Real Madrid hat sein Ziel erreicht und gewinnt zum zehnten Mal die Champions League. Final-Gegner Atlético wird aber fast gefeiert wie ein Sieger. Der Club hat Erstaunliches geleistet.
Es gibt Clubs, die sind bestimmt zu siegen. Und es gibt welche, die sind zu ewigem Leid verdammt. So brutal ist der Fussball wohl manchmal gestrickt. Oder so musste er sich für Atlético anfühlen, an einem Abend, als Real Madrid in einem epischen, glücklichen, letztlich auch verdienten Triumph im Champions-League-Finale von Lissabon zum zehnten Mal den wichtigsten Europapokal gewann.
Für den unterlegenen Stadtrivalen Atlético wiederholte sich derweil das schlimmste Trauma der Vereinsgeschichte. 1974 hatte man von Bayern München in der letzten Minute der Verlängerung noch den Ausgleich kassiert und schliesslich das Wiederholungsspiel 0:4 verloren. Nun war es die dritte Minute der Nachspielzeit, die Atlético im zweiten grossen Endspiel der Vereinsgeschichte zum Verhängnis wurde. Sie und eine Verlängerung, in der sich dann das fast Zwangsläufige vollzog. Real gewann letztlich 4:1 (1:1, 0:1).
Mehr Applaus für die Verlierer
Der Applaus für die Verlierer war trotzdem überwältigend, fast grösser als der für die Sieger. Trainer Diego Simeone wurde bei der Pressekonferenz gefeiert, der siegreiche Carlo Ancelotti einfach nur empfangen. «Die Partie verdient keine Tränen, denn wenn man alles gegeben hat, geht man mit erhobenem Haupt», sagte Simeone, und tatsächlich war – die Formulierung ist abgegriffen – Atlético mit seinem couragierten Auftritt so etwas wie der Sieger der Herzen. Den Underdogs dieser Fussball-Welt hat die Mannschaft in dieser Saison viel neue Kraft gegeben.
Und es hat sie vielleicht auch ein Stück weit verändert. «Auch bei uns gibt es Hingabe, Demut und Arbeit, im Fussball gewinnst du nichts ohne», hatte Sergio Ramos von Real Madrid vor der Partie gesagt – eingestandenermassen genervt davon, dass diese Werte immer nur Gegner Atlético zugeschrieben wurden, um dessen erstaunliche Erfolge gegen alle finanzielle Logik, etwa das über viermal so grosse Budget von Real, zu erklären.
Auch Real Madrid konnte sich nicht «durchschnöseln»
Die Art und Weise des Triumphs von Real verbreitete insofern eine versöhnliche Botschaft: Auch der umsatzstärkste Club der Welt mit dem aktuell besten (Ronaldo) und dem aktuell teuersten (Bale) Spieler der Welt kann sich nicht «durchschnöseln», auch er braucht Teamgeist und Haltung. Nur so entsteht eine positive Dynamik. Nur so entstehen spielverändernde Kopfballtreffer in der 93. Minute.
Ramos erzielte ihn, Ramos wieder, so wie im Halbfinale in München, als er die beiden entscheidenden Treffer zum 0:1 und 0:2 erzielte, auch wenn alle Welt danach mehr über Ronaldo und seine beiden eher anekdotischen Tore zum 0:3 und 0:4 sprach. Ramos ist der herausragende Innenverteidiger dieser Zeit, sicher, spielstark, torgefährlich. Und darüber hinaus die emotionale Leitfigur dieses Real Madrid 2014. Ramos wieder, kein Zufall, denn er versinnbildlicht, warum Real die seit zwölf Jahren ersehnte «décima» nun endlich sein eigen nennt, den zehnten Titel im wichtigsten Europapokal.
Wie umkämpt die Partie zuvor war, wie sehr sie mit dem Herzen entschieden werden musste, zeigte sich auch daran, dass in der regulären Spielzeit nur zwei Kopfbälle von Innenverteidigern den Weg auf die Anzeigetafel fanden. Vor Ramos war es Diego Godín, schon vor einer Woche in Barcelona der Torschütze zur ersten Meisterschaft Atléticos seit 18 Jahren, der sein Team in der 36. Minute mit dem Kopf in Führung brachte.
Reals geduldige Aufholjagd bis zum Ausgleich
Es gab also Drama vor 60’976 Zuschauer im Estadio da Luz und es gab auch eine Absurdität. Atléticos Stürmerstar Diego Costa schrieb sie, der trotz seiner seit Wochen latenten Oberschenkelverletzung überraschenderweise aufgelaufen war – die Behandlung mit Stutenplazenta durch die serbische Wunderheilerin Marijana Kovacevic hatte es möglich gemacht. Nun, das Wunder dauerte keine zehn Minuten. Dann musste Costa vom Platz.
Atlético führte trotzdem bald, und für seine akustisch überlegenen Fans, sowieso gerade erst wieder nüchtern von den Meisterpartys der vergangenen Woche, hätte das Spiel jetzt zu Ende sein können. Sie feierten jeden ungenauen Pass, jedes Abstimmungsproblem ihrer Gegner, den überforderten Real-Profis. Dann war Halbzeitspause. «Sí, se puede», sang die Real-Kurve: «Es ist möglich».
Die Aufholjagd, die sie meinten, nahm Real in einem jetzt deutlich packenderen Spiel nach einer knappen Stunde mit verändertem Personal in Angriff. Auf der Linksverteidigerposition kam der offensivere Marcelo und im Mittelfeld wurde Khedira durch den deutlich offensiveren Isco ersetzt. Gegen ein immer müderes Atlético erkämpfte Real eine immense Feldüberlegenheit, aber insbesondere Gareth Bale und Weltfussballer Cristiano Ronaldo vergaben die wenigen klaren Chancen. Bis sich in der dritten Minute der Nachspielzeit eben Ramos hochschraubte und mit einem perfekten Kopfball den starken Atlético-Keeper Thibaut Courtois überwand.
Trotz des psychologischen Vorteils für Real balancierte sich das Spiel in der Verlängerung zunächst wieder etwas aus. Aber in der 111. Minute – viele Atlético-Spieler humpeln schon nur noch über den Platz – zog der unermüdliche Ángel Di María noch einmal über links davon, Courtois konnte nur zur Seite klären, wo Bale mit akrobatischem Geschick zum 2:1 einköpfte. Marcelo und Ronaldo per Elfmeter besorgten in den Schlussminuten den Endstand gegen ein völlig demoralisiertes Atlético.