Ein Zentimeter Schnee und Basel versinkt im Chaos

Seit Donnerstag sieht man sie rutschen und fallen, Städter mit Sommerpneus und Hipster auf Rennvelos. Wo bleibt denn der Winterdienst? Wir haben ihn gefragt.

Es schneielet, es beielet, es goht e kiehle Wind. Die einte, die löhns Velo stoh, die andere hauts uf e Grind.

Schnee und Eis! Oh, ihr Naturgewalten! Wen sah man nicht alles straucheln in den letzten Stunden. Schon nur die Berichte aus dem näheren Umfeld ergeben ein volles Protokoll: 

  • Auf dem Bahnhofsplatz kommt ein Anzugträger beschwingt daher, pfeift ein Lied, rutscht in seinen Lederschuhen aus. Humpelt weiter.
  • Ein Autofahrer steht auf der Reussstrasse, will in die Paradieshofstrasse abbiegen. Spult mit seinen Sommerreifen.
  • Ein paar Schritte weiter stehen zwei parkierte Autos. Beide haben eine Beule. 
  • Eine Velofahrerin biegt von der Schützenmattstrasse in die Spalenvorstadt ab. Schnee zwischen den Tramschienen. Es haut sie fast um.
  • Das Unispital behandelt am Donnerstag rund zwei Dutzend Unfallopfer (Stürze, Brüche und Leichteres) mehr als an einem durchschnittlichen Wintertag ohne Schnee.
  • Die BVB warnen vor Verspätungen und Rutschgefahr an den Haltestellen. Einem Passagier knallt das Smartphone vom Handschuh auf den Boden.
  • Im Bus hockt eine Redaktorin und schreibt eine Nachricht an die Redaktion: «Komme zu spät, der Bus ist überfordert mit dem Schnee.» 
  • Hinter ihr telefoniert eine Frau und sagt in Bündnerdialekt: «Typisch Städter, dia khönts aifach nit mitam Schnee.»
  • Sprüche von Berglern schneit es auch auf Facebook. Auch Zürich kommt dran: «Treffen sich zwei Schneeflocken. ‹Wohin fliegst du?› ‹Nach Zermatt, da kann ich liegen bleiben. Und du?› ‹Nach Zürich. Bisschen Panik verbreiten.›»

Zwischenfazit: Aha, Chaos wegen ein, zwei Zentimeter Schnee. Die Städter könnens halt nicht besser. Aber wer ist Schuld?

Anruf bei Stefan Pozner, verantwortlich für die Basler Schneeräumung. Frage an ihn: «Haben es die Stadtreiniger in Basler weniger im Griff als der Schneeräumungsdienst in Brig oder Davos?» Antwort: «Nein. Aber die Davoser fahren bei Schnee nicht mit dem Rennvelo ins Büro. Oder mit Sommerreifen.»

Überall gleich

Die Schneeräumung läuft in der ganzen Schweiz gleich ab, nämlich nach den Normen der Vereinigung Schweizerischer Strassen- und Verkehrsfachleute. Die legen fest, welche Strassen zuerst geräumt werden müssen, und wie lange das dauern darf. 

Es gibt Dringlichkeitsstufen: 

Stufe 1: Zuerst müssen Autobahnen und Strassen geräumt werden, die Krankenwagen, Feuerwehrautos und andere Sicherheitsdienste sowie der öffentliche Verkehr am meisten benutzen. Das muss der Winterdienst in den ersten drei Stunden nach Ende des Schneefalls erledigt haben. Wenn es nicht aufhört zu schneien, bleibt der Winterdienst weiter auf Dringlichkeitsstufe 1 im Einsatz.

Stufe 2: Sind die Strassen gemäss Dinglichkeitsstufe 1 geräumt, sind Quartierstrassen, Velowege, Zugänge zu Schulen und Kirchen und so weiter an der Reihe. Zeitbudget für den Winterdienst: Vier weitere Stunden.

Stufe 3: Jetzt kommen die restlichen Strassen, Wege und Plätze dran. Dafür sind nochmals sechs Stunden vorgesehen.

Wer also heute nach Feierabend auf einer verschneiten Strasse heimschlingert und sich fragt, wo denn der Winterdienst bleibt: Sorry, es liegt an der Dringlichkeitsstufe. 

Auch wenn die Schneeräumer schweizweit nach derselben Norm räumen, gibt es dennoch Unterschiede zwischen Berg und Tal, sagt Pozner. «Wenn der Schnee in Brig zehn Zentimeter hoch liegt, nimmt man den Schneepflug und dann ist er weg.» Bei dem wenigen Schnee, der am Donnerstag lag, nützte ein Pflug aber nichts. «So einen Flaum kann die Schaufel gar nicht greifen.» Da hilft nur Salz.

Auch ein bisschen selber schuld

Aber Achtung: Es liegt nicht alles beim Winterdienst. Das Gesetz sagt klar: Wer auf den Strassen unterwegs ist, muss sein Fahrverhalten den Umständen anpassen. 

Und Fussgänger? Schicke Schühchen oder Sneakers gehen zwar eigentlich immer, aber: «Man geht ja nicht im Winter mit Badeschläppli auf die Strasse und wundert sich dann, dass man rutscht und friert», sagt Stefan Pozner.

Der Winterdienst versucht zwar, gewisse Massnahmen zu ergreifen, bevor es schneit. Am Mittwochabend etwa streute Pozners Team vorbeugend Feuchtsalz und flüssige Salzsole auf exponierte Velo- und Schulwege sowie auf Brücken, damit sich möglichst kein Eis bildet und der Schnee sofort schmilzt. Aber überall geht das nicht. 

Oder wie Pozner sagt: «Leider können wir den Schnee nicht präventiv wegräumen. Er muss zuerst liegen.»

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