Am 1. April 2017 gab es im Hirzbrunnen-Quartier nichts als strahlende Gesichter: Schüler, Lehrerinnen und auch zwei Regierungsräte feierten die Eröffnung des neuen Schoren-Schulhauses.
Zwei Jahre hatten die Bauarbeiten für das viergeschossige Schulhaus gedauert, das neben einer Doppel-Turnhalle und einem Kindergarten auch Platz für sechs Primarklassen bietet – eine Klasse pro Schuljahr. Kosten: 21 Millionen Franken.
Sechs Klassen, das bedeutet gleich viel Raumkapazität wie im ehemaligen Schulhaus ein paar Häuserzeilen weiter.
Der Plan: Im alten Schulhaus wird noch so lange unterrichtet, wie am neuen Ort gebaut wird, danach wird es nicht mehr benötigt. Deshalb entschied sich die Regierung auch dagegen, Sanierungsarbeiten wie an fast allen anderen Schulhäusern der Stadt durchzuführen.
Doch der Plan war kurze Zeit später schon wieder Makulatur. Das Erziehungsdepartement hatte sich bei den Schülerzahlen verschätzt, die Räumlichkeiten des alten Schoren-Schulhauses werden weiter benötigt.
Was ist passiert?
Der Verantwortliche für die Schulraumplanung sitzt in seinem Büro an der Leimenstrasse, vor sich mehrere Stapel mit Dokumentationen der Schulraum-Offensive. Hier laufen die Fäden der drei involvierten Departemente zusammen: Das Erziehungsdepartement bestellt, das Baudepartement baut und das Finanzdepartement zahlt. 790 Millionen Franken. Nicht mehr.
Thomas Riedtmann ist der Hüter dieser 790 Millionen. «Ich werde gehängt, wenn das Geld nicht für alle Bauprojekte ausreicht», sagt er mit einem verschmitzten Lächeln. Das Mammutprojekt ist gut unterwegs, das Geld wird aller Voraussicht nach reichen.
Der Stadt fehlt Schulraum
Trotzdem kann sich Riedtmann nicht auf seinen Lorbeeren ausruhen. Denn in der ganzen Stadt fehlt es an Schulraum. Prominentestes Beispiel: die Voltamatte. Die beiden bestehenden Schulhäuser Volta und St. Johann sind voll, deshalb braucht es ein neues Schulhaus auf dem Lysbüchel. Bis das steht, das heisst bis mindestens 2021, ist die Grünfläche im St. Johann von einem provisorischen Schulhaus belegt. Verteilt auf 37 Container gibt es hier Raum für zwölf Primarklassen, zwei Kindergärten und eine Tagesstruktur.
«Wir können nicht einfach auf Vorrat Schulraum bauen, der nicht genutzt wird.»
Diese Container hat die Stadt Basel gemietet, um den Raumengpass zu überbrücken. Und nicht nur das: 29,5 Millionen Franken liess die Regierung springen, um weitere solche temporären Schulbauten zu kaufen.
Entstanden ist der Engpass auch aufgrund des Sanierungsbedarfes, der sich durch die Schulharmonisierung ergab. Die Primarschulen brauchen mehr Klassenräume, Orientierungsschulen gibt es nicht mehr, die Gymnasialzeit ist kürzer. Das macht überall Umbauarbeiten nötig. Derzeit ist ein Grossteil der mobilen Bauten im Hirzbrunnenquartier im Einsatz, wo das Gymnasium Bäumlihof saniert wird und die Schulräume ausgelagert werden mussten.
Aber auch zwei Klassen der Hirzbrunnen-Primarschule sind hier untergebracht. Ihr eigentliches Schulhaus wurde erst vor Kurzem umfassend saniert, doch bereits bei der Wiedereröffnung fehlte es an Platz. Derzeit werden 17 Klassen dort unterrichtet – ausgerichtet ist das Schulhaus auf zwölf.
Das Problem des fehlenden Schulraums löst das Erziehungsdepartement also, indem es temporäre Schulbauten aufstellt. Je nachdem für einige Jahre. Das sei legitim, findet Thomas Riedtmann: «Wir können nicht einfach auf Vorrat Schulraum bauen, der nicht genutzt wird, das ist viel zu teuer.»
Für ihn ist die Rechnung eine einfache: Ein Primarschulhaus für zwölf Klassen kostet über den Daumen gepeilt 35 Millionen Franken. Das Erziehungsdepartement besitzt temporäre Schulbauten mit insgesamt 132 Unterrichtsräumen, die weniger kosten. «Mit diesen können wir flexibel auf die Bedürfnisse reagieren», erklärt Riedtmann.
