Zurück in der Krise: Federers Knockout in New York

Die Entzauberung von Roger Federer dauerte 144 Minuten. Der Schweizer ist nach dem Aus in New York zurück in der Krise.

Aus. Das Achtelfinal war für Roger Federer in New York Endstation. (Bild: Darron Cummings)

Die Entzauberung von Roger Federer dauerte 144 Minuten. Der Schweizer ist nach dem Aus in New York zurück in der Krise.

Beim Abgang aus dem Louis Armstrong-Stadion umrauschte ihn an diesem denkwürdigen Montagabend der gewohnt mächtige Applaus der Fans. Und als Roger Federer dann den rechten Arm erhob und artig in alle Richtungen der Arena winkte, sah auf den ersten Blick alles nach einem dieser üblichen Federer-Tage aus, nach einem ganz normalen Siegmoment auf dem Weg zu einem möglichen Grand Slam-Titel.

Doch der Schein an diesem Feier-Tag der Arbeit, dem amerikanischen Labor Day, trog ganz gewaltig: Der Beifall, den die 10’000 Tennisfreunde auf dem alten Center Court der US Open spendeten, entsprang eher dem Mitleid und Mitgefühl mit ihrem alten Helden.

Entgeistert

Und wer Federer bei seiner Abschiedsgeste ganz genau ins Gesicht schaute, sah die Züge eines schockierten, entgeisterten, bitter enttäuschten Superstars – eines Mannes, dessen Krise sich beim letzten Major-Turnier der Saison mit dem 6:7 (3:7), 3:6, 4:6-Achtelfinalabschied gegen den Spanier Tommy Robredo zurückgemeldet und noch einmal verschärft hatte. «Im Moment bricht gerade alles ein wenig zusammen für mich», sagte der konsternierte Schweizer hinterher, der mit seinem Stolperer auch das erhoffte Duell mit Rafael Nadal platzen liess, «es kann eigentlich nicht sein, dass ich in drei Sätzen so verliere.»

144 Minuten dauerte die frappierende Entzauberung des Spielers, der einige Jahre lang bei den US Open wie ein Unantastbarer gespielt und gesiegt hatte – fünf Triumphe fügte Federer einst zwischen 2004 und 2008 seiner grossen Erfolgschronik und Tennisbiographie hinzu, als gefeierter, beinahe vergötterter «König von New York».

Der Respekt ist weg

Doch diese Aura ist längst weg, genau so wie der Respekt, den die hetzende Meute der Profikollegen einst vor ihm hatte, dem genialen, zupackenden, zu allem entschlossenen Maestro. «Wenn das Selbstvertrauen fehlt, ist alles viel schwerer», sagte Federer nach dem vorerst letzten, desaströsen Tennistag in dieser Saison 2013, die ihm nur einen einzigen Turniersieg in Halle, aber teils herbe Rückschläge und unzeitige Turnierabschiede einbrachte.

In zehn Spielen bis zu diesem schwül-feuchten New Yorker Abend hatte er Robredo zehn Mal geschlagen, oft auch, weil sein Generationsgefährte vor ihm zurückschreckte – nun, im elften Duell, war es Federer, der zauderte, zögerte, herumlavierte, nie sein wirkliches Potenzial ausspielte und nahezu jeden Big Point verlor. Sage und schreibe zwei von 16 Breakbällen konnte er nur verwerten, selbst seine Entourage draussen in der Spielerbox raufte sich die Haare, als Federer eins ums andere Mal die prächtigsten Chancen ausliess. «Unglaublich» fand das auch Federer im Blick zurück: «Es ist verrückt, aber du spielst immer dahin, wo dein Gegner stehst. Und nicht dahin, wo du den Punkt machen würdest.»

Lähmende Verkrampfung

Wirklich aufgebaut hatte sich Federers Ego nicht in den vergangenen Wochen auf den amerikanischen Hartplätzen, jedenfalls nicht so sehr, dass es ihm bei einer massiven Herausforderung wie gegen Robredo hätte helfen können. Im Gegenteil: Als es hart auf hart ging in diesem Match, ob im Tiebreak des ersten Satzes oder den Schlussphasen der Akte zwei und drei, schien Federer eher in lähmende Verkrampfung zu fallen – ein labiler Wettkämpfer eher, beschäftigt mehr mit dem drohenden Scheitern als dem möglichen Siegen.

«Das Auf und ab dieses Jahres lässt einen halt nicht kalt», sagte Federer hinterher mit dem Fatalismus eines Mannes, der seine Probleme zwar erkennt, aber keine Lösung dafür findet. Was er in den kommenden Wochen tun werde, könne er noch nicht sagen, bekannte er auch: «Alles ist möglich. Mehr Turniere spielen, mehr trainieren. Oder gar nicht mehr viel spielen.» Immerhin: Eine solche längere Pause hatten ihm viele Experten schon nach Wimbledon empfohlen – eine Besinnungszeit, um sich in aller Ruhe neu aufzustellen und zu sortieren. Stattdessen folgte der Panikausflug auf die Sandfelder von Hamburg und Gstaad, kombiniert mit der seltsamen Testphase für einen neuen, grossflächigeren Schläger.

«Natur folgt auf die Kunst», twitterte in der Nacht der Achtelfinal-Schlappe und der ersten Drei-Satz-Abfuhr bei den US Open seit dreizehn Jahren der renommierte US-Journalist Jon Wertheim – und traf damit den sensiblen Punkt in diesem Karrierestadium Federers. Denn allmählich schleichen sich die ganz normalen, ganz menschlichen Probleme ins einst so störungsfreie System des Überspielers herein: Der Körper zeigt Verschleisserscheinungen im nunmehr fünfzehnten Jahr auf der Profitour, das Leben mit der Familie im Wanderzirkus lenkt zuweilen den Blick weg vom Kerngeschäft – und mit 32 Jahren, sagte TV-Experte Boris Becker, hier in New York für Sky UK im Einsatz, «kämpfst du auch irgendwie gegen die auslaufende Zeit an.»

Amerikas ehemaliger Tennis-Genius John McEnroe sah sich nach Federers finsterer Vorstellung zumindest in seiner jüngst noch provozierenden Annahme bestätigt, «dass Roger wohl keinen Grand Slam-Titel mehr holen wird»: «Dafür ist die Konkurrenz auch zu stark, die Spieler, die fünf, sechs Jahre jünger sind als er.»

Keine Panikreaktion

Natürlich erhob sich schon in den Stunden nach der Abfuhr ein Gewirr von Ansichten und Meinungen über ihn, den erfolgreichsten Spieler des modernen Tennis. Federer hatte das schon geahnt und in seiner Pressekonferenz gesagt, es werde «keinerlei Panikreaktionen» geben, sprich: auch nicht den Rücktritt, den ihm manche Kritiker, aber auch Freunde dieser Tage nahelegen. «Ich will so nicht Tennis spielen, sondern besser», sagte er, die Baseballkappe tief ins Gesicht geschoben. Übersetzt hiess das: Ich will nicht so enden wie hier und heute, sondern stärker. Aber eine Garantie dafür gibt es nicht. Auch nicht für ihn, den alten, aber gealterten Meister aller Klassen.

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