Im schmucken Barocksaal der Bürgergemeinde ist es schwülheiss an diesem Abend Ende Mai. Die gepolsterten Stühle sind zu beiden Seiten der Eingangstüre aufgereiht, vorne steht Bürgerratspräsident Patrick Hafner bereit. Langsam kommen die geladenen Gäste, suchen sich einen Platz mit guter Sicht auf die Preisträgerin des Bebbi Bryys der Basler Bürgergemeinde. Die ersten Schweisstropfen fliessen, mit den Programmblättern versuchen einige sich Luft zuzufächeln.
Es ist ein grosser Tag für Barbara Buser. Die Basler Architektin wird für ihr Werk geehrt, für ihre innovativen Arealentwicklungs-Projekte und ihre Dienste als Vermittlerin von Zwischennutzungen – kurz dafür, die Stadt vorwärtszubringen, wie Regierungspräsidentin Elisabeth Ackermann in ihrer Laudatio sagt. «Viele deiner Projekte sind beispielhaft für unsere Stadtkultur», lobt Ackermann die Preisträgerin. «Du tust unserer Stadt gut.» Buser reibt sich mit dem Finger unter dem Augenlid. Schwer zu sagen, ob sie eine Träne oder den Schweiss wegwischt.
In dieser Stadt führt praktisch kein Weg an Barbara Buser vorbei. Das Unternehmen Mitte, die Markthalle, der Foodtempel Klara, das Gundeldinger Feld und der Predigerhof sind nur einige der prestigeträchtigen Entwicklungsprojekte der unbestritten innovativen Baslerin. Sie hat sich aber nicht nur mit langfristigen Projekten einen Namen gemacht, sondern auch als Vermittlerin von Zwischennutzungen. Ihr jüngster Coup: Während fünf Jahren kann sie drei ausgediente Liegenschaften von BASF an der Nordspitze des Entwicklungsareals Klybeck plus an Zwischennutzer weitergeben.
Dass Busers Verein «unterdessen» einmal mehr auch bei diesem grossen Projekt den Zuschlag erhielt, stiess nicht nur auf Freude. Gerne hätte der Verein «Dreieck Klybeck» als Zwischennutzungs-Verantwortlicher einen Fuss in die Türe bekommen. Nicht wenige der Vereinsverantwortlichen sind Mitglieder der benachbarten Wohngenossenschaft Klybeck, die sich auf das BASF-Areal ausdehnen möchte und auch schon entsprechende Pläne präsentiert hat.
Professionell und zuverlässig
Aber für die BASF steht der Aspekt des Vorübergehenden bei einer Zwischennutzung im Vordergrund. Mit «unterdessen» hat man sich entsprechend einen Partner an Bord geholt, der nicht nur für regelmässige Mieteinnahmen geradesteht, sondern auch garantieren kann, dass die Bauten nach Ablauf des Vertrags wieder geräumt werden.
Nicht nur bei Privaten hat sich «unterdessen» einen Namen als professionelle und zuverlässige Stelle für Zwischennutzungen gemacht. Auch für Immobilien Basel-Stadt (IBS) ist der Verein erste Wahl.
Unter den elf aktuellen Zwischennutzungsprojekten von «unterdessen» befinden sich nicht weniger als neun Liegenschaften der IBS. Wie viele kantonale Liegenschaften über andere Wege zwischengenutzt werden, ist nicht bekannt. IBS schreibt ihre leer stehenden Gebäude nicht aus. «Wir publizieren die Zwischennutzungen nicht, da wir oft sehr schnell eine Lösung brauchen. Eine Ausschreibung würde kurzfristige Zwischennutzungen verhindern», sagt IBS-Sprecherin Barbara Neidhart.
Der kantonale Immobilienverwalter macht keinen Hehl daraus, dass «unterdessen» quasi das Monopol hat, wenn es um Zwischennutzungen von staatlichen Liegenschaften oder Arealen geht. «Wir haben eine sehr lange Partnerschaft mit ‹unterdessen› – und es gibt kaum Alternativen», sagt Neidhart.
Wie die BASF setzt auch der Kanton auf einen Partner mit viel Erfahrung. Laut Neidhart stehe dabei vor allem das Wohl der eigentlichen Zwischennutzer im Vordergrund: «Unser Ziel ist es, dass die Endnutzer einen günstigen Preis erhalten. Für den Kanton geht es in erster Linie um eine Wertschöpfung der kulturellen Art und dass die Liegenschaft überhaupt genutzt wird», sagt sie.
