Zwischen Glücksrausch und Fieberwahn

Dortmund, Bayern, Götze – und immer wieder Hoeness: Das erste innerdeutsche Endspiel der Champions League könnte mit dem Ende der Patrons in der Bundesliga einhergehen.

Bayern, Dortmund, Götze – und immer wieder Hoeness, der hier dem Gegner ein Juwel abjagt und dort vergisst, ein paar Millionen auf der Bank Vontobel zu versteuern. (Bild: Nils Fisch)

Dortmund, Bayern, Götze – und immer wieder Hoeness: Das erste innerdeutsche Endspiel der Champions League könnte mit dem Ende der Patrons in der Bundesliga einhergehen.

Uli Hoeness ein Steuerhinterzieher? Undenkbar! Bayern gegen Barcelona 4:0, Dortmund gegen Real Madrid 4:1? Unfassbar! Mario Götze vom BVB zum FC Bayern München! Unglaublich! Borussias Stürmerstar Robert Lewandowski als Spekula­tionsobjekt eines miesen Wechsel­theaters? Unsäglich!

Deutschland hat Fussballwochen zwischen Glücksrausch und Fiebertraum hinter sich, in der sich wahre Ereignisse und wilde Gerüchte überschlugen und am Ende nichts mehr so schien, wie es vorher war. Es waren Wochen, in denen es ernst wurde für einen grossen Spieler, Manager und Präsidenten, in denen es so schrill wie selten um die verführerische Macht des Geldes im Profifussball ging, in der die Fragen nach der Moral in diesem Geschäft immer lauter gestellt wurden und in denen die beiden besten deutschen Fussballmannschaften im Halbfinal der Champions League die Sehnsucht von Millionen Fans nach einem deutschen Final am 25. Mai in London perfekt machten.

Doch für die grosse Freude blieb weder in München noch in Dortmund viel Zeit. Die Bayern wissen nicht, wie und ob es mit ihrem Präsidenten und Patriarchen Uli Hoeness weitergeht, der sich mit einer Selbstanzeige als millionenschwerer Steuersünder offenbarte und deshalb trotz eines per Kautionszahlung ausser Vollzug gesetzten Haftbefehls auf Straffreiheit hofft; die Borussen hatten alle Hände voll damit zu tun, den Münchner Coup mit der Verpflichtung des Dortmunder Kleinods Götze in positive Energie umzuwandeln und weitere Attacken mit der Stossrichtung, Lewandowski im Sommer gehen zu lassen, abzuwehren. Es waren nicht eben nervenschonende Tage in den Hauptquartieren der zwei führenden Bundesligaclubs – und immer schien ­Hoeness mit im Spiel zu sein.

Verschanzt im Landhaus

Der aber zeigt sich derzeit nur während der Spiele seiner Bayern auf seiner Lieblingsbühne Stadion und verschanzt sich unter der Woche in seinem bayrischen Landhaus oberhalb des Tegernsees.

Die Hoeness-Affäre, längst ein in sämtlichen Talkshows ausdiskutiertes deutsches Politikum, wabert wie eine dunkle Wolke über dem Hochglanzfussball, mit dem die Protagonisten des FC Bayern ihr Publikum seit Wochen verwöhnen.

Sie trifft einen Mann knüppelhart, der für viele schon immer ein Vorbild, für manche seit jeher ein Feindbild war, der, ob als Vereinspatron oder Wurstfabrikant, den Typus Selfmade-Kapitalist mit sozialer Erdung ideal und volksnah verkörperte, der aber auch mit seinem nervösen Drang zu Devisen- und Börsengeschäften ein Spieler mit hoher Risikobereitschaft blieb. Und der offensichtlich seine eigene Buchführung nicht in Ordnung hielt, wenn es um persönliche Abgaben, sprich, Steuern ging.

Noch ist das Undenkbare nicht Wirklichkeit: Bayern ohne Hoeness

Die Frage, ob Hoeness sich fahr­lässig verzockt hat und deswegen vielleicht gar ins Gefängnis muss, bewegt die Nation, da sie den Nerv all jener trifft, die ihre Steuern brav bezahlen und weit davon entfernt sind, über gleich mehrere Konten im In- und Ausland zu verfügen.

Noch aber wird ermittelt, und das kann dauern. Noch hat niemand offiziell Anklage erhoben, noch gilt die Unschuldsvermutung, noch hat sich keiner der im Aufsichtsrat des Clubs versammelten Grosssponsoren vom neuen deutschen Meister abgewendet. Noch ist das Undenkbare nicht Wirklichkeit: ein FC Bayern ohne Hoeness.

Der Aufsichtsrat könnte am 6. Mai über die Zukunft seines Präsidenten entscheiden. Und erste Risse scheinen aufzugehen. «Audi ist der Überzeugung, dass nachhaltiger wirtschaftlicher Erfolg nur sichergestellt werden kann, wenn Regeln und Normen konsequent befolgt werden», liess Audi-Chef Rupert Stadler der «Bild am Sonntag» mitteilen. Stadler ist einer von zwei Hoeness-Stellvertretern im Bayern-Aufsichtsrat.

