Der «Seemannskeller» macht die Schotten dicht

Neun Jahre waren Patrizia Ponziani und ihr Vater Dino im Hafen eine Institution. Jetzt ist Schluss. Sie wollen die kleine Kneipe am Hafen verlassen, wie sie diese stets geführt haben: die Segel hart am Wind.

Patrizia Ponziani hat den Pachtbetrieb von ihrem Vater Dino Ponziani übernommen. Angepackt haben sie bis zuletzt beide.

Zuletzt wars wie verhext, im wahrsten Sinn des Wortes. Eine Woche vor Zapfenstreich schiesst Patrizia Ponziani der Schmerz ins Kreux, Hexenschuss, vielleicht wars der Stress. Aber mit schiefem Rücken tritt eine Ponziani nicht ab, nicht nach neun Jahren.

Also beisst sie die Zähne zusammen und serviert zwei Tage später, als wäre nichts gewesen. Sechzig Zmittag, Schweinsrahmschnitzel mit Nudeln, zwischen Küche und Speisesaal ist es zum Glück nicht so weit. 18.50 Franken das Menü, buon appetito, dangge, arrivederci.

So lebhaft wirds im «Seemannskeller» nur noch einmal zu und her gehen: diesen Freitag.

Am Freitag, den 23. März, macht der «Seemannskeller» die Schotten dicht, die Pächter Ponziani, Tochter Patrizia (40) und Vater Dino (68), deponieren die Schlüssel. An der Südquaistrasse 21, wo tagsüber die Güter der Rhenus Logistics durch die Silos und – versteckt hinter der Täferwand – mitten durchs Gasthaus rauschen, bleibt es dann erst mal leer.

Der «Seemannskeller» ohne Patrizia, das sei wie Basel ohne das Joggeli, sagt einer der Stammgäste. Zwar hätten sich neue Pächter angekündigt. Aber die Ponzianis seien damit nicht ohne Weiteres wettzumachen.

Das beste Cordon bleu der Stadt, sagen Kenner

Was hier verloren geht, ist ohne einen Augenschein am Hafen gar nicht zu verstehen. Der Keller liegt eingebettet zwischen rostigen Lastkranen, die geduldig die Fracht der Tanker abtragen. Dort, wo der Wind das Geschrei der Möwen über die Bahnschwellen der Güterzüge trägt. Wo Lastwagen ungelenk um Ecken biegen und Männer Leuchtwesten tragen. Wo die Luft nach Metall riecht, nach Öl und nach Brackwasser und wo die Spaziergänger wieder kehrtmachten. Dort liegt er, der «Seemannskeller». Man musste ihn sich schon erarbeiten.

In einer Nische unter den Silos der Rhenus Werke liegt der «Seemannskeller».

Das ehemalige Clubhaus der Basler Sektion der Schweizerischen Seemannsclubs hatte bis vor neun Jahren mehr schlecht als recht versucht, sich als urchige Kneipe einen Namen zu machen. Zu unpässlich war die Lage, zu dürftig die Küche. Dann übernahm Dino Ponziani das Ruder, der 1968 als Eisenleger aus Umbrien in die Schweiz gekommen war, und mit ihm kam sein Cordon bleu, das Beste der Stadt. Sagen Kenner.

«Die kleine Kneipe in unserer Strasse
da wo das Leben noch lebenswert ist
dort in der Kneipe in unserer Strasse
da fragt dich keiner was du hast oder bist.»

(Textauszüge aus: «Die kleine Kneipe», Peter Alexander, 1976)

Für Hafenarbeiter, Fernfahrer, Lieferanten, aber auch Leute aus dem Quartier wurde der «Seemannskeller» bald zur Anlaufstelle im Hafenviertel. «Wer hier reinkam, kam nicht nur wegen des Essens», sagt Patrizia. Ein Gast bestätigt das: «Für mich geht ein Zuhause verloren. Es wird gekocht wie daheim und ich kann auch alleine herkommen, irgendjemand ist immer da.» Gäste und Wirtsleute, hier sind sie versponnen wie Seegarn.

Jedes Detail im Interieur erzählt seine eigene Geschichte.

Das Innenleben der Beiz zeugt von den Geschichten, die hier erzählt wurden. Ein Mast mit gerafftem Segel steht quer über der Bar, Seeknoten zieren die Wände, auf der steilen Treppe ins Untergeschoss warnt ein Schild, Stolpergefahr. Es ist ein Ort, an dem das Wort «Bankett» mit seiner fetten Opulenz so ganz und gar zu Hause ist. Und Bankette gab es hier viele, davon zeugen die Bilder in Ponzianis Fotogalerie: Karohemden, Schnurrbärte, einer spielt Gitarre, und zuletzt tanzten noch immer alle die Polonaise.

Ein Lied, ihr Lied

Die Geschichte könnte weitergehen, der Laden brummt wie nie zuvor. Aber Dino ist müde. Patrizia ist müde. Nach neun Jahren schwerster Schufterei ist die 40-Jährige am Ende ihrer Kräfte.

«Die Postkarten dort an der Wand in der Ecke
das Foto vom Fussballverein
das Stimmengewirr
die Musik aus der Jukebox
all das ist ein Stückchen Daheim.»

«Man soll gehen, wenns noch Spass macht», sagt sie, die schon als Kind ihren Eltern beim Wirten zusah. Zuletzt häuften sich die Probleme mit einzelnen Mitarbeitern, mal fehlte was in der Kasse, dann hatte der Koch wieder mal einen über den Durst getrunken. «Wir hätten nochmals einen Neuanfang gebraucht», sagt Patrizia, «hätten ein neues Team einarbeiten müssen. Aber jetzt bin ich 40, vielleicht gibt es für mich noch andere Ufer zu entdecken.»

Die Wurlitzer Jukebox, ein Prachtsstück aus den 60er-Jahren.

Patrizia Ponziani holt einen Franken aus der Kasse, steckt ihn in die alte Wurlitzer Jukebox. «Ein Stutz, drei Lieder», sagt sie und drückt: Peter Alexander, «Die kleine Kneipe». «Das ist unser Lied, wir haben nur ein Wort verändert. Wir singen: ‹Die Kleine Kneipe in unserem Hafen›, statt Strasse. Sonst stimmt alles haargenau.»

«Du wirfst eine Mark in den Münzautomaten
schaust anderen beim Kartenspiel zu
und stehst mit dem Pils in der Hand an der Theke
und bist gleich mit jedem per Du.»

Das Lied wird sie am Freitag auch spielen. Dann gibts den grossen Abschluss, das letzte mal Cordon bleu. 50 Kilo hat Ponziani gekauft. Usstringgete ist ab 16.00 Uhr und bis in die Nacht. Der «Seemannskeller» segelt ein letztes Mal hart am Wind.

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