Günstiges Objekt und keine Besetzung
Damit dies umgesetzt werden könne, gebe es verschiedene Varianten, erklärt Neidhart. Deshalb sei es auch nicht möglich, eine standardisierte Vergabe durchzuführen. «Manchmal kommen die Partner auf uns zu, manchmal gehen wir zu ihnen. Andere professionelle Trägervereine können gerne mit uns in Kontakt treten», so Neidhart. Der Kanton verfolgt also eine Strategie der vielen Wege.
Diese Strategie verteidigt auch Roland Frank. Er ist Leiter der Fachstelle Stadtteilentwicklung in der Kantons- und Stadtentwicklung. Diese soll dafür sorgen, dass potenzielle Zwischennutzer schnell und unkompliziert zu freien Flächen, Liegenschaften oder Mietverträgen kommen. Die Interessenten erhalten so ein günstiges Objekt für ihr Vorhaben, der Kanton hat keine Mehrausgaben mit dem leer stehenden Gebäude und muss nicht befürchten, dass es besetzt wird.
Der Kanton organisiert aber selber keine Zwischennutzungen, vielmehr pflege er, so Frank, die Zusammenarbeit mit verschiedenen Trägerschaften. Denn die Zwischennutzung verpflichte auch: «Am Hafen sind ShiftMode und I_Land für die vielseitigen Angebote zuständig und auch dafür verantwortlich, dass die Zwischennutzung auf einen vereinbarten Termin hin endet», so Frank. Eine Verantwortung, die Trägerschaften besser übernehmen können als Privatpersonen, erklärt Frank.
Der Kanton hebt die Zwischennutzung am Hafen gerne als Paradebeispiel für eine gelungene Lösung hervor. Es war allerdings eine Lösung mit ziemlichen Anlaufschwierigkeiten. 2012 wollte der Kanton nämlich selber als Vermittler auftreten, auferlegte den Zwischennutzern aber so viele Regelungen und Einschränkungen, dass die meisten von ihnen bald das Handtuch warfen. Übrig blieb damals nicht viel mehr als der Wagenplatz, den man eigentlich nicht haben wollte.
Als Retterin in der Not übernahm Shiftmode vom Kanton einen grossen Teil des Areals. Der Verein sollte für diverse Zwischennutzungsprojekte bürokratische und bautechnische Hürden aus dem Weg räumen.
Der Verein hatte viele Ideen, kam beim Sprung ins kalte Wasser aber erst einmal in gehörige Atemnot: «Wir hatten keine Erfahrung, waren am Anfang gerade einmal drei Leute und mussten viel lernen», gesteht Katja Reichenstein. Sie ist einer der Köpfe des Projektkollektivs, das seit Jahren dafür zu sorgen versucht, dass auf dem Ex-Migrol-Areal im Hafen etwas läuft.
Steiniger Weg zum Erfolg
Das Ganze stellte sich als überaus steiniger Weg heraus: Als Erstes sprang mit der Kunstmesse Scope ein vermeintlich finanziell potenter Partner ab. Es folgte ein ganzer Reigen an Rechtsstreitigkeiten mit der Wohngenossenschaft Klybeck, die sich mit Händen und Füssen gegen den Bau von mehr oder weniger ganzjährig nutzbaren Holzhallen wehrte, letztlich aber vor Gericht auflief.
Mittlerweile wertet Reichenstein das Projekt als vollen Erfolg – gerade deshalb wünscht sie sich, dass der Kanton nicht nur mit einem Player zusammenarbeitet. «Ich wünsche mir mehr Mut, mehr Diversität, auch bei den Zwischennutzern», sagt Reichenstein. «Im Moment kommen immer wieder die gleichen Leute zum Zug», sagt Reichenstein mit Blick auf die Vermittler. Eigentlich nicht das, was man von einer Zwischennutzung erwartet. Schliesslich wäre genau das der richtige Ort, etwas auszuprobieren und vielleicht auch mal auf die Nase zu fallen.
Stattdessen setzt der Kanton regelmässig auf «unterdessen». Der Verein bietet anscheinend alles, was sich die Verwaltung wünscht: professionelle Organisation, viele Referenzobjekte und ein gutes finanzielles Polster.