Gerührt über die Solidarität

Hoeness selbst hat die erste öffentliche Erregungswelle über sich ergehen lassen müssen und soll zumindest gerührt darüber gewesen sein, wie solidarisch ihm gegenüber seine Freunde und Wegbegleiter im Innersten des Vereins bisher waren. «Einen FC Bayern ohne Uli Hoeness kann, will und werde ich mir nicht vorstellen», hat Karl-Heinz Rummenigge, Vorstandsvorsitzender der Bayern München AG, nach dem 4:0-Triumph über die Fussballweltmacht Barcelona gesagt.

Doch im Münchner Stadion war von mächtigen Loyalitätsbekundungen an die Adresse des von Staats­anwälten und Steuerbehörden bedrängten Chefs noch nichts zu hören. Auf einen Extrabonus an der Basis darf der Politpopulist, von dem sich Kanzlerin Angela Merkel, kaum dass die Causa Hoeness bekannt wurde «enttäuscht» absetzte, nicht hoffen. Zumal gerade er, den Rummenigge in seinem Festvortrag zu Hoeness’ 60. Geburtstag den «Vater Teresa von der Säbener Strasse» nannte, alles verkörpert, was seinen Verein zum Objekt kultischer Verehrung und schroffer Abneigung gemacht hat.

Dass die Dortmunder, als der Götze-Transfer zum grossen Rivalen aus dem Süden per festgeschriebener Ablösesumme von 37 Millionen Euro bekannt wurde, sogleich streuten, dass die öffentliche Information am Tag vor der ersten Halbfinal-Begegnung mit Real aus dem Hoeness-Umfeld komme, trübte die schwindenden Sympathiewerte für den gestern noch hochgelobten Münchner Tausendsassa mit Helfersyndrom weiter ein.

Wie war das nochmals mit Spanien?

Zumal Hoeness selbst sich gerade dann als Gegner «spanischer Verhältnisse» in der Bundesliga gerierte, als er wissen musste, dass der Wunschtransfer des kommenden katalanischen Startrainers Pep Guardiola real würde. Er suggerierte damit, aus Wettbewerbsgründen kein Interesse daran zu haben, dass aus der Bundesliga wie in Spanien mit dem FC Barcelona und Real Madrid ein Duopol der Mächtigen mit dem FC Bayern und Borussia Dortmund als unantastbaren Vormächten werde.

Tatsächlich hatten sich die Münchner aber gerade wie schon so oft in der Geschichte bei ihrem ärgsten Widersacher bedient, der in den letzten zwei Jahren die Meisterschaft und, 2012, auch den DFB-Pokal eroberte. Es waren die letzten Tage vor dem Bekanntwerden seiner Steuerprobleme, die Hoeness nach seiner Selbstanzeige im Januar längst zu schaffen machten, die er aber mit eisernen Nerven vor der Öffentlichkeit verbarg.

Mag sein, dass mit dem noch un­bestimmten Ausgang dieser persönlichen, aber auch auf den Club abfärbenden Affäre die Zeit der Patrons im deutschen Profifussball vorbei sein wird. Sie wirken wie Hoeness in Zeiten rigider Compliance-Bestimmungen wie aus der Zeit gefallen mit ihrem Selbstverständnis, alles selbst regeln zu können mit einem eigenen Wertesystem.

Hoeness war immer ein Meister darin, sein Spiel zugunsten des FC Bayern, den vor allem er zu seiner Weltgrösse im Fussball gemacht hat, gegebenenfalls rücksichtslos durchzuziehen. Er hat auch den ziemlich plumpen und dreisten Versuchen der Lewandowski-Berater, ihren Klienten möglichst noch diesen Sommer vom BVB zum FCB zu lotsen, nie widersprochen, wenn wieder einmal suggeriert wurde, der umworbene Pole sei sich schon mit den Bayern einig.

Die Bayern ohne Hoeness’ Rat

Das dementierten die Münchner in der turbulenten vergangenen Woche kurz und knapp und vermutlich, ohne bei Hoeness Rat zu suchen. Sie haben ja schon Götze – und bekommen Lewandowski vielleicht noch dazu, und sei es erst im nächsten Jahr.

Ob Uli Hoeness, der nicht gut beraten war, seine Steuerpflichten auf Gelder bei einem Schweizer Konto zu ­vernachlässigen, dann noch das Oberhaupt der Bayern-Familie ist, bleibt die spannende Frage. Bis dahin wird noch oft grosser Fussball gespielt – mit den Bayern in der Hauptrolle und Hoeness, dem Weltmeister von 1974, als Oberfan auf der Tribüne.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 03.05.13

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