36’000 Zuschauer im St.-Jakob-Park und der grosse Rest der Neugierigen vor den TV-Geräten werden heute (21.05 Uhr) mit dem FC Basel fiebern, der gegen Tottenham Hotspur zum ersten Mal in seiner Clubgeschichte in einen Europacup-Halbfinal einzuziehen gedenkt.
«Ich habe gar keine Zeit, um nervös zu sein.» Sagt Barbara Bigler knapp 27 Stunden vor dem grossen Spiel. Die Arbeitstage der FCB-Geschäftsführerin sind vollgepackt, und die Agenda von Club und erster Mannschaft so umfangreich wie noch nie, seit Barbara Bigler vor Urzeiten ihren Job beim FC Basel aufgenommen hat.
In einer Disziplin ist der Viertelfinalist FC Basel nämlich bereits jetzt Europameister: Keine Mannschaft hat häufiger gespielt, Tottenham ist das 18. Spiel der internationalen Kampagne, die in der zweiten Runde der Champions-League-Qualifikation irgendwann im Juli in Tallinn begann, und die Reise hat den FCB bis zu diesem vorläufigen Showdown im Rückspiel gegen die Spurs geführt.
Das Abenteuer bot enttäuschende Momente wie das Ausscheiden in Cluj, und es gab rauschende Fussballfeste, mit denen man so nicht gerechnet hatte. Also wird Barbara Bigler am Matchtag einen Augenblick finden, um zu geniessen. Im besten Fall bedeutet das, dass Ende April und Anfang Mai zwei weitere englische Wochen zum Pensum hinzukommen – zwei Halbfinals in der Europa League. Absolutes Neuland für diesen Club.
Und das Spannende: Der Coup ist dieser Mannschaft zuzutrauen.
Nicht der Favorit, aber Respekt verschafft
Dass der FC Basel, dass die Mannschaft bereit ist für einen grossen Abend, daran besteht kein Zweifel. Trainer Murat Yakin kann aus dem Vollen schöpfen, seine Mannschaft hat alle Aufgaben des ersten Quartals erfüllt, und sie ist mit dem Hinspielergebnis in London vielleicht nicht in die Favoritenrolle geschlüpft. Aber sie hat sich ordentlich Respekt verschafft beim Gegenüber.
«Ich habe meine Gratulation ja bereits vergangenen Donnerstag nach dem Spiel abgestattet», erlaubte sich Andre Villas-Boas am Mittwoch in Basel in Erinnerung zu rufen. Vielleicht das Beste, was er in dieser Saison an der White Hart Lane gesehen habe – so hatte er die Vorstellung des FC Basel in London gewürdigt. Und im Norden Londons haben in dieser Saison schon alle Grossen der Premier League ausser Manchester City aufgespielt.
Salah, der Mann, der den Unterschied machen kann
Nichts weniger als eine Repetition der Leistung vom Hinspiel braucht es in den Augen von Murat Yakin, um den historischen Schritt in die Semifinals machen zu können. «Fünfzig zu fünfzig» schätzt er die Chancen ein, was heisst, dass er aus dem 2:2 im Hinspiel keinen grossen Vorteil für seine Mannschaft errechnet.
Dazu hätte die Mannschaft noch mehr aus ihren Chancen machen müssen, namentlich Mohamed Salah, der junge Mann, auf dessen schmalen Schulern auch im Rückspiel einige Hoffnungen ruhen. Er ist der Spieler, der die Qualität besitzt, den Unterschied zu machen in solch einem kapitalen Match.
Aber allein schon der Dienstagabend in der Champions League und die Bilder aus Dortmund sind dem FCB-Coach Warnung genug: «Es ist alles möglich.» Auch, dass der FC Basel diesen Match verliert, gegen einen hochdotierten Gegner, von dem Villas-Boas sagt: «Wir wissen, dass es schwierig wird. Aber wir fühlen uns auswärts wohl.»
Tottenhams Auswärts-Bilanz
Das gilt in erster Linie für die Premier League, wo nur der designierte Meister Manchester United auf fremden Plätzen öfter gewonnen hat (elfmal) als die Spurs (neunmal). In der Europa League verhält sich das allerdings ein wenig anders: Nach vier Unentschieden verlor Tottenham das Achtelfinal-Rückspiel bei Inter Mailand 1:4 – und kam nur dank des Auswärtstores von Emmanuel Adebayor in der Verlängerung eine Runde weiter. Wie schon eine Runde zuvor gegen Lyon in extremis mit Moussa Dembélés Ausgleichstor in der 90. Minute.
Also erklärt Villas-Boas, angesichts von fünf Europa-League-Auswärtsspielen ohne Sieg, kein Freund von Statistiken zu sein und eher Freund der Yakinschen Sichtweise: «Im Fussball ist immer was Überraschendes dabei.»
