Das Theaterzelt mit der bunten Aufschrift «Tokkel-Bühne» gehört zum Inventar der Herbstmesse – zum ersten Mal 1979 auf dem Barfüsserplatz, später auf dem Münsterplatz und nun seit zwanzig Jahren auf dem etwas ruhigeren Petersplatz. Seit 39 Jahren begeistert das Figurenspielerpaar Christoph und Silvia Bosshard-Zimmermann Scharen von Kindern. Und deren Eltern, die als Kinder ihrerseits bereits von ihren Eltern ins Theater geführt worden waren.
Die Kinder, die in den kommenden 18 Tagen auf dem Petersplatz bei Kasperlis Abenteuern mitfiebern werden, können die Treue zur Tokkel-Bühne aber nicht weitervererben. Die 39. Saison wird die letzte sein. Am 15. November wird das tonnenförmige Theaterzelt zum letzten Mal abgebaut. 18 Tage am Stück mit jeweils zwei Vorstellungen pro Tag sei kaum mehr zu leisten, sagt Christoph Bosshard-Zimmermann. «So schön diese Arbeit ist, wir wollen lieber im Vollbesitz unserer Kräfte aufhören», sagt er.
Grosse Hingabe an die Figuren
Mit ihren 69 Jahren versprühen die beiden Figurentheaterleute noch immer spürbar viel Begeisterung für ihr Handwerk. Und eine grosse Hingabe an ihre Figuren, die Christoph Bosshard-Zimmermann allesamt selber hergestellt hat: allen voran natürlich den Kasperli – wobei die Schöpfer vom Kasper sprechen, was bei seinem Alter von mittlerweile fast zwanzig Jahren durchaus angebracht ist.
Auf der Hinterbühne trifft man auch die Hexe an, deren Gehilfen Scharlatan, den Zwerg und das Eichhörnchen, die das programmierte Stück «Dr Kasper schloft ii» bevölkern. Das Eichhörnchen ist übrigens die einzige Handpuppe, die man landläufig als «Käsperlifigur» bezeichnet, alle anderen sind Stabfiguren. Das hat den Vorteil, dass sie grösser sein können als Handpuppen und somit auch ein «grösseres» Haus zu bespielen vermögen – wie das elf mal sechs Meter messende Tokkel-Zelt, in dem bis zu hundert Zuschauerinnen und Zuschauer Platz haben. «Dann wird es allerdings recht eng.»
Christoph und Silvia Bosshard-Zimmermann haben sich ihren Traum vom eigenen mobilen Theater vor 40 Jahren erfüllt. Ein befreundeter Architekt hatte das Zelt entwickelt, das die ganzen Jahre hindurch dasselbe geblieben ist. Privat sind sie bereits seit 48 Jahren ein Paar. «Wir waren 21 Jahre alt und arbeiteten beide am Städtebundtheater Biel-Solothurn, als wir uns verliebten und begannen, Pläne für ein eigenes Theater zu schmieden», sagt Silvia Bosshard-Zimmermann.
1260 Mal das Zelt auf- und abgebaut
Jetzt blicken sie auf eine im wahrsten Sinne des Wortes bewegte Zeit zurück. 1260 Mal haben sie landauf, landab und auch an vielen Festivals im Ausland ihr Theaterzelt auf- und abgebaut. Mit über 6200 Aufführungen haben sie mehr als 320’000 Zuschauerinnen und Zuschauer erreicht. Und während dieser Zeit zudem zwei Töchter grossgezogen.
«Wir lebten mit den Kindern in unserem Lieferwagen, die Helfer sowie die Lehrerinnen oder Lehrer, die uns auf den Tourneen begleiteten und die Töchter unterrichteten, übernachteten im Theaterzelt», sagt Silvia Bosshard-Zimmermann.
Die Herbstmesse mag arbeitsmässig die strengste Zeit sein – früher spielten sie bis zu vier Vorstellungen pro Tag –, der Aufführungsort hat aber den Vorteil, dass er nicht weit vom festen Wohnsitz der Theaterleute in Liestal entfernt liegt. Und es war mit dem gedrängten Auftrittsprogramm jeweils die ertragreichste Zeit im Jahr. Die Tokkel-Bühne musste das allermeiste Geld selber einspielen. «Ausser ab und zu einen Staatsbeitrag für Neuproduktionen bekamen wir nie Subventionen», sagt Silvia Bosshard-Zimmermann.
Privat und beruflich in so enger Art und Weise aneinandergeschweisst zu sein: Ging das immer gut? Natürlich gebe es Konflikte, wie in jeder Beziehung, sagt Silvias Spielpartner und Ehemann. «Aber auf der Bühne darf das niemals spürbar sein.» Wie beim Kasper lautete die Devise: Stets den Kopf hoch halten und sich niemals unterkriegen oder die gute Laune verderben lassen.
«Während all den Jahren mussten wir nur ganz wenige Vorstellungen ausfallen lassen», sagen beide.
Bleibende Erinnerungen
Aber jetzt gehts in die letzte Spielzeit – zumindest mit dem Theaterzelt. Denn im Kulturhaus Palazzo in Liestal und im Figurentheater Luzern werden sie ihre Figuren noch einmal auftreten lassen.
Spielt da viel Wehmut mit? Die beiden Theaterleute weichen der Frage aus. «Wir werden uns nach der letzten Vorstellung sicher auf spezielle Art beim Publikum verabschieden und uns für die tollen Zeiten bedanken», sagt Christoph Bosshard.
Bleiben werden viele Erinnerungen. Etwa an Auftritte als Figurenspieler in Produktionen am Opernhaus Zürich – mit menschengrossen Figuren, die Christoph Bosshard ebenfalls selber hergestellt hatte: sicher ein Höhepunkt in ihrer Karriere.
Und natürlich bleiben Erinnerungen an die kleinen und grossen Zuschauerinnen und Zuschauer. «Ein grossartiges Publikum», sagen beide unisono. Eines, das stets mit Feuer und Flamme dabei war, trotz medialer Überflutung, der selbst kleine Kinder ausgesetzt sind.
«Das beste Beispiel dafür war ein Kind, das sich von seiner Mutter erklären liess, dass die Figuren nur aus Stoff und Holz bestehen», erzählt Silvia Bosshard-Zimmermann. «Nach der Vorstellung erinnerte es sich aber mit voller Überzeugung daran, dass der Kasper beim Sprechen seinen Mund bewegt hatte.»