Das finanzielle Polster ist nicht nur für den Kanton von Vorteil, sondern auch für die Endnutzer, betont Tom Brunner. Er ist Projektpartner von Reichenstein bei Shiftmode, vorher führte er vier Jahre lang die «Lady Bar». Als Zwischennutzer hatte er das Lokal von «unterdessen» gemietet. «Wenn wir mit den Zahlungen in Verzug waren, konnten wir mit ‹unterdessen› reden, sie kamen uns entgegen, gaben uns einen Aufschub. Beim Kanton wäre wohl einfach die Mahnung und dann die Kündigung gekommen», glaubt er.
Win-win-Situation bei Werkräumen
An «unterdessen» zahlte er eine Umsatzbeteiligung, so kamen zwischen 2800 und 4500 Franken pro Monat zusammen. Über die vier Jahre waren es also mehr als 134’000 Franken. Brunner rechnet vor, dass «unterdessen» zu Beginn 20’000 Franken in die Bar investierte. Die «Lady Bar»-Mieter steckten dann ebenfalls noch 80’000 Franken in die Infrastruktur. Finanziell habe sich das Projekt in dieser kurzen Zeit nicht gerechnet. Bei einem regulären Betrieb rechne man mit vier bis sechs Jahren, um die Investitionen wieder zu erwirtschaften. Anders sei es bei Atelier- oder Werkräumen. Hier spricht er von einer Win-win-Situation für Zwischennutzer und Vermieter.
Wie die einzelnen Preise zustande kommen, ist nicht bekannt. Immobilien Basel-Stadt sagt, dass sie die Gebäude oder Areale «kostendeckend» weitergeben. Das bedeutet: Nebenkosten wie Wasser, Strom, Heizung sowie ein minimaler Verwaltungsaufwand würden verrechnet. Wie der Partner diese weitergibt, liege in dessen Verantwortung. «Sie dürfen etwas einnehmen, denn sie haben auch Kosten und tätigen Investitionen», so Neidhart. «Die Mietpreise müssen jedoch in einem Verhältnis bleiben.»
Was das genau bedeutet, kann sie nicht ausführen. Dies hänge von den einzelnen Projekten ab. Dass es mit der Mietpreispolitik Probleme gäbe, ist Neidhart nicht bekannt.
Dass ihr Verein unterdessen einer der grössten Fische im Zwischennutzungs-Becken ist, weist Barbara Buser nicht von der Hand. Sie wehrt sich aber gegen den Vorwurf, alle Zwischennutzungen zugeschanzt zu bekommen. «Wir arbeiten hart dafür, die Projekte zu bekommen, für die wir uns bewerben», sagt sie. Dabei würde sie aber auch immer Rücksicht auf die Kollegen nehmen. «Wir bewerben uns vor allem für Projekte, die für die meisten zu gross sind oder bei denen niemand die Initiative ergreift.»
Eines dieser grossen Projekte ist die Revue Thommen in Waldenburg. Es ist der erste Rückschlag für «unterdessen», seit der Verein Zwischennutzungen betreibt. «Wir sitzen auf 900 unbezahlten Arbeitsstunden», so Buser. Die Nebenkosten seien so hoch gewesen, dass dafür die ganzen Mieteinnahmen draufgegangen seien. «Wir sind dieses Risiko eingegangen, weil man uns versprochen hat, das Gebäude zu einem abgemachten Betrag kaufen zu können. Jetzt wollen die Besitzer plötzlich mehr.» Buser ist enttäuscht.
«unterdessen» musste in Waldenburg eine Niederlage einstecken. Der Verein wird diesen Rückschlag überleben, weil er finanziell abgesichert ist. Das Beispiel zeigt anschaulich, wo die Probleme bei Zwischennutzungen liegen. Und weshalb die Projektleiter Geldreserven brauchen.
«unterdessen» handelt den Mietpreis für jedes Projekt einzeln aus
Auch wenn Basel-Stadt die Arbeit von Barbara Buser lobt, als ob sie selbstlos die Stadt erneuern würde, stellt die Architektin klar: «Natürlich verlangen wir Geld für die Zwischennutzungen, auch um unsere Mitarbeiter bezahlen zu können.» Dennoch betont sie, dass der Verein unterdessen nicht gewinnorientiert ist.
Je nach Dauer der Zwischennutzung erhält der Liegenschaftsbesitzer zwischen 10 und 80 Prozent der Mieten. Manchmal ist es aber auch gar nichts. «Der Mietpreis wird für jedes Projekt ausgehandelt. Wie lange dauert die Zwischennutzung, was wird vermietet, wie kommerziell ist das Projekt?», rechnet Buser vor. Und manchmal gibt es auch Projekte, die nur einen symbolischen Beitrag bezahlen. «Der Zirkus auf dem Dreispitz ist so ein Fall. Es war eine Brache ohne jegliche Infrastruktur. Jetzt ist wieder Leben darauf.»
