Marco Streller: «Die Young Boys haben die Leichtigkeit und wir die schweren Beine»

Sportdirektor Marco Streller versucht mal wieder, eine Krise beim FC Basel zu erklären, nimmt Stellung zum Umbau der Mannschaft in der Winterpause, verteidigt die Transfers und beschwört sein Gefühl, dass das Meisterschaftsrennen mit den Young Boys noch nicht entschieden ist.

«Ich fand uns schwach und YB nicht überragend» – Marco Streller über den Abend von Bern, zu dem Valentin Stocker und Ricky van Wolfswinkel fussballerisch wenig beizutragen hatten.

14 Anfragen für ein Interview mit Marco Streller gab es am Tag nach dem beklagenswerten Auftritt des FC Basel in Bern und dem Scheitern im Cup-Halbfinal. Deshalb wurden die Journalisten an einen Tisch gebeten im Mediencenter des St.-Jakob-Parks. Im Gegensatz zur durchgeschüttelten Mannschaft, im Kontrast zu den betretenen Spielern am Vorabend arbeitete der Sportdirektor des FCB die zweite sportliche Krise der Saison mit grösstmöglicher Gelassen- und Nüchternheit auf.

Marco Streller, hat Ihnen am Dienstag in Bern irgendetwas Mut gemacht?

Unsere erste Halbzeit, weil wir da gegen ein physisch sehr starkes YB dagegengehalten haben. Nicht im Offensivdrittel, aber in den anderen beiden. Aber man muss zugeben, dass wir die schwächere Mannschaft waren, und die Young Boys haben sich den Cupfinal verdient. Nichtsdestotrotz weiss ich, was in unserer Mannschaft steckt.

Es war vom vorentscheidenden Charakter dieser Begegnung für die Meisterschaft die Rede. Sehen Sie das auch so?

Das hiess es in den Medien. Es ging nicht um Punkte, sondern um eine Finalteilnahme. Das Momentum lag vor der Partie bei den Young Boys und es liegt auch hinterher bei ihnen. Es tut uns weh, dass wir im Halbfinal ausgeschieden sind, aber in meinen Augen hat dieses Spiel keine Relevanz für den weiteren Verlauf der Saison.

Ist der FC Basel in einer Krise?

Wir sind in einer ähnlichen Situation wie in der Vorrunde. Das ist eine neue Situation im jetzigen Stadium der Saison. Wir haben aber schon einmal relativ schnell aus einer Krise herausgefunden, und das macht mir Mut. Im Herbst musste ich auch eine Krise erklären – und eine Woche später, wie man Benfica in der Champions League 5:0 schlagen kann. Es ist unglaublich, wie schnell es im Fussball geht. Aber es ist eine schwierige Situation, die viele von uns in dieser Phase noch nicht erlebt haben.

Im Cup ausgeschieden, in der Meisterschaft klar im Hintertreffen – wie findet der FC Basel den Weg aus der Negativspirale?

Primär denke ich im Moment nicht an die Meisterschaft, sondern daran, dass wir wieder in die Spur kommen, dass wir wieder anfangen zu gewinnen. Das Wissen, dass es die Mannschaft kann, und der Glaube daran beruhigen mich immer noch. Das habe ich ihr am Mittwochnachmittag vor dem Training so gesagt: Die Mannschaft hat das Fussballspielen nicht verlernt, und sie soll mutig sein. Das Wichtigste ist, nun die Ruhe zu bewahren, hinter der Mannschaft und dem Trainer zu stehen. Und das tun wir. Ausserdem gibt es ein Gefühl in mir, dass die Meisterschaft noch nicht entschieden ist. Und auf dieses Gefühl verlasse ich mich jetzt einfach.

«Ich habe viel Lächeln gesehen in ihren Gesichtern und Freude. Einfach Leichtigkeit.»

Gegen Ihr Gefühl spricht die beeindruckende Konstanz von YB.

Es bringt jetzt gar nichts, auf YB zu schauen. Wir müssen anfangen, wieder Punkte zu sammeln – und wir dürfen sicherlich keine mehr abgeben, wenn wir noch Meister werden wollen.

Was ist bei Ihnen am Dienstag hängengeblieben von diesem YB?

Ich habe viel Lächeln gesehen in ihren Gesichtern und Freude. Einfach Leichtigkeit. Sie haben viel zu gewinnen, und wir haben viel zu verlieren.

Bern, wie es singt und lacht: Torhüter Marco Wölfli (rechts) und Loris Benito feiern den Triumph von YB über den FCB und den Finaleinzug.

In Bern war neben dem verloren gegangenen Selbstverständnis das zusammenhanglose Offensivspiel des FCB augenfällig. 

