Es passiert am helllichten Tag. Oder in der Nacht. Auf jeden Fall unter Erkern, Bogen und Konsolen. Und das fast überall in der Stadt. An der Hardstrasse zum Beispiel, da gibt es diese bärtigen Gesellen. Streng schauen sie auf uns herab, jedes Mal, wenn wir an ihnen vorbeigehen. Schlechtes Gewissen programmiert.
Lustiger ist es an der Münzgasse, wo uns ein komischer Kerl direkt ins Gesicht grinst. Wiederum fies im Gundeli, da fühlen wir uns gleich von einer ganzen Gruppe verspottet.
Die Rede ist von den Maskaronen, ornamental verfremdete Reliefköpfe, die in Basel so manches Gebäude schmücken. Sie sind nicht zu verwechseln mit den Porträtbüsten. Der steinerne Kopf von Baumeister Hans Nussdorf (1420–1503) am Basler Münster zum Beispiel, das ist eine Porträtbüste. Da gehts um Verewigung einer historischen Person. Bei den Maskaronen dagegen, diesen seltsam verzerrten Fratzen, gehts eher ums Spielerische.
Wie ein Kopf irritieren kann
Über die Hintergründe der Maskaronen ist herzlich wenig bekannt. Ultradünne Quellenlage, bestätigt der stellvertretende Leiter der Basler Denkmalpflege, Thomas Lutz. «Bis jetzt hat sich noch niemand im Detail damit auseinandergesetzt», sagt er. Erstaunlich eigentlich, da die Köpfe zwar bisweilen repetitiv, aber doch häufig Steinmetzarbeiten von guter Qualität seien.
Eine Epoche sticht aber heraus: «Es war im sehr ornamentfreudigen Historismus eine Modeerscheinung», sagt Lutz. Üppige Architekturformen und Bauskulpturen seien insbesondere von den 1880er-Jahren bis um 1900 weit verbreitet gewesen.
Das Phänomen zieht sich aber durch verschiedene Epochen, wenn auch immer wieder ein wenig anders. Im Barock zum Beispiel schmückten Reliefköpfe sowohl Gebäude wie auch Möbel und Gefässe. In der Spätgotik waren Blattmasken beliebt – mit Pflanzen verzierte, oft bärtige Gesichter. Bestens bekannt: «dr wild Maa». Das Motiv ist dank Vogel Gryff nicht nur als Ornament, sondern als tanzendes Ehrenzeichen immer noch lebendig.
Einst Geisterjäger, dann Schmuckstück
Die Angewohnheit, Häuser mit schrägen Fratzen zu versehen, geht aber noch viel weiter zurück. Das zeigt das Buch «Im Banne der Angst» (1992). Darin vergleichen Verhaltensforscher Irenäus Eibl-Eibesfeldt und Kunsthistorikerin Christa Sütterlin solche Masken quer durch verschiedene Kulturen und Epochen hindurch und stossen dabei auf immer wiederkehrende Elemente.
Demnach hätten die Maskaronen, auch als Neid- oder Gaffköpfe bekannt, von der Funktion her Dämonen vertreiben und anderes Unheil abwenden sollen. Es sind also apotropäische Symbole, vermutlich zurückzuführen auf den Zauberglauben der Kelten.
An die Kraft des «bösen Blicks», sogenannten Schadenzauber, glaubten auch schon die alten Ägypter. Schaut ein Steinkopf entsprechend von einer Fassade herunter, will er damit das Haus beschützen.
Egal in welcher Kultur oder Epoche: Oft zeigen die fiesen Kerle ihre Zähne oder strecken die Zunge raus – wie der Basler «Lällekönig». Berühmte Vertreter des Grotesken sind auch die Wasserspeier oder Gargoyles, wie sie etwa am Münster zu sehen sind. Viele Maskaronen sind Chimären, also Mischwesen aus Mensch und Tier, und haben berühmte Vorbilder wie die mythischen Gorgonen oder die Sphinx.
Auf einmal waren die Fratzen nicht mehr abschreckend, sondern schick.
Diese Tradition bricht bis heute nicht ab. Fratzen an Banken, Fratzen an Regierungsgebäuden, an Bürgerhäusern – man trifft sie in diversen Städten an. Einen regelrechten Aufschwung erfuhren die Maskaronen in der Gründerzeit. Bei den Gebäuden des Historismus spielten sie aber eine ganz andere Rolle als noch im Mittelalter und der Frühen Neuzeit: reiner Zierrat. Die Architekten des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts setzten quasi auf einen Retro-Look. Klassisch, gotisch, barock, das war nun mal en vogue. Womit die Köpfe plötzlich nicht mehr abschreckend waren, sondern schick.
Zu den bekanntesten Fratzen in Basel zählen diejenigen von Arnold Böcklin (1827–1901) in der Kunsthalle. Der Kunstmaler mochte offenbar den Schabernack. Bei seinen Arbeiten für den Monumentalbau von Melchior Berri an der Augustinergasse gerieten er und die Museumskommission sich in die Haare.
Zum Streit kam es wegen des Wandgemäldes im Treppenhaus. Der Künstler wollte nicht akzeptieren, dass sich seine Auftraggeber immer wieder in sein Schaffen einmischten. Böcklin rächte sich auf seine Weise, indem er prompt ein paar Mitglieder der Kommission in seinem Wandbild karikierte. Später holte er gemeinsam mit einem Bildhauer zum nächsten Streich aus: Mit den Sandsteinfratzen, die noch heute in der Kunsthalle zu sehen sind, sorgte er erneut für Aufregung, weil sich manche Leute darin wiederzuerkennen glaubten.
Kleiner Scherz unter Brüdern
Wie viele der zahlreichen Maskaronen in Basel bestimmte Leute auf die Schippe nehmen, ist nicht bekannt. Ein Beispiel gibt es aber noch. Man findet es bei der Confiserie Bachmann an der Gerbergasse, wo unter dem Erker steinige Gesellen mit beeindruckendem Schnauzbart hausen.
Der Architekt des Gebäudes, der Basler Heinrich Flügel (1869–1947), hatte die Stadt schon vorher reichlich mit fiesen Maskaronen bevölkert. Hier hat er sich um 1900 womöglich einen kleinen Scherz erlaubt, wie dem Bildband «Beflügelt durch Basel» von Heinz Weidkuhn zu entnehmen ist. Demnach soll der Architekt den Bauherrn Rudolf Flügel in mehreren Fratzen verewigt haben – ohne dass jener auch nur im Geringsten davon gewusst hätte. War ja «nur» der Bruder.
Weitere Köpfe, die auf eine Idee von Heinrich Flügel zurückzuführen sind, gibt es gleich in der Nähe, beim Haus «zur Rose» an der Falknerstrasse. Ein Dutzend Löwen lauern dort und mutieren an der Wand allmählich zu menschlichen Gesichtern.
Damit wären wir wohl wieder bei den Wilden Männern, Chimären und Monstern, die um die Jahrhundertwende eine spielerische Wiedergeburt erlebten.
Natürlich gibt es noch weit mehr Fratzen in Basel zu entdecken. Achten Sie beim nächsten Stadtspaziergang doch mal darauf. Vielleicht erkennen Sie dann einige wieder, wenn wir am nächsten Wochenende in einem zweiten Teil weitere Basler Maskaronen vorstellen.