Die Schweiz ist also draussen. Und wie immer, wenn die volkstümliche Euphorie kurz davor stand, in blinden Taumel zu kippen, ist das alles nicht so schlimm.
Achtelfinal unter Schweden, Fan-Zoning unter sportlichen Feinden, letzter Teil. Schwerster Teil. Ich hab mich andernorts bereits über die Versuchsanordnung mokiert, den Schweizer Sport-Patrioten ironisch den Rücken zu kehren, um anderswo brasilianische oder serbische Fahnenschwinger zu feiern.
Von den Schweden war allerdings anzunehmen, dass sie zum Achtelfinal unter gutausgebildeten, kulturell heterogenen Freunden auf einem efeuumrankten Balkon in ihr Kötbullar beissen, ganz «privatägt». Also nix mit Folklore. Kulturvoyeurismus ade.
Dann halt doch nochmal Fussball
Falsch gedacht, meine Recherchen schwemmen mich an die Gestade des Svenska Klubben Basel. Der Svenska Klubben ist ein Verein zur Pflege schwedischer Kultur und hat zirka 400 Mitglieder. Unter «Aktiviteter» führt er Angebote wie «Träff Damklubben», «Midsommarfirande» und «Luciaövning». Man will sich gleich einen Blumenkranz in die Haare flechten, aber die Vorsitzende Annika Eriksson sagt am Telefon, dass im «Voltabräu» doch so etwas wie ein schwedisches Public Viewing stattfinden werde, man hoffe dort einige schwedische Mitarbeiter der Novartis zur Rudelbildung akquirieren zu können.
Dann halt doch nochmal Fussball, spot on.
Bei Anpfiff ist der Kommentator schon auf hundertachtzig. An der Bar kostet das Bier acht Stutz plus zwei Franken Depot, der Barmann sagt: «Sorry für den Preis», und dass es ihm leid tue. Der Schweizer im Schweizertrikot vor mir schnaubt durch die Nüstern. Das Depot ginge klar, er kenne die Regeln, «ich bin hier aufgewachsen».
Wie verdammt assimiliert sie sind, wie heimtückisch angepasst.
Ich halte schleunigst Ausschau nach den Schweden. Ein paar hellgelbe Einsprengsel, mehr ist da nicht, aber ich bin überzeugt, überall Schweden zu sehen. Nur halt ohne Trikot. Wie verdammt assimiliert sie sind, wie heimtückisch angepasst. Ich bin dann aber doch zu schüchtern, um irgendwen anzusprechen, «sorry Sie, sind Sie Schwede?». Man ist ja nicht bescheuert.
Ich hocke mich stattdessen in der Nähe eindeutig gewandeter Nordländer auf den Boden in der Hoffnung, pfeffrige Sprüche aufzuschnappen wie der Spatz die Krumen. Wird leider nichts draus. Die Gelben sind keine Schweden, sie haben zufällig gelbe T-Shirts an. Wie ahnungslos kann man sein.
Dann krabbelt mir ein Baby über den Schoss. Mit seinem Ärmchen haut es mir auf die Nase. Das Baby fasst mir ins Ohr. Die Sonne brennt mir auf den Scheitel. Die Schweiz spielt, wie sie immer spielt, sobald es wirklich wichtig wird. Nicht gut genug. Ich will kein investigativer Journalist mehr sein.
Halbzeit, Gottseidank
Interview in der Mixed-Zone. Julia und Ellinor sind in Basel aufgewachsen, Amelia hat vier Jahre in Basel gelebt. Die drei haben richtig Bock auf WM oder vielleicht auch einfach aufs Zusammensein, wobei, so ein bisschen patriotisch sei das schon gemeint, sagt Julia. «Ich bin hier zu Hause, aber Schweden ist ganz klar mein Lieblingsland.» Ellinor zeigt mir ein lustiges Video auf dem Handy, in dem die Unterschiede zwischen Schweden und der Schweiz diskutiert werden. Ein Boyfriend taucht auf.
Ich muss das jetzt schnell zu Ende bringen, Kabel einstecken, Video an, drei Fragen. Eine, man ist halt eben doch bescheuert, lautet: «Wer ist schöner, die Schweden oder die Schweizer?» Die Klischee-Sau durchs Dorf zu treiben: kann ich.
Die Schweden seien schöner, sagt Amelia.
Warnung zum Video: Die Übersetzung aus dem Schwedischen bewegt sich im Ungefähren.
Das Spiel geht weiter, also stelle ich mich wieder wie ein Touristen-Alman zwischen die Schwedinnen und lasse uns fotografieren, das gehört zum Auftrag. Klick.
In der 66. Minute schiesst Schweden das einzige Tor der Partie und Julia und Ellinor und Amelia jubeln ausgelassen. «Heeya Sverige», klatsch klatsch, klatsch klatsch, klatsch.
Und keinen kümmerts, nur das Baby fletscht seine Milchzähne. «Wir lassen uns nicht provozieren», sagt die Mama.
Sport-Patriotismus scheint einfach weniger anstössig zu sein, wenn er nicht der eigene ist. Und wenn er nicht vom Balkan kommt. Und wenn er nicht von Männern performt wird.
Zum Zvieri Schweizer Tränen
Die Schweizer werfen nochmal alles nach vorn. Bei Katarina Livburren und Petra Thomas liegt die schwedische Fahne wie eine Picknick-Decke auf dem Tisch. Zum Zvieri gibts heute Schweizer Tränen, lecker. Katarina lebt seit 30 Jahren in Basel, den Svenska Klubben beschreibt sie als letzten offiziellen schwedischen Treffpunkt in der Nordwestschweiz: «Ende August schliesst das Schwedische Honorarkonsulat in Basel, dann sind wir neben Facebook die einzige Anlaufstelle für die Vernetzung der 3000 Schwedinnen und Schweden in der Nordwestschweiz».
Eigentlich schön zu sehen, wie jede Diaspora in Basel ihre Wurzeln pflegt und die neuen sozialen Netzwerke die alten nicht verdrängen. Den Svenska Klubben gibts seit über 40 Jahren, «und früher war es noch ein grosses Ding, wenn man im Ausland gelebt hat», sagt Annika Eriksson am Telefon.
Zurück auf der Treppe. Miese Flanke Shaqiri, kurz vor Schluss. Jemand sagt, «das tut richtig weh». Jemand sagt, dass Schweden immerhin gegen Deutschland verloren hat, aber das interessiert hier und jetzt keine Sau. Ich schwitze diesen verwesten Public-Viewing-Schweiss. Zeit, nach Hause zu gehen.