Das habe ich auch so gesehen, aber das Schöne an meiner Aufgabe ist, dass ich objektiv sein kann und muss in einem emotionalen Business. Nach bestem Wissen und Gewissen kann ich nach unserer Analyse sagen: Es gibt gewisse Sachen, die auch am Dienstag anders laufen können, die von uns anders zu Ende gespielt werden können. Und dann entwickelt sich der Match anders. Ich weiss aber auch, dass das niemand hören will nach einer Halbfinalniederlage, und ich verstehe, dass wir in der Kritik stehen. Klar ist: Wir müssen es erarbeiten, dass dieses Momentum wieder auf unsere Seite fällt. Wir müssen wieder Spiele gewinnen. Fertig, Schluss.

Sie hatten am Dienstag tatsächlich das Gefühl, die Partie könnte kippen?

Ich hatte den Eindruck, dass YB nicht so hoch gepresst hat wie auch schon. Da war sicherlich auch eine Spur Respekt vor uns, es ging auch für sie um sehr viel. Ich fand uns schwach und nicht YB überragend. Sie haben uns ja nicht in Grund und Boden gespielt. Aber in Führung liegend konnten sie ihre Stärken, ihr Umschaltsspiel ausspielen. Das funktioniert vertikal sehr, sehr gut. Man muss es anerkennen. Und sie haben Spieler wie Kevin Mbabu, der mit seiner spektakulären Spielweise das Publikum mit einer Szene abholen kann. Und dann ergibt das eine eigene Dynamik.

Wo sind im Moment die Spieler beim FCB, die das können?

Gegen Manchester United gab es auch so eine Szene, als Serey Dié mit einer Körpertäuschung drei Gegner stehen liess, was im Stadion eine unheimliche Dynamik ausgelöst hat. Wir haben Taulant Xhaka, der das von der Aggressivität her kann, wir haben Dimitri Oberlin, der diesen Faktor hat, Michael Lang hat es oft bewiesen, Samuele Campo kann mit seiner Ballbehandlung und einem tödlichen Pass die Zuschauer von den Sitzen reissen, und Valentin Stocker kann das auch.

Ist der FCB in Bern in die taktische Falle getappt? Basel auch einmal kommen zu lassen, um selbst Räume zu finden, war der Plan von YB-Trainer Adi Hütter…

Mag sein, ich glaube aber eher nicht. Sie waren in jedem Mannschaftsteil stärker, obwohl wir Guillaume Hoarau und Roger Assalé relativ gut im Griff hatten. Die Wertung dieser Partie fällt mir zu eindeutig für YB aus. Aber so ist das Geschäft. Wir müssen still sein und weitermachen.

«Ich lese nicht alles, was über mich geschrieben wird, das tue ich mir nicht an.»

Wie haben Sie die zum Teil heftigen Reaktionen auf die Niederlage aufgenommen?

Menschen, die mich direkt ansprechen, sind sehr positiv und solidarisch. Und ermutigend. Ich lese nicht alles, was über mich geschrieben wird, das tue ich mir nicht an. Fussball ist nun mal emotional, man darf nicht alles auf die Goldwaage legen, was ein Fan sagt oder schreibt und was die Medien meinen. Ich selbst muss wissen, was ich für falsch oder richtig halte. Und Entscheidungen werden bei uns nicht von mir allein, sondern zum Glück in der Technischen Kommission getroffen. Ich bin nach aussen verantwortlich dafür, und im Fussball scheint halt nicht immer nur die Sonne. Ich bin ruhig und versuche, das der Mannschaft auch vorzuleben. Aber dass rund um den FCB ein bisschen Nervosität herrscht, dass bekomme ich schon mit.

Wie erklären Sie sich die Torflaute? 

Wenn man in fünf Spielen vier Mal kein Tor erzielt, dann haben wir ein offensives Problem. Das liegt sicher nicht an den Spielern selbst, denn sie haben bewiesen, dass sie Tore schiessen können. Es hapert im letzten Drittel, dort müssen wir wieder Lösungen finden. Und dafür ist die gesamte Mannschaft verantwortlich. Wir waren in Bern zu weit auseinander, die Linien müssen enger stehen. Aber so ist es manchmal, und das hat nichts mit Fitness oder Einstellung zu tun: Wenn man Schwierigkeiten hat oder sich in einer Spirale befindet wie wir, dann fehlt die Leichtigkeit. Diese Leichtigkeit hat YB momentan, und bei uns werden die Beine schwerer.

Woran liegt es, dass Mohamed Elyounoussi und Michael Lang noch nicht wieder an ihre Form vor der Winterpause anknüpfen konnten?

Sie hatten eine unglaublich gute Phase im Herbst, aber wir sollten beim FCB fähig sein, es zu kompensieren, wenn zwei Leistungsträger nicht auf absolutem Topniveau spielen. Ein Auswärtsspiel bei YB kann man verlieren, das hat es früher auch in Hochphasen des FCB schon gegeben. Aber es darf keine Ausrede für Heimniederlagen gegen Lugano oder St. Gallen sein. Da müssen andere in die Bresche springen.

