Das Spalentor steht als Modellbogen auf der Theke. Säuberlich beschriftet lagern in den Regalen Freundschaftsbücher, Poesiealben und Einfasspapier. Eine Papeterie voller Schulnostalgie wie diese müsste man anderswo lange suchen. Seit 52 Jahren führen Jürg und Bianca Humbel das Geschäft. Das Paar treibt unauffindbares Büromaterial auf und beliefert sogar Altersheime bis auf die Zimmer. «Die Leute bitten uns jeden Tag, dass wir unbedingt weitermachen sollen», sagt Bianca Humbel.
Nicht nur Senioren, auch Familien mit Kindern, Studierende von nebenan und Lehrer gehören zu den Stammkunden. Dazu kommt auch eine Gruppe, auf die man wohl nicht auf Anhieb kommen würde: Expats. Laut Bianca Humbel schätzten viele von diesen den persönlichen Service. «Das darf man wohl nicht zu laut sagen, doch sie finden die Bedienung in vielen Schweizer Geschäften sonst oft mangelhaft».
Die Papeterie Humbel ist eines dieser Urgesteine, die einfach nicht von der Spalenvorstadt wegzudenken sind. In dieser Strasse mit den schmalen Altstadthäusern von der Lyss bis zum Spalentor reiht sich ein Geschäft ans andere. Ausgefallene Bijous, irgendwo zwischen Kitsch, Extravaganz und Nostalgie wechseln sich ab. Opulente Kronleuchter, Schattentheater und Puppenköpfe zieren hier die Schaufenster.
Eine Viertelmillion für einen Laden
Hier gibts gleich zwei Buchhandlungen, eine Apotheke wie aus alten Tagen und der Musik Oesch, der als Piccolo-Klinik für die Fasnacht unentbehrlich ist. Stadtbekannt sind auch die Zombiemasken, Knallteufel und Scherzblut vom legendären Zauberlädeli, das Susi Blum seit 41 Jahren führt. Wie die Humbels denkt auch sie nicht ans Aufhören – trotz vieler Halloween-Verkleidungen im Internethandel als grosse Konkurrenz. Blum kommt entgegen, dass sie gleichzeitig die Besitzerin der Liegenschaft ist. Die meisten anderen Ladenbetreiber sind eingemietet.
So etwa Rolf Hermann. Im Gegensatz zum Zauberlädeli wachen bei ihm im Maison du Bonheur nicht Dämonen, sondern Engelsfiguren im Schaufenster. Es war aber kein Himmelsbote, sondern die Finanzkrise von 2008, die ihn in die Spalenvorstadt brachte. «Ich bin sozusagen ein Zwangsaussteiger». Der ehemalige Produktionsleiter stand damals ungewollt vor einem Neuanfang. Raus aus dem Hamsterrad begann er, bei Trödlern in Frankreich und Italien nach seltenen Kleinantiquitäten, Uhren und Kunstwerken zu stöbern – eigentlich das, was schon immer sein Traum war.
Den geräumigen Laden für seine Trouvaillen in der Spalenvorstadt fand er schnell – die Fluktuation sei schliesslich gross. Eine hohe Hürde war aber das Startkapital: «Für einen solchen Laden muss man während den ersten fünf Jahren mit Ausgaben von etwa einer Viertelmillion rechnen», sagt Hermann. Die Einrichtung, die anfänglich ausbleibende Kundschaft und vor allem die Ladenmiete – all das mache das Ganze zu einem teuren Unterfangen. Gerade das findet er sehr schade: «Ich kenne viele junge Leute mit tollen Ideen, die aber einfach nirgends einen bezahlbaren Platz finden».
Anders siehts mit den Mietpreisen gleich um die Ecke aus, wo die Schützenmattstrasse beginnt. Beim etwas versteckten Schlöhlein riecht es nach altem Papier, in den Regalen stapeln sich unzählige Notenblätter. Von der Originalausgabe von Bachs «Wohltemperiertem Klavier» bis hin zu Lithografien zu Schlagern wie «Blond muss mein Mädel sein» findet sich hier alles, was das Musikerherz begehrt.
Hier war die relativ günstige Miete ein Vorteil. «Im Gegensatz zur grossen Konkurrenz, dem Musik Hug an der Freien Strasse, konnte mein Laden überleben», sagt Andreas Kurmann. Er übernahm das Traditionsgeschäft vor zwölf Jahren, die Wurzeln des Schlöhlein gehen aber bis in die Vierzigerjahre zurück. «Wenn man lange am gleichen Ort ist, schafft man es auch ins Bewusstsein der Leute». Einige Basler Chöre halten als Stammkunden zu ihm, zudem bringen ältere Leute immer wieder alte Noten fürs Antiquariat.
Chancenlos gegen die digitale Konkurrenz
Längst nicht alle Exoten dieser Gegend konnten sich über Wasser halten. Ruedi Baumann musste etwa vor zwei Monaten sein Modelleisenbahn-Geschäft Beltrami nach 38 Jahren dicht machen. Das geschah altershalber, aber nicht nur: «Das Internet macht uns kaputt», klagt der 82-Jährige. Auch im Vergleich sei der Spalenberg nicht optimal gewesen. «Bei der Lyss zweigen alle ab – nur wenige bahnen sich ihr Weglein bis hierher». Dass Jüngere einen solchen Laden weiterführen, hält er für unwahrscheinlich: «Jemand mit Familie könnte von einem solchen Laden nicht mehr leben». Zudem gebe es immer weniger «AHV-Teenager», wie er zum Spass die leidenschaftlichen «Yysebäänler» nennt.
