Wohin soll das alles noch führen?

Mit dem 1:0 in der Champions League gegen Bayern München hat der FC Basel eine lange gehegte Sehnsucht gestillt. Aber vielleicht war das noch gar nicht alles.

Auf zu neuen Abenteuern. Alex Frei und Valentin Stocker lassen einen konsternierten Manuel Neuer zurück. (Bild: Getty Images)

Mit dem 1:0 in der Champions League gegen Bayern München hat der FC Basel eine lange gehegte Sehnsucht gestillt. Aber vielleicht war das noch gar nicht alles.

Es war schon weit nach ein Uhr am frühen Donnerstag, als Gusti Nussbaumer sich aus dem St.-Jakob-Park auf den Heimweg machte. Seit 1968 ist Nussbaumer in verschiedenen Funk­tionen beim FC Basel tätig und ihn kann eigentlich nichts mehr schrecken. «Aber langsam wird es unheimlich», raunte der Teammanager in die Nacht.

Als drei Stunden zuvor Franck Ribéry entnervt von seinem verlorenen Privatduell mit David Abraham vom Feld schlich und Platz machte für Thomas Müller, dachte man noch: Schön für den, der einen Star der franzö­sischen Nationalmannschaft durch den WM-Torschützenkönig der deutschen Natio­nalmannschaft ersetzen kann.

Doch die Geschichte nahm eine andere Wendung. Beim FC Basel kam ein Schweizer Nationalspieler und dann noch ein kamerunischer, und diese beiden bodigten den grossen FC Bayern München. Mit einem feinen Pass von Jacques Zoua und einem kühlen Linksschuss ohne langes Fackeln von Valentin Stocker. Das Tor, das die 36 000 Menschen im Stadion von den Sitzen riss, machte wahr, was viele gehofft, aber nicht zu glauben gewagt hatten: einen Erfolg über einen grossen deutschen, über den deutschen Club schlechthin. In den Achtelfinals der Champions League und vor einem Millionenpublikum weltweit.

Mittelschweres Nachbeben in München

Mit dem 1:0 hat der FC Basel zwar nur einen Etappensieg erzielt, aber einen mit ungeheurer Strahlkraft. Und in München wird die Blamage von Basel ein mittelschweres Nachbeben auslösen. Wenn Ehrenpräsident Franz Beckenbauer nun für Sonntag und das Heimspiel gegen Schalke 04 eine «Explosion» erwartet, meint er natürlich eine Freisetzung von Leistung auf dem Platz. Bleibt die aus, kann es auch einen grossen Knall geben beim FC Bayern.

Der FC Basel darf sich dagegen in diesem Erfolg sonnen. Und auch wenn Sportkoordinator Georg Heitz am Mittwoch bald nach dem Schlusspfiff seinem Trainer Heiko Vogel die drei Punkte am Samstag in der heimischen Super League gegen den Erzrivalen FC Zürich ans Herz legte, so wissen sie beim FCB den Moment schon auch ­auszukosten.

Bernhard Heusler, der fürs Spiel die Skiferien in Zermatt unterbrochen hatte, freute sich einerseits über den ersten Sieg, seit er Präsident des FCB ist, weil er sich nun im Bekanntenkreis keine Sprüche anhören muss. Was ihm aber genauso wichtig war: «Eine Ausgangslage zu schaffen, bei der die Leute sich drei Wochen lang auf das Rückspiel freuen können.»

Das 1:0 erfüllt Heuslers Hoffnung, und man darf sich nun fragen, wo diese Reise für den FC Basel noch hinführen soll. Am 13. März im Rückspiel in der Allianz Arena wird Uli Hoeness sich seiner Worte zur Halbzeitpause im St.-Jakob-Park erinnern. «Das wird eine harte Nuss», schwante ihm da schon.

Reif und erwachsen

Nach dem Schlusspfiff waren die Bayern-Gewaltigen entsprechend angefressen. Dabei hatte der fast schon frühlingshafte Tag am Rheinknie in bester Laune begonnen, hatte das Edelrestaurant Stucki seine Küche trotz Betriebsferien angeworfen, und bei einem bodenständigen Zürcher Geschnetzelten waren die Bayern noch guter Hoffnung, dass Basel zum Umkehrpunkt ihrer kleinen Krise werden würde. Nun haben sie eine handfeste.