Ist in der Winterpause und während der Transferperiode zu viel verändert worden an der Mannschaft?

Bilanz werde ich erst nach der Saison ziehen. Wenn man von fünf Spielen vier verliert, dann hat man nicht alles richtig gemacht. Manche Sachen konnten wir nicht beeinflussen und manche Spieler nicht aufhalten. Aber wir haben alle Sachen aus Überzeugung gemacht. Ich glaube, es ist der richtige Weg, aber vielleicht rede ich im Sommer anders.

«Ich habe Léo Lacroix in Bern als einen der Stärksten bei uns gesehen.»

Léo Lacroix sollte nach Ihrer Einschätzung eine sofortige Hilfe für die Abwehr sein. Nun sind ihm allerdings zwei entscheidende Fehler unterlaufen. Überzeugend sah das nicht aus.

Ich habe Léo Lacroix in Bern als einen der Stärksten bei uns gesehen. Das Bittere ist, dass jeder Fehler von ihm bestraft wird. Aber das hänge ich ihm nicht allein an. Er hat unser Vertrauen.

Valentin Stocker konnte bisher nicht wie erhofft den Unterschied machen und hatte in Bern keinen Stich. 

Ich habe ihn, wie viele andere auch, in Bern nicht gut gesehen. Aber in den ersten Spielen hatte er Ansätze, die sehr gut waren. Wir im Klub treffen nicht eine Entscheidung und lassen einen Spieler nach drei, vier Spielen fallen. Wir sind alle nicht dort, wo wir sein wollen.

Und Fabian Frei kommt gar nicht zum Einsatz.

Solche Spieler mit einem FCB-Hintergrund wurden doch immer wieder gefordert. Und sie sind in der Hierarchie gleich ganz oben eingeordnet worden. Das ist einerseits der Vergangenheit geschuldet, aber man tut Fabian Frei oder Valentin Stocker keinen Gefallen, wenn man alles auf sie reduziert. Wir konnten Wechsel machen, die für uns wirtschaftlich sehr interessant waren. Und manchmal muss man vorgreifen, denn im Sommer könnte uns der eine oder andere Leistungsträger verlassen. Dann müssen wir ein Gerüst haben. Wer schlussendlich spielt, ist die Entscheidung des Trainers, da hat er meine Rückendeckung. Und wir sind überzeugt, dass Frei, Stocker und auch Samuele Campo kurz- und mittelfristig eine sehr wichtige Rolle bei uns spielen werden.

«Das Wichtigste ist, Ruhe zu bewahren und hinter Mannschaft und Trainer zu stehen. Das tun wir.»
Marco Streller (rechts) mit Raphael Wicky im Trainingslager in Spanien.

Leistungsträger auf dem Platz stecken im Formtief – wie ist die Form von Trainer Raphael Wicky?

Er ist sehr selbstkritisch, aber während den 90 Minuten machtlos. Er hat schon einmal bewiesen, dass er Ruhe bewahrt, und hat uns aus einer Krise geführt. Raphael Wicky steht überhaupt nicht zur Debatte. Wir sind alle jung und frisch dabei und müssen uns gegenseitig unterstützen – und das machen wir auch.

Wie unterstützt man den Trainer nun?

Wir bleiben ruhig und stellen uns total hinter Trainer und Mannschaft. Der Weg aus der Krise führt nur über Siege. Wir müssen anfangen zu punkten, und dann schauen wir, was uns YB noch anbietet. Denn ohne ihre Hilfe können wir es nicht mehr schaffen.

FCB-Präsident Bernhard Burgener hat vor wenigen Wochen einen Freund und engen Geschäftspartner durch ein Gewaltverbrechen verloren. Haben diese Umstände irgendwelche Auswirkungen auf den Klub?

Über dieses Thema müssen wir nicht gross reden. Aber es ist nachvollziehbar, dass das an Bernhard Burgener nagt. Der Austausch zwischen uns ist dadurch aber nicht weniger geworden. Er vertraut uns, und es ist schön, dass der Präsident in einer schwierigen Situation hinter uns steht. Intern haben wir einen unglaublich grossen Zusammenhalt, und nur so können wir uns aus der Lage befreien.

Was erwarten Sie sich am Samstag vom Klassiker gegen den FCZ?

Die Situation macht die Partie noch spezieller. Dazu kommen zwei junge Trainer, die eine gemeinsame Geschichte in der Nationalmannschaft haben. Und in der Vorrunde war dieses Derby die Begegnung, die für uns die Wende bedeutet hat. Wenn es wieder so wäre, wäre es eine schöne Story. Wir müssen das Publikum hinter uns bringen, das kann ganz entscheidend sein. Ein Sieg ist Pflicht.

https://tageswoche.ch/sport/live-der-cup-halbfinal-in-bern-20-15-uhr/
https://tageswoche.ch/sport/basler-leistungsbarometer-auf-stabilem-tief/

Nächster Artikel