Auch der «Pinguin» schüttelt den Kopf. «Das ist keine freudige Entwicklung», sagt Mario Nanni. Seine Bierspezialitätenbeiz gleich an der Ecke zum Schützengraben ist ein weiteres Basler Unikat. Mit Bierhumpen an der Decke und Tausenden von Sammelstücken rund um den Gerstensaft ist der «Pinguin» seit 1980 so etwas wie ein Museum der Braukultur.
«Sie machten die Spalenvorstadt zur Flaniermeile – doch wer flaniert hier schon, vor allem wenn es dunkel wird?», meint der Bierkenner. Vieles stösst ihm sauer auf: das Verkehrsregime, fehlende Parkplätze, Rauchverbot, Konkurrenz durch Take-Aways. «Dank Stammgästen kann ich trotzdem weitermachen». Zusammen mit seiner Frau führt er das Lokal, doch im Gegensatz zu früher ohne Angestellte.
Erfolg in der Nische
Gar nicht ins Gastro-Klagelied einstimmen will hingegen Andreas Cavegn. Seit zwei Jahren wirtet er im Restaurant «zum Tell», gleich beim Spalentor. «Wir wurden hier gut aufgenommen, die Umsätze sind jedes Jahr gestiegen». Man müsse mit einer Beiz heute Nischen suchen, um die Leute abzuholen. So sei bei ihm der Schnipo-Teller kein Thema. Sud- und Schmorspeisen stehen auf der Karte, dazu Bündner Spezialitäten wie Capuns. Immer wieder gebe es beim «Tell» Synergien mit den Nachbarsgeschäften. Mal spannt das Restaurant mit dem Inneneinrichtungsladen für einen Anlass zusammen, mal gibt es eine sizilianische Nacht mit dem italienischen Imbiss von nebenan.
Tatsächlich weist vieles darauf hin, dass manche Läden hier am gleichen Strick ziehen, um sich zu behaupten. Die Weihnachtsbeleuchtung der IG Spalenvorstadt beleuchtet auch dieses Jahr die Strasse. Die «Spale-Zytig», das Infoblatt des Vereins, liegt auf den Ladentheken, das blaue Logo des Vereins «Buy Local» klebt an einigen Vitrinen und im Frühling gibts wieder eine «Spalenacht».
Einer, der früher als IG-Präsident besonders um den Zusammenhalt bemüht war, ist der ehemalige Kunstgeschichte-Dozent, Mundartdichter und Anwohner Beat Trachsler. Nun möchte er eher in den Hintergrund treten und die «Neuen» vorlassen. Einen Satz, um die Spalenvorstadt zu charakterisieren hat er dennoch parat: «Wir sind wie ein kleines Dörflein mitten in der Stadt».
In dieses Dorf mit den Traditionsgeschäften wagen sich auch Leute mit neuen Ideen. So etwa bei der Äss-Bar, die Brot vom Vortag wiederverwertet. Vergangene Woche öffnete zudem Edelshirt als Nachfolger eines Tattoo-Studios seine Türen. Der gelernte Schneider Christian Wernle entwirft Shirts und Pullover, die er dann in einem kleinen Familienbetrieb in Lugano herstellen lässt. Auch wenn seine Ware im höheren Preissegment angesiedelt ist, wagte er allen Unkenrufen zum Trotz das Risiko eines Neuanfangs. «Was man so hört, hat mich nie beeindruckt», sagt Christian Wernle. Gerade in Krisenzeiten gäbe es Raum für neue Ideen, so seine bisherige Erfahrung mit früheren Ladenprojekten.
Ebenfalls einen Anfang in der Strasse wagte Antonio Russo mit Sapori del Sud. Zusammen mit der Mamma, die mit Familienrezepten zur Seite steht, bereitet er Pastrami-Sandwichs und Lasagne zu. Dankbare Abnehmer seien hungrige Studenten, ansonsten könne die Laufkundschaft aber noch zulegen, so Russo.
Andere haben die ersten Anlaufschwierigkeiten bereits hinter sich. So etwa die ehemalige Balletttänzerin Désirée Petitpierre. In den zwei Jahren Puppenhaus-Verkauf kam das Geschäft in den letzten drei Monaten in Fahrt. Allerdings hat sie im Gegensatz zu anderen in der Nachbarschaft ein zweites Standbein als Kulturmanagerin. Was in ihrem Sortiment zu sehen ist, scheint somit für die ganze Strasse zu stehen: Es bietet sich eine Kulisse wie in einem Setzkasten oder Adventskalender. Hinter jedem kleinen Fenster wartet eine Überraschung.
Abgesehen von ein paar Ausnahmen sind die Anbieter all dieser Kuriositäten hauptberuflich tätig und im Laden eingemietet, was mit viel Startkapital und hohem Risiko verbunden ist. «Gerade weil diese Läden ein sehr spezifisches Segment, Beratungen und ein Erlebnis anbieten, funktioniert das aber durchaus», sagt Mathias F. Böhm, Geschäftsführer Pro Innerstadt Basel. Dass in der Spalenvorstadt vor allem Läden mit Antiquitäten, Kunsthandwerk und Designobjekte zu finden sind, erstaunt ihn deshalb nicht. «Produkte, die Gefühle und Erinnerungen auslösen, bilden einen Gegentrend oder eine Ergänzung zur Digitalisierung», sagt Böhm.