Wie rechnet das Statistische Amt?
Trotzdem: Es fehlt an Schulzimmern. Und das, obwohl erst im Jahr 2011 entschieden wurde, wo es zusätzlichen Raum braucht – damals wurden unter anderem die Neubauten Erlenmatt, Sandgruben und Schoren beschlossen.
Wer trägt die Verantwortung für diese Fehlplanung? Schulraumkoordinator Thomas Riedtmann sagt: «Wir erhalten die Daten vom Statistischen Amt.» Dort sei man davon ausgegangen, dass die Kindergärtnerzahlen aus dem Jahr 2010 relativ stabil bleiben würden, bei den Primarklassen prognostizierte man langfristig Schülerzahlen von rund 6850 Kindern pro Jahr, was insgesamt 360 Klassen entspricht. Oder besser: entsprechen würde.
Denn bei den Kindergärten passte diese Annahme gerade einmal für ein Jahr. Ab 2011 stiegen die Zahlen kontinuierlich, 2016 haben sie sich einigermassen eingependelt bei einem Plus von durchschnittlich 480 Kindern im Vergleich zur Prognose.
«Die Datenbasis ist schmal. Es bleibt ein Stück weit Kaffeesatzlesen.»
Die Fehlkalkulation bei den Kindergärtnern wirkt sich automatisch auch auf die Primarklassen aus. Hier werden die Prognosen seit 2014 übertroffen. Geht man von 20 Schülern pro Klasse aus, gab es im Jahr 2017 insgesamt 33 Klassen mehr als 2011 prognostiziert.
Beim Statistischen Amt reagiert man gelassen auf die Frage, weshalb es sich bei seinen Berechnungen verschätzt habe. Geduldig erklären Kuno Bucher und Robert Luginbühl, mit welchen Daten sie arbeiten. Und sie betonen: «Was wir hier machen, sind Prognosen.» Die Zahlen-Spezialisten nutzen Daten aus der Vergangenheit, um einen Blick in die Zukunft zu werfen.
Mit dem Durchschnittswert der vergangenen drei Jahre macht das Statistische Amt die Berechnungen für die kommenden fünf Jahre. «Die Datenbasis ist schmal. Es bleibt ein Stück weit Kaffeesatzlesen», gibt Luginbühl unumwunden zu. Langfristige Prognosen seien nicht möglich.
Kommt erschwerend hinzu: Mit der Schulharmonisierung sind neue Schulstufen entstanden, für die keine historischen Daten vorliegen. «Zu Beginn konnten wir für das neue Schulsystem nur Zweijahresprognosen anbieten», so Luginbühl. Deshalb ist es für die beiden auch so wichtig zu sagen, dass sie «nackte Zahlen» liefern, ohne diese zu interpretieren.
Die Bevölkerung wächst schneller, als erwartet
Das Statistische Amt erstellt auch langfristige Prognosen zur Entwicklung der Bevölkerung der Stadt Basel. Vertreter aus allen Departementen versuchen sich an einer Vorhersage für die kommenden Jahrzehnte. Aber auch hier bleibt es beim Versuch, wie Lukas Mohler betont. «Man denkt in relativ groben Szenarien und versucht, damit eine gewisse Realität abzubilden.» Diese Szenarien müssten aber jedes Jahr überarbeitet werden.
Der grösste Faktor sei in einem Stadtkanton wie Basel der vorhandene Wohnraum. Auch die Attraktivität der Stadt oder die Geburtenrate entscheiden mit. Letztere hat sich verändert: Waren es 2001 noch 1,16 Geburten pro Frau in Basel-Stadt, sind es im Jahr 2016 1,38. Der schweizweite Durchschnitt stieg in dieser Zeit von 1,38 auf 1,55 Kinder pro Frau.
Das hat zur Folge, dass die Bevölkerung schneller wächst, als erwartet. Die Szenarien, die das Statistische Amt ausarbeitete, veranschlagten 2011, realistischerweise würde Basel-Stadt bis zum Jahr 2035 196’400 Einwohner zählen. Eine Rechnung, die bereits 2016 überholt war, als in Basel 199’947 Leute lebten. Die Statistiker entwerfen jeweils mehrere Szenarien. 2011 gingen sie im hohen Szenario von einem Wachstum von gegen 15 Prozent aus: 2035 würden demnach 218’000 Menschen in Basel wohnen.
50 neue Kindergärten in fünf Jahren
Heute zeigt sich, dass das hohe Szenario von 2011 realistisch sein dürfte. Im jüngsten Bericht von 2016 rechnen die Experten mit einer Bevölkerungszahl von 212’610 Einwohnern im Jahr 2035 – allerdings gilt diese Annahme unterdessen nicht mehr als hohes, sondern als mittleres Szenario.
