Blut an unseren Kleidern

Gewissheit gibt es nie, dass die Kleider, die man kauft, fair hergestellt wurden. Manchmal wissen nicht einmal die Modeläden, dass sie die Ausbeutung unterstützen – oder sie wollen es nicht wissen.

Miserable Sicherheitsvorkehrungen: Bei einem Brand in der Kleiderfabrik Tazreen in Bangladesch kamen am 12. November über 100 Menschen ums Leben. (Bild: Andrew Biraj / Reuters)

Gewissheit gibt es nie, dass die Kleider, die man kauft, fair hergestellt wurden. Manchmal wissen nicht einmal die Modeläden, dass sie die Ausbeutung unterstützen – oder sie wollen es nicht wissen.

Wurden die Frauen, die Ihre Jeans genäht haben, korrekt entlöhnt? Lag Ihr Pullover in Kinderhänden, bevor er nach Europa geliefert wurde? Und Ihre Unterwäsche?

Das «Made in Bangladesh»-Schild weckt sofort unseren Verdacht, doch was tun? Nicht alle Kleider von dort stammen aus menschenunwürdiger Pro­duk­tion. Die Verkäuferin nach den ­Arbeitsbedingungen der Näherinnen fra­gen? Sie wird kaum zugeben: «Ja, wir beuten die Frauen aus.»

Würde die Textilindustrie Wert auf korrekte Arbeitsbedingungen legen und diese vor Ort durchsetzen, gäbe es weniger Schlagzeilen von toten Näherinnen. Allein in den vergangenen ­Monaten gab es mehrere solcher Meldungen. Bei einem Brand in einer Textilfabrik in der pakistanischen Hafenstadt ­Karatschi starben im Herbst 260 Menschen, in Bangladesch kamen Ende November 112 Arbeiter ums Leben. Wir sind empört und verunsichert. Und wir fragen uns: Welche Kleider kann man überhaupt noch kaufen?

Korrupte Subfirmen

Die Textilindustrie hätte die Mög­lichkeit, uns den Kaufentscheid zu erleichtern. «Auch Firmen mit sehr ­komplexen Lieferketten müssen verlässliche Kontrollen installieren», sagt Oliver Classen von der «Erklärung von Bern» (EvB), die in der Schweiz die Clean Clothes Campaign (CCC) koordiniert. Es gebe keinen nachvoll­ziehbaren Grund, das nicht zu tun. ­Dennoch wüssten zum Teil auch Konzerne, die soziale Verantwortung wahr­neh­men wollen, oft nicht, dass ihre Ware aus zweifelhaften Fabriken stammt: Im zweitgrössten Kleider­exportland Bangladesch geben überlastete Firmen Arbeiten häufig an Subfirmen weiter, ohne den Auftrag­geber zu informieren. Je kleiner das Label, desto einfacher ist es, den Überblick zu behalten.

In der jüngsten Firmenbewertung von CCC reicht die Skala von «Fort­geschritten» bis «Verweigerer». Unter Ersteres fällt etwa die Marke Switcher, die als eine der wenigen popu­lären Kleidermarken mit ihrem Engagement im sozialen und ökologischen Bereich nur positive Schlagzeilen generiert. Weniger schmeichelhaft dürfte etwa für Benetton oder Quicksilver die Note «Nachlässig» sein. Was «Verweigerer» wie Diesel betrifft, heisst das: Die Firma wollte den Fragebogen nicht ausfüllen, der CCC als Grundlage für die «Momentaufnahme» diente.

Die meisten Marken auf der Liste befinden sich im Mittelfeld unter der Bewertung «Durchschnittlich», so etwa auch die Jeansmarke G-Star. Die Firma arbeitet mit zehn Nähbetrieben in Bangladesch zusammen. Jürg Rengel ist verantwortlich für Beschaffung und Produktion der G-Star Inter­national und hat alle Firmen mehrmals persönlich besucht. Die Fabriken ­seien meist einstöckig und würden ­allen Sicherheitsstandards entsprechen. Das Personal müsse das Haus in drei Minuten verlassen können.

Lasche Kontrollen vor Ort

Das ist keine Selbstverständlichkeit, wenn man bedenkt, dass die ­in Karatschi und Bangladesch abgebrannten Fabriken bis zu neun Stockwerke und keine Not­ausgänge hatten, was die Flucht verunmöglichte. «Ich betrat schon öfters solche Fabriken – und ­verliess sie sofort wieder», sagt Rengel. An diesen Orten müssten die Menschen, meistens sind es Frauen, auf engstem Raum arbeiten. Schon auf den ersten Blick sei erkennbar gewesen, «dass ­Sicherheit ein Fremdwort ist».