Bei allem Respekt, den Heusler auf dem Bruderholz von der Clubspitze des deutschen Rekordmeisters zu spüren bekam – den liess die FCB-Mannschaft umgekehrt ein paar Stunden später auf dem Platz gänzlich vermissen. Sie schlug die Bayern geradezu im Bayern-Stil: mit einem klug herausgespielten Lucky Punch von zwei durch eine gol­dene Hand eines umsichtigen Trainers eingewechselten Spieler.

Sie stand gut organisiert, sie nahm in der Anfangsphase einen heraus­ragenden Torhüter Yann Sommer in Anspruch, sie verteidigte höchst solidarisch, und die Politik der «kleinen Nadelstiche» (Heiko Vogel) hätte schon früher von Erfolg gekrönt sein können, als Aleksandar Dragovic und Alex Frei nur die Torumrandung trafen. Für die erste Schweizer Mannschaft, die in diese Dimension des europäischen Clubfussballs vorgestossen ist, war es eine reife und erwachsene Leistung.

Ratlose Münchner

An der Seite von Joachim Löw sah das Urs Siegenthaler von der Tribüne des St.-Jakob-Park aus mit einigem Vergnügen. «Nach zwanzig Minuten ha­ben die Bayern keine Lösung mehr gehabt», urteilt der Berater und Chefscout des Bundestrainers, zu leicht ausrechenbar sei Arjen Robben und Ribéry könne auch mehr. «Sich auf Individualisten zu verlassen, kann manchmal auch zu einem bösen Erwachen führen», meinte der Basler.

Während das Selbstverständnis der Bayern derzeit auf einem wackligen Fundament zu stehen scheint, macht Siegenthaler dagegen beim FCB viele Elemente aus, die ihm imponieren: «Die Mannschaft mit vielen jungen ­Talenten hat gezeigt, dass sie mit vertikalem Spiel, mit Pässen in die Tiefe sehr gefährlich sein kann. Da wird gute Arbeit geleistet. Und was mir auffällt ist die Selbstsicherheit dieser Mannschaft, die auch an sich glaubt, wenn sie mal zurückliegt.»

Diesen Glauben, da muss man kein Prophet sein, werden die Basler in München beanspruchen müssen. Noch haben die Bayern das grosse Ziel, den Champions-League-Final am 19. Mai im eigenen Stadion nicht aus den Augen verloren. Und sie werden versuchen, den FCB aufzufressen. Doch die Rechnung ist schnell gemacht: Gelingt Basel, was in dieser Kampagne immer gelungen ist, nämlich mindestens ein Auswärtstreffer, brauchen die Bayern schon drei Tore.

Es gibt sie also, die Steigerungsform des grandiosen Erfolgs gegen Manchester United. Plötzlich sind sogar die Viertelfinals in greifbarer Nähe, und in drei Wochen sind die Vorzeichen für den FC Basel unverändert: Er hat immer noch nichts zu verlieren. Wenn er ausscheidet, kann er das mit erho­benem Haupt tun. Und aus diesem Grund ist es dieser Mannschaft zuzutrauen, dass sie bereit ist, ihre Grenzen auch in München auszuloten.

Den Moment geniessen

Bis dahin sollte Basel und der Rest der Fussballschweiz sich vielleicht an der Herangehensweise von Bernhard Heus­ler orientieren: den Moment geniessen. Zehn Jahre sind seit dem Spektakel in der Champions League 2002/03 ins Land gegangen, ehe der FCB wieder eine vergleichbar schlagkräftige und unerschrockene Mannschaft entwickelt hat. Eine, die die Ankündigung von Thorsten Fink nach dem Ausscheiden gegen die Bayern im Spätjahr 2010 wahr gemacht hat: dass sie in dieser Saison noch stärker auftreten werde. Nun kann sie sogar Revanche nehmen.

Lange wird diese Gruppe in dieser Zusammensetzung nicht mehr beim FC Basel sein. Aber im Hintergrund werden schon die Verträge mit Spielern aus dem hochgehandelten U16-Jahrgang gemacht. Man wird sich demnach wieder ein bisschen gedulden müssen. Und in Erinnerung an die momentane Erfolgsgeschichte schwelgen.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 24.02.12

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