Die Bilder von den Protesten gegen den Präsidenten Nicolás Maduro gehen um die Welt. Und die Presse verschweigt wieder einmal einiges. Das ist zumindest die Ansicht von Carolus Wimmer. Der gebürtige Münchner lebt seit 47 Jahren in Venezuela.
Als Sekretär für Internationales bei der Kommunistischen Partei ist er nun auf Europatournee, um über die «wirkliche» Situation im Land zu referieren. Entsprechend beginnt sein Besuch in Basel mit einer Medienschelte. Alle, die schon einmal etwas Negatives über seine Vortragsreihe geschrieben haben, bekommen ihr Fett weg.
Uncle Sam, der Imperialist
Der Anlass im Unternehmen Mitte ist gut besucht, die Gastgeber heissen PdA Basel, Vereinigung Schweiz-Cuba und Alba Suiza, eine Gruppe für Solidarität mit den Ländern der von Hugo Chávez geprägten bolivarischen Revolution.
Der Titel des Vortrags klingt vielversprechend: Was passiert in Venezuela? Carolus Wimmers Antwort: eine Karikatur des gefrässigen Uncle Sam und eine Auflistung aller Militärinterventionen im «Hinterhof der USA». Der Imperialismus, der hinter den innenpolitischen Problemen des Landes stecken soll, ist überführt und demaskiert. Die Runde nickt zustimmend.
Im Gegensatz dazu stehe der von Chávez eingeleitete Prozess. «Wir sind noch immer im kapitalistischen System, haben aber Fortschritte gemacht», sagt Wimmer. Zugang zu Arbeitswelt, Bildung und Kultur seien etwa Errungenschaften dieser Politik. Erneut folgt ein zustimmendes Nicken.
Unruhe im Saal
Alles wäre so harmonisch, wenn da nur das Raunen aus den hinteren Sitzreihen nicht wäre. Eine Gruppe junger Venezolanerinnen gestikuliert aufgeregt. Endlich steht die Fragerunde an. Der Moderatorin ist die Unruhe im Saal nicht ganz geheuer. Schlussendlich geht das Mikro an eine Venezolanerin. «Ihr solltet nun auch die andere Meinung hören», fängt sie an. «Die lesen wir doch schon jeden Tag in der Zeitung», höhnt einer der Organisatoren, noch ehe sie zu ihrem Statement ansetzen kann.
«Wir haben weder genug Medikamente noch Nahrungsmittel und schon gar keine Sicherheit», meint eine andere Venezolanerin. Ein müdes Lächeln und Kopfschütteln gehen durch die Runde. «Es gibt aber keinen Analphabetismus mehr», kontert eine Maduro-Anhängerin, was die Oppositionellen ihrerseits mit Hohngelächter quittieren.
Schliesslich läuft die Sache vollends aus dem Ruder: Während Carolus Wimmer seine Antwort beenden will, fällt ihm eine weitere junge Frau ins Wort und stürmt mit einer Venezuela-Flagge nach vorne: «Alles Lügen!» Sogleich packt ein Maduro-Sympathisant die Frau unsanft und zerrt sie vor die Tür. Freunde eilen ihr zu Hilfe. Es gibt ein Handgemenge.
Basler werfen den Migrantinnen vor, zu einer «weissen Mittelschicht» zu gehören.
Die Gemüter beruhigen sich wieder, doch nur kurz. Das Theater geht auch ohne Rempeleien weiter. Befürworter von Wimmers Position (mehrheitlich Nicht-Venezolaner) schmähen die Gegenseite (mehrheitlich Venezolanerinnen) als «US-Agentinnen». Es wird immer abenteuerlicher: Basler werfen den Migrantinnen vor, zu einer «weissen Mittelschicht» zu gehören. «Haut ab», dröhnt es schliesslich durch den Saal.
Carolus Wimmer schaltet sich ebenfalls ein: «Mädchen, warum hast du nicht gleich die US-Flagge mitgebracht?» Der Referent und manche Zuhörer sind sich einig: Die Demos gegen Maduro sind vom Ausland orchestriert. Es handle sich schliesslich um von den USA, Israel und Kolumbien geschulte Konterrevolutionäre.
Niederschreien und wegzerren
Was passiert also in Venezuela? Der Abend bietet dazu nicht viel mehr als das, was in den gehässigen Kommentarschreiber-Schlachten über dieses Land zu lesen ist. Hier nur eben mal live, Niederschreien und Wegzerren inklusive.
Ein paar Erkenntnisse gibts dennoch: Die Fronten stehen sich unversöhnlicher denn je gegenüber, selbst 8000 Kilometer von Caracas entfernt. Man will nur die eigene Schallplatte hören, die andere Seite ausreden lassen, das geht gar nicht. Es könnte ja sonst eine spannende Diskussion mit Inhalten statt Schlagworten entstehen.