Auch Geschäftsführer anderer Unternehmen kennen die Situation und wissen, dass es unter den Hunderten Näh­fabriken in Bangladesch viele mit prekären Arbeitsverhältnissen gibt. ­G-Star lege Wert darauf, sich ständig zu vergewissern, dass bei ihren Zu­lieferern keine miserablen Zustände herrschten, sagt Jürg Rengel. Eine ­eigens angestellte Mit­arbeiterin in Bangladesch sei stets mit allen Lieferanten im Kontakt, um soziale und ­sicherheitstechnische Standards zu überwachen. Die Ver­antwortlichen der Nähbetriebe würden sofort über Mängel informiert und angehalten, diese in einer gewissen Frist zu beheben.

Auch ist vertraglich festgehalten, dass keine Aufträge an Subfirmen weitergegeben werden dürfen. Um die Arbeitsbedingungen zu kontrollieren, führen unabhängige Institutionen Prüfungen durch. «So können immer wieder Vergehen aufgedeckt und korrigiert werden», sagt Jürg Rengel. Andere Firmen dagegen nehmen in Kauf, dass eine Näherin pro Monat zwischen 27 und 51 Euro verdient.

Zehn Partnerfirmen sind überschaubar, 300 schon weniger. Grossfirmen arbeiten oft mit mehreren Hundert Partnerfirmen zusammen. Und es geht um viel Geld. Die Designermarke G-Star verkauft ihre Ware teurer als Billigketten und scheut daher die ­höheren Produktionskosten nicht. Oft in die Kritik von Entwicklungsorganisationen dagegen gerät etwa der deutsche Kleiderdiscounter Kik, der immer ­wieder im Zusammenhang mit Ausbeutung in Pakistan genannt wird und auch bei Schweizer Kunden beliebt ist. Im Lörracher Kik sind viele Basler anzutreffen.

Risiko-Chemikalien in Kleidern

Doch Kik ist kein Einzelfall. Grundsätzlich gilt: Billige Ware wird auch günstig hergestellt. Näherinnen ­wer­­den oft schlecht bezahlt, und die Textilfirmen machen kein Geld locker für ­eigene Sicherheitskontrolleure, sondern verlassen sich auf Dritt­firmen in den Produktionsländern. Diese sind es, die wie im Brandfall von Pakistan fälschlicherweise «offene Notaus­gän­ge» und «Feuer­löscher» do­ku­men­tie­ren und das Gewissen der westlichen Manager eine Weile lang beruhigen – bis es brennt.

Viele Produktionsfirmen arbeiten auch mit gefährlichen Chemikalien, denen die Mitarbeiter schutzlos aus­gesetzt sind. Wie eine Greenpeace-Studie 2011 (auf der Rückseite dieses Artikels) aufzeigte, gelangt immer wieder unsaubere Ware in die Verkaufskette: Bei fast allen 15 untersuchten Marken – darunter auch G-Star-Raw – wurden Spuren der giftigen Chemikalie Nonylphenol gefunden.

«Made in»-Schilder freiwillig

Das grösste Problem sei aber die Ausbeutung der Arbeiter, sagt EvB-Sprecher Oliver Classen: «Oft haftet ­virtuelles Blut an einer billigen Jacke. Wer günstig einkauft, muss sich ­dessen bewusst sein.» Doch wie erkennt man «unsaubere» Ware? Gewissheit gebe es fast nie, sagt Classen. Wer in verschiedenen Läden Kleider kaufe und sich nicht bis zur Unterhose alles von der lokalen Schneiderin nähen lasse, müsse damit rechnen, mit «virtuellem Blut» befleckte Kleider zu tragen. Deshalb lohnt es sich, im Zweifelsfall mit Fair-Trade-Labels gekennzeichnete Ware zu kaufen.

Für Classen liegt der Ball bei den Textil­firmen: «Sie müssen den Druck auf ihre Vertragspartner ­erhöhen und in bessere Arbeitsbedingungen investieren.» Das forderten kürzlich auch 10 000 Näherinnen in Bangladesch. Vergeblich. Und das wird sich auch nicht ändern, wenn aus den Importländern keine klaren Signale kommen. Noch ist es in der Schweiz und in Europa nicht einmal Pflicht, Kleider mit «Made in»-Schildern zu versehen.

 

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Quellen

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 21.12.12

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