«Das Wachstum bei den Schülerzahlen ist für uns toll.»
Es war also ein Fehler, davon auszugehen, dass die Schülerzahlen stabil bleiben würden. In Basel-Stadt mussten deswegen zwischen 2013 und 2017 insgesamt 50 Kindergärten neu eröffnet werden. Dafür müsse sich der Kanton meist in bestehende Fremdliegenschaften einmieten und manchmal auch ein Auge zudrücken, zum Beispiel bei der Raumgrösse, wie Riedtmann erklärt. Bei den Primarschulen ist das aber nicht möglich.
Deshalb hat der Kanton bei jenen Projekten, die noch nicht im Bau sind, frühzeitig reagiert. An drei Schulstandorten entsteht doppelt so viel Schulraum, wie ursprünglich geplant – so erhält die Stadt 18 zusätzliche Klassen.
- Lysbüchel: + 6 Klassen
- Rittergasse: + 6 Klassen
- Wasgenring: + 6 Klassen
Damit ist es aber nicht getan: Neben den geplanten neuen Schulbauten erhalten mehrere Standorte zusätzlichen Schulraum, der in der ursprünglichen Planung nicht vorgesehen war, wie Riedtmann erklärt.
So enstehen bei den Schulhäusern Gotthelf und Neubad neben den bestehenden Gebäuden zusätzliche temporäre Schulbauten. Ausserdem wird der Schulbetrieb an den Standorten Horburg und Schoren in den alten Schulgebäuden fortgeführt – geplant war, diese aufzugeben.
An der Volksschule freut man sich über die wachsende Schülerschar: «Wir sind glücklich», sagt Doris Ilg, stellvertretende Leiterin Volksschulen. «Das Wachstum bei den Schülerzahlen ist für uns toll.»
Immer mehr Expats schicken ihre Kinder in öffentliche Schulen.
Für sie hängen die steigenden Schülerzahlen nicht nur mit dem Bevölkerungswachstum zusammen. Sie beobachtet den Trend, dass in den vergangenen Jahren mehr Schülerinnen und Schüler von privaten an die staatliche Schule wechselten. Dabei handelt es sich oftmals um Kinder von Expats. «Oft geben die Eltern als Grund an, dass sie langfristig bleiben und ihre Kinder integrieren möchten. Oder dass die Firmen das Schulgeld nicht mehr zahlen», so Ilg.
Auch vorübergehende Lösungen können gute Lösungen sein
Die Volksschule wendet sich auch aktiv an die Betroffenen: «Wir informieren breit über unser Angebot, insbesondere bei internationalen Firmen», so Ilg. Die Erfahrung der vergangenen Jahre habe sie gelehrt, dass dies Vertrauen bei den Eltern schaffe. Immer öfter würden Eltern ihre Kinder deshalb auch von Anfang an in die Volksschule schicken.
Dass Basel über kurz oder lang keinen Platz mehr haben wird für seine Schüler, glaubt Ilg nicht. «Im Moment haben wir vorgesorgt.» Und innerhalb der Verwaltung finde man gemeinsam immer eine gute Lösung, ist sie überzeugt. Auch wenn diese nur übergangsmässig sei.
Egal, wie sich Basel entwickeln wird, für Schulraumkoordinator Thomas Riedtmann ist klar: In der Stadt wird es in Zukunft keine neuen Schulhäuser geben: «Entweder werden wir bestehende Gebäude erweitern oder mit mobilen Anlagen ergänzen müssen», sagt er. Für alles andere fehle der Platz.
Vorgaben für Entwicklungsgebiete
Bei den Standorten Horburg und Schoren müsse man jetzt einige Jahre beobachten, wie sich die Schülerzahlen entwickeln. Erst dann lohne es sich, über Sanierungsarbeiten (Schoren) oder einen Neubau (Horburg) nachzudenken – oder sich erneut mit temporären Schulbauten zu behelfen.
Anders sieht es natürlich bei Entwicklungsgebieten aus wie dem Lysbüchel-Areal, dem Dreispitz oder Klybeckplus. Für Letzteres gibt es bereits konkrete Vorgaben der Stadt: «Rund 30’000 Quadratmeter Grundstückfläche müssen für die Schulnutzung vorgesehen werden», sagt Riedtmann. Denn wenn der neue Stadtteil wie geplant gebaut wird, müsste eine Primarschule für 36 Klassen Platz bieten und eine Sekundarschule für 27.
Das sollte dann langfristig für alle Kinder reichen – zumindest glauben das die Zuständigen im Moment.