Der Mann ist ein Phänomen: Ryan Giggs wird am Samstag sein 1000. Pflichtspiel für Manchester United bestreiten. Und er hat noch lange nicht genug. Mit 39 Jahren hat er noch einmal einen Vertrag für eine weitere Saison unterzeichnet.
Worte werden dem Phänomen kaum mehr gerecht, deswegen zu Beginn lieber ein paar Zahlen. 999 Pflichtspiele. 181 Tore. Zwölf Meisterschaften, vier FA-Pokale, zwei Champions-League-Siege. Ein Verein. Ein Platzverweis. Noch Fragen? Ryan Giggs wird im Ligaspiel gegen Norwich City am Samstag sein 1000. Spiel als Profi bestreiten. Das passende Geschenk für dieses schier unglaubliche Jubiläum hat ihm Manchester-United-Trainer Alex Ferguson schon unter der Woche gemacht: wie der Tabellenführer am Freitagmorgen bekannt gab, verlängert der Waliser seinen Vertrag um ein Jahr bis Sommer 2014. Dann wird er 40 Jahre alt sein.
«Was er erreicht hat, wird niemand mehr erreichen», sagte Sir Alex, «er ist ein Vorbild für uns alle. Er ist ein fantastischer Spieler und ein großartiger Mensch.» Seine aktuelle Form ist ebenfalls beachtlich. «Giggsy», wie sie ihn in der Kabine rufen, kam in der laufenden Saison schon 22 Mal zum Einsatz und wird auch beim Champions-League-Rückspiel gegen Real Madrid am kommenden Dienstag im Old Trafford eine Rolle spielen, kündigte Ferguson an. Im Hinspiel im Bernabéu-Stadion hatten sich die spanischen Fans bei seiner Einwechslung zu stehenden Ovationen erhoben. «Königlicher» Applaus für den Gegner: Gibt es eine höhere Weihe?
Beim 2:0-Sieg gegen Everton vor drei Wochen setzte Giggs eine Serie fort, die im modernen Fussball nahezu irrsinnig erscheint: In 23 Spielzeiten hintereinander hat er nun bereits ins Tor getroffen. «Man hat das Gefühl, dass er jede Woche einen anderen historischen Meilenstein erreicht», schwärmte Ferguson, 71.
«Private Ryan» ist ein distanzierter Taktgeber
Giggs selbst ist der mediale Trubel um seine Person wie immer eher unangenehm. «Ich fühle mich gut, geniesse es mehr als je zuvor, Fussball zu spielen und am allerwichtigsten ist es, dass ich das Gefühl habe, dass ich noch meinen Teil zum Erfolg der Mannschaft leisten kann», liess der scheue Mittelfeldspieler mitteilen.
Die «Times» beschrieb ihn in einem Wortspiel kürzlich als «Private Ryan», weil er in der Kabine zwar einerseits einer der Tonangeber ist, andererseits jedoch emotionale Distanz zu den Kollegen hält. Selbst Ferguson, der United seit 1986 quasi als Alleinherrscher regiert, hat in Zwiegesprächen mit seinem dienstältesten Schützling nicht immer das letzte Wort. «Schau mich mit diesen Ausgen nicht so an, als ob ich Teufelshörner auf dem Kopf trage», beschwerte sich der Schotte, als ihm Giggs mit einem seiner sehr kalten Blicke begegnete.
Weit mehr als hundert Mitspieler hat der Dauerläufer bei United kommen und gehen sehen, darunter Ikonen wie Eric Cantona, David Beckham und Cristiano Ronaldo. Die Korkenzieherlocken, die einst zusammen mit dem etwas zu großen Trikot durch die Luft wirbelten, sind einem grauen Kurzhaarschnitt gewichen. Er ist nicht mehr auf Sturmläufe, die den Gegnern «das Blut in den Adern verdrehen» (Ex-Kollege Gary Pallister) spezialisiert, sondern auf ruhige Effizienz in der Zentrale. Man kann sich weiter auf ihn verlassen.
Sein Rezept: Yoga statt Bier
«Gute Gene», so sagt er, und eine für britische Fussballer-Verhältnisse äußerst gesunde Lebensführung zeichnen für seine sagenhafte Ausdauer verantwortlich. Seit seinem 30. Geburtstag trinkt er kaum noch Alkohol. Anstatt nachts mit Kollegen um die Häuser zu ziehen, macht er frühmorgens lieber Yoga.
Sein Image als hoch anständiger elder statesman des britischen Fussballs hat allerdings vor zwei Jahren erheblich gelitten. Die Boulevard-Presse berichtete genüsslich von Affären mit einem Fotomodell und der Frau seines Bruders. Sein Versuch, die Meldungen per Gerichtsentscheid zu unterdrücken, scheiterte an der Durchlässigkeit des Internets.
Jeder wusste bald, dass er der Mann im Zentrum der Geschichte war, ein Richter hob die einstweilige Verfügung gegen die Nennung seines Namens auf. Man hat ihm die Eskapade auf der Insel verziehen; auch, weil die Boulevardpresse in der Folge wieder von ihm abliess. Paparazzi wurden vor seinem Haus von Maskierten attackiert. Giggs steht in Manchester unter dem Schutz der Hardcore-Fans.
Das bittersüsse Versprechen
Seine Karriere hätte dabei auch ganz anders verlaufen können. Als Teenager spielte er beim Lokalrivalen Manchester City vor, dem Club, der bis vor der Übernahme durch einen Scheich aus Abu Dhabi vor vier Jahren als Inbegriff für Chaos und Misserfolg stand. 1989 bestritt Giggs auch ein Länderspiel für Englands Schülerauswahl, gegen Deutschland. Er hiess damals noch Ryan Wilson. «Er sieht in seiner Freizeit gerne Fernsehen und geht in Discos», notierte das Jahrbuch des Verbands.
In der englischen Nationalmannschaft sah man ihn nach dem 1:3 im Wembley jedoch nie wieder: Ryan nahm mit 16 den Nachnamen seiner Mutter (Lynne Giggs) an und repräsentierte fortan Wales. Aus englischer Sicht bleibt er ähnlich wie der Nordire George Best für immer das bittersüsse, unerfüllte Versprechen.
United wird noch länger Freude an ihm haben, auch über die aktive Laufbahn hinaus. Giggs hat bereits zwei Fussballlehrerlizenzen und wird nach seinem Karriereende den United-Trainerstab verstärken, vielleicht sogar Ferguson beerben. In welchem Jahrzehnt das sein soll, weiss aber niemand.