Der höchste Mindestlohn der Welt

Die Kritikpunkte an einer gesetzlich verankerten Lohnuntergrenze sind immer dieselben. Bewahrheitet haben sie sich kaum einmal, wie ein Blick ins Ausland zeigt.

Die Kritikpunkte an einer gesetzlich verankerten Lohnuntergrenze sind immer dieselben. Bewahrheitet haben sie sich kaum einmal, wie ein Blick ins Ausland zeigt.

Mindestlöhne sind rund um den Globus weit verbreitet, in Europa haben die allermeisten Staaten längst eine Lohnuntergrenze eingeführt, wie ein Blick auf die Karte verrät.

Die Debatten liefen dabei oft ähnlich ab wie in der Schweiz. Als Mitte der 1990er-Jahre der britische Labour-Chef Tony Blair im Wahlkampf das Versprechen abgab, einen Mindestlohn einzuführen, ging ein Aufschrei durchs Land. Die konservative Regierung prophezeite, zwei Millionen Jobs würden verschwinden. Der Industrieverband befürchtete gewichtige Probleme für die Lohnstruktur im Land. Die gleiche Argumentation bemüht Gewerbeverbandsdirektor Hans-Ulrich Bigler heute, wenn er mahnt, die Berufslehre würde nicht mehr attraktiv sein, wenn man selbst als Ungelernter 4000 Franken verdiene.

Eingetroffen ist in Grossbritannien von alldem nichts. Jobs verschwanden keine, dafür erhielten im ersten Jahr nach der Einführung 1999 1,7 Millionen Niedrigstverdiener mehr Geld. Unlängst kürte der führende Thinktank Institute for Government den Mindestlohn nach einer Umfrage unter Spezialisten zum grössten politischen Erfolg der letzten 30 Jahre.

Der Markt reguliert sich selbst

Auch andernorts konnte der Zusammenhang Mindestlohn gleich Stellenabbau nicht nachgewiesen werden. Allerdings auch nicht das Gegenteil, denn so alt wie die Mindestlöhne selber ist auch die Debatte über deren Folgen für den Arbeitsmarkt. Ökonomen greifen je nach Lehrrichtung auf jene Methoden zurück, die ihre bevorzugte These bestätigen. Hinweise auf einen bestenfalls geringen negativen Effekt gibt es aus den USA, wo Präsident Barack Obama den Mindestlohn auf 10 Dollar erhöhen will und seine Gegnerschaft das Gespenst namens Jobkiller aus dem Mottenschrank geholt hat.

Bundesstaaten wie Washington, die bereits heute eine höhere Untergrenze haben als der nationale Mindestsatz konnten in den letzten Jahren ein vergleichsweise hohes Jobwachstum verzeichnen. Zuletzt untersuchte eine Studie anhand dreier Bundesstaaten, in denen die Tiefstlöhne angehoben wurden, ob ein höheres Mindestsalär für Unternehmen wie McDonald’s tatsächlich zum Problem würde. Das erstaunliche Resultat: Einige Filialen der Billigburgerbrater machten tatsächlich dicht – wurden aber durch andere, innovativere Fastfood-Firmen ersetzt. Der Markt reguliert sich selbst.

Nur jeder Zehnte profitiert

Auch in Deutschland läuft derzeit die Debatte um die Lohnuntergrenze, die grosse Koalition will, dass keiner weniger als 8.50 Euro pro Stunde verdient. Der Ansatz wirkt auf den ersten Blick tief gewählt, er beträgt nur die Hälfte des Schweizer Vorschlags. Doch die Auswirkungen auf die Wirtschaft sind grösser. Während in der Schweiz der Lohn von jedem Zehnten angehoben werden müsste, käme in Deutschland fast jeder Fünfte in den Genuss höherer Bezüge.

Trotzdem sind die 22 Franken pro Stunde im internationalen Vergleich hoch gegriffen, auch unter Einbezug der Kaufkraft würde die Schweiz damit weltweit an der Spitze stehen. Wählt man andere Vergleiche, sieht die Sache anders aus. 4000 Franken monatlich entsprechen knapp zwei Drittel des Schweizer Medianlohns von rund 6200 Franken. Der Medianlohn ist aussagekräftiger als das Durchschnittsgehalt, da Spitzen- und Schlechtestverdiener nicht ins Gewicht fallen. In Frankreich und Neuseeland ist das Verhältnis etwa gleich. Die vermeintliche Luxuslösung ist in dieser Hinsicht schon eher gewöhnlich. Aber über die Landesgrenzen hinaus schaut man in der Schweiz ungern.

 

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