwürdige Gesamtbild einfügen.
«Einen schöneren Platz zum Tennisspielen kann ich mir einfach nicht vorstellen», sagt der 33-jährige Baselbieter, dessen Name bereits sieben Mal auf der holzgetäfelten Ruhmesgalerie der Champions verewigt ist.
Die berühmte Grün-Anlage im Südwesten der englischen Kapitale ist zweifellos das idyllischste Tennisfleckchen der Welt, ein Theater der Träume für immer neue Generationen von Profispielern. Doch an der Church Road kommt Jahr für Jahr auch eine profitable Businessmaschinerie ins Rollen, die dem traditionsreichsten Tennisklub der Welt prächtige Geschäfte beschert.
Der grosse Wert der Unabhängigkeit
«Wimbledon – das ist eine der einträglichsten Sportveranstaltungen überhaupt», sagt Tim Philipps, der ehemalige Chef des All England Club, der einst sein Amt abgab, nachdem das schwierige Abenteuer einer Centre-Court-Überdachung erfolgreich überstanden war.
Auch für das atemraubendste Einzelprojekt der langjährigen Modernisierung der Turnieranlage, für den Regen-Schirm über dem Herz der Anlage, wurde kein einziger Penny an Steuergeldern eingesetzt, den finanziellen Kraftakt mit rund 100 Millionen Franken Baukosten stemmten die Wimbledon-Macher vor allem über den Verkauf von exklusiven Ticketrechten. «Wir legen grossen Wert auf unsere Unabhängigkeit», sagt Richard Lewis, der diskret operierende Geschäftsführer des Clubs.
Früher als viele Veranstalter und internationale Verbände hat Wimbledon auch vor einem Jahrzehnt seine Fühler nach Wachstumsmärkten in Asien und Südamerika ausgestreckt. Während anderswo noch Expansionspläne in den Schubladen schmorten, eröffnete der All England Club bereits Shops in China, Thailand oder Singapur.
Jährlicher Reingewinn von bis zu 50 Millionen Franken
«Nirgendwo ist Wimbledon so beliebt wie in den Schwellenländern in Asien», sagt der langjährige Wimbledon-Topmanager Christopher Gorringe, «dort haben wir oft Einschaltquoten bei Spielen mit nationaler Beteiligung von über 50 Prozent.»
Die Matches der inzwischen pensionierten Weltklassespielerin Li Na verfolgten vor einigen Jahren bis zu 100 Millionen Chinesen. Kein Wunder, dass der All England Club im Reich der Mitte flächendeckend ein dichtes Netz von Shops aufbaute, in denen exklusive Bekleidungslinien und Geschenkartikel verkauft werden.
Wimbledon wirkt einerseits wie ein einziger Anachronismus, da es auch in diesen Zeiten der totalen Vermarktung von Sportevents auf reisserische Werbebanden verzichtet und die Spieler anhält, weiter im «überwiegend weissen Dress» (predominantly white) ans Handwerk zu gehen. Doch die Wahrung des Mythos können sich die Gralshüter mühelos leisten, da sie mit dem Verkauf von Lizenzen, Fernsehrechten und dem Merchandising auch auf der Anlage selbst jährlich einen Reingewinn von bis zu 50 Millionen Franken einstreichen – mal etwas weniger, mal etwas mehr.
Die Firmen stehen Schlange, um dabei zu sein
Bei den TV-Rechten gab es vorübergehend zwar einen kräftigen Einbruch, weil die einst so generösen deutschen Fernsehpartner als Geldquelle ausfielen – aber längst sieht die Bilanz dank Geldern aus Asien, dem Mittleren Osten und auch aus den Ländern Osteuropas wieder viel freundlicher aus.
Und auch der schwelenden Finanzkrise hat Wimbledon mühelos getrotzt: Auf Jahre hinaus seien die Sponsorenpakete für Unternehmen ausgebucht, die den Tennis-Schauplatz zur exklusiven Kundenpflege nutzen, sagt Manager Lewis. «Die Firmen stehen Schlange, um bei uns dabei sein zu können.»
Die Grand-Slam-Veranstalter in Paris oder New York können nur neidisch auf ihren Big Brother in Wimbledon schauen, der mit dem sogar ästhetisch anspruchsvollen Dach über dem Centre Court eine deutlich grössere Veranstaltungssicherheit besitzt – dann, wenn es in London SW 19 mal wieder wie aus Eimern giesst oder auch nur leise vor sich hin tröpfelt aus dem grauen Himmel.
Hohe Abgaben an den Tennisverband, der kaum Spieler produziert
Das Vorbild Wimbledon vor Augen entwickelten die internationalen TV-Netzwerke zuletzt so starken Druck auf die US-Open-Bosse, dass die sich zu einer massiven Investition genötigt sahen: einer 140 Millionen Franken teuren Überdachung des Arthur Ashe Stadions, die 2016 fertiggestellt sein soll.
Nur das Trauerspiel um die jährlichen Abgaben des All England Club an den britischen Tennisverband beschädigt ein wenig das Gesamtbild des nachhaltig florierenden Unternehmens: Nahezu eine halbe Milliarde Euro überwiesen die Turniermacher in den letzten zweieinhalb Dekaden an die Lawn Tennis Association, doch nur zwei internationale Stars (Tim Henman, Andy Murray) und viele, viele Mitläufer produzierte das lückenhafte Fördersystem.
«Wo bleibt der Tennis-Aufschwung», fragte vor zwei Jahren einmal die «Times» und kanzelte die «unfähigen Verbandsmanager» ab. Auch Altmeister Henman wunderte sich: «Wir haben drei Millionen Fussballspieler, fünf Millionen Schwimmer, aber nur rund 50’000 bis 60’000 Tennisspieler – das ist doch unglaublich.»
Federer: «Als ob Wimbledon gerade neue Kinder in die Welt aussetzt»
Autorität entwickelt Wimbledon anderswo, auch in der höheren Tennispolitik. Nach Jahrzehnten des Stillstands und den ewigen fruchtlosen Debatten um eine sinnvollere Terminierung der Turniere im Frühling und Sommer sprachen die Herren des All England Lawn Tennis Club schliesslich ein Machtwort und verlegten ihr Turnier um eine Woche nach hinten.
Mit dem Effekt nicht nur von drei Wochen Zeit zwischen den Grand Slams in Paris und London, sondern auch einer Renaissance des Rasentennis. Denn die Turniermacher des Mercedes Cup in Stuttgart etwa verabschiedeten sich nach dem Wimbledon-Dekret von den Sandplatzwühlereien am Weissenhof und etablierten direkt nach den French Open ein Rasenturnier – im Jahr eins auf den Grüns triumphierte umgehend ein prominenter Name, Rafael Nadal.
«Es ist, als ob Wimbledon gerade neue Kinder in die Welt aussetzt», sagt Roger Federer, «ich finde das wunderbar.»