Auch bei ihrem jüngsten Projekt auf dem BASF-Areal ist Barbara Buser zuversichtlich, dass Leben ins Quartier kommt. «Wir haben enorm viele Bewerbungen erhalten», sagt sie. Dennoch könne man sich immer noch melden. «Aus Erfahrung wissen wir, dass Leute während der Bewerbung auch immer wieder abspringen.» Nicht unerheblich dürfte dabei auch der endgültige Mietpreis sein. Denn auch hier gilt: In fünf Jahren werden grosse Investitionen nicht amortisierbar sein.
Auch nach dem Zuschlag von BASF wurde wieder Kritik laut, dass «unterdessen» mittlerweile zum Zwischennutzer-Monopol geworden sei. Dabei geht es den Kritikern nicht in erster Linie darum, die Geschäftspraktiken des Vereins von Barbara Buser schlecht zu machen. Sie kritisieren vielmehr die Vergabepraxis – insbesondere jene des Kantons.
«Barbara Buser sagt zu Recht, dass es neben ihr keine anderen Player gäbe. Es können ja auch keine entstehen», meint Philippe Cabane. Er hat selbst während zehn Jahren die Zwischennutzungen auf dem nt-Areal mitgestaltet und kennt die Herausforderungen dieses Geschäftsmodells.
«Die Strategie des Kantons, seine Liegenschaften quasi an eine Vertragsagentur zu geben, ist legitim», sagt er. «Aber wäre es nicht spannender, wenn es mehr Wettbewerb gäbe?» Cabane will die Arbeit von «unterdessen» nicht kritisieren. Er betont aber, dass jedes expandierende Unternehmen zu einer gewissen Standardisierung neige. Gerade bei Zwischennutzungen – die eigentlich einen innovativen Charakter haben sollten – sei diese Tendenz schade. «Mittlerweile verkommen viele Zwischennutzungen eher zu einem Vermietungsgeschäft mit Provisorien anstatt zu einer Stadtentwicklung zu führen», kritisiert er.
Für ihn ist klar, dass es beides braucht – Atelier- und Lagerräume auf der einen Seite, aber eben auch innovative Projekte, die über Jahre langsam entstehen können. Genau das mache Zwischennutzungen aus, und dafür brauche es auch kleine Player, welche die entsprechenden Erfahrungen sammeln können. «Wie soll eine Gruppe jemals ein grösseres Projekt stemmen, wenn sie nicht einmal eine kleine Liegenschaft erhält, an der sie sich die Hörner abstossen kann?», fragt Cabane.
Für die zwischengeschalteten Vereine, die einen professionellen Auftritt hinlegen müssen, entsteht ein neues Geschäftsfeld. Die Zwischennutzungen, die teilweise nur einige Monate, teilweise aber auch Jahre dauern, bedeuten einen stetigen Geldfluss – an die Vereine, aber auch an die Liegenschaftsbesitzer und damit den Kanton.
«Irgendwann steht doch die Frage im Raum, ob die Projekte nicht dem Beschaffungsgesetz unterstehen», sagt der ehemalige SP-Grossrat Tobit Schäfer. Das zuständige Amt kann allerdings keine allgemein verbindliche Antwort darauf liefern – dies müsse man von Fall zu Fall abklären. Bisher habe es keine solche Vergabe überprüft.
Aber noch ein anderes Problem sieht der Stadtentwickler Cabane voraus: Auch Zwischennutzer, die einen Ort aktiv beleben wollen, verhalten sich als Mieter einer Agentur anders. «Es ist fraglich, wie viele Leute ihr Herzblut in ein Projekt stecken wollen, das nicht ihr eigenes ist», glaubt er. Wenn zwischen Immobilien Basel-Stadt und dem Endnutzer eine Agentur ohne Bezug zum Ort zwischengeschaltet sei, nehme die Aufopferung ab.
«Deshalb müsste man dringend anfangen, neue Formen von Trägerschaften über öffentliche Ausschreibungen aufzubauen, wie schon beim Projektaufruf Klybeckquai, aus dem der Verein I_Land hervorgegangen ist», sagt Cabane. «Da bekommen auch Frischlinge eine Chance. Das belebt die Szene», ist er überzeugt.