«Können mit den Grossen mithalten»
Murat Yakin glaubt an seine Mannschaft: «Sie weiss, wie wie zuhause spielen muss». Eine epische Serie von elf Heimspielen ohne Gegentor hat sie aufgestellt. Und nach zwei verblüffend stilsicheren 2:0-Heimsiegen in Sechzehntel- und Achtelfinal gegen Dnipro und Zenit – mit anschliessender Achterbahnfahrt in den Rückspielen – wuchs die Mannschaft in London spielerisch über sich hinaus: «Sie hat gesehen, dass sie gegen grosse Gegner mithalten kann», ist Yakins Schlussfolgerung. Und ungeachtet des Umstandes, dass dem FCB schon ein 0:0 oder 1:1 reichen würde, verspricht er: «Wir geben Vollgas.»
Am Donnerstag wird dem FC Basel die Kulisse eines mit 36’000 Zuschauern besetzten St.-Jakob-Park zusätzlichen Rückenwind verleihen. Erstmals in dieser Europacup-Saison ist das Stadion ausverkauft. Die Kraft, die dieses Stadion vollbesetzt entfachen kann, hat FCB-Mannschaften schon zu vielen Höhenflügen verholfen. Jetzt winkt wieder ein grosser Preis. Es wäre der erste europäische Halbfinal in der Geschichte des FC Basel und erst der fünfte mit Schweizer Beteiligung nach den Young Boys (1959), zweimal dem FCZ (1964 und 1977) sowie den Grasshoppers ein Jahr später.
Anspannung ja, Nervosität nein
«Es steht viel auf dem Spiel», sagt Philipp Degen, der in Basel zu der Form und Konstanz zurückgefunden hat, die den rechten Verteidiger einst für das Ausland interessant gemacht hat. Jetzt, die historische Gelegenheit vor Augen, gibt sich der 30-Jährige nicht kleinlauter als er ist: «Jeder in der Mannschaft weiss, was er zu leisten vermag.» Und: «Wir wollen», sagen Murat Yakin und Philipp Degen unisono, «diese Chancen packen.»
Trotz all dieser Bedeutungsschwere spürt Philipp Degen, und das eint ihn mit seiner Geschäftsführerin, eines nicht: Nervenflattern. «Anspannung ja, aber keine Nervosität», lautet sein Bulletin, «wir sind parat.»
Klar ist beim FC Basel: Die Flügelspieler Valentin Stocker und Mohamed Salah, zwei Autoren des hervorragenden Auftritts in London, kehren nach einem Sonntag Pause in die Startformation zurück. Der in England gesperrte Rechtsverteidiger Philipp Degen beginnt ebenfalls.
«Den Rest kann man sich ja denken», sagt Murat Yakin, womit er aber offen lässt, ob Joo Ho Park beginnt, und wer die Position im Zentrum neben Serey Die übernimmt. Am ehesten wohl Fabian Frei, und Mohamed Elneny, der sich unheimlich schnell, still und leise in den Vordergrund gespielt hat. Die Alternative, auch um dem Gegner ein klein wenig zu überraschen, wäre Marcelo Diaz, der in London ebenfalls gesperrt gefehlt hatte und St. Gallen angeschlagen verpasste.
Überraschungen in der Startelf – das ist man sich bei Yakin inzwischen gewohnt. Der Trainer lässt sich gerne noch am Spieltag inspirieren, und auch seine Mannschaft bekommt die Aufstellung meist erst kurz vor dem Spiel präsentiert – «und die hat das bisher gut aufgenommen», sagt Yakin. (cok)
-> Zur Aufstellung von Tottenham: «Können diese Augen lügen»
Europa League, Viertelfinal, Rückspiel
FC Basel–Tottenham Hotspur (Hinspiel 2:2)
St.-Jakob-Park. – 36’000 Zuschauer (ausverkauft). – SR Benquerença (Portugal).
Mögliche Aufstellungen
FCB (4-2-3-1): Sommer; P. Degen, Schär, Dragovic, Park; Serey Die, F. Frei; Salah, Elneny, Stocker; Streller.
Tottenham (4-2-3-1): Friedel; Walker, Dawson, Vertonghen, Naughton; Parker, Dembélé; Dempsey, Holtby, Sigurdsson; Adebayor.
Bemerkungen: Basel ohne Bobadilla (nicht spielberechtigt); Tottenham ohne Bale, Defoe, Gallas, Lennon (verletzt), Kaboul (Aufbau). – Schiedsrichter Olegário Benquerença (43) leitet in Basel sein 79. Europacup-Spiel, worunter am 16.3.2006 Strasbourg-FCB (2:2) war; Tottenham hat er noch nie gepfiffen.
Auslosung Halbfinals: 12. April in Nyon (12.15 Uhr, Eurosport) Halbfinals: 25. April/2. Mai Final: 15. Mai in der Amsterdam ArenA |
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Europa League, Viertelfinals | |||
Donnerstag, 11. April | Rückspiel | Hinspiel | |
FC BASEL | Tottenham Hotspur | 21.05|SRF info | 2:2 |
Rubin Kasan | Chelsea FC | 21.05 | 1:3 |
Lazio Rom | Fenerbahçe Istanbul | 18.00 | 0:2 |
Newcastle United | Benfica Lissabon | 21.05 | 1:3 |