Bei der drittgrössten Arbeitgeberin der Schweiz klaffen Selbstbild und Realität weit auseinander. Die Schweizer Post bezeichnet sich im Internet selbst als «sozialverantwortlich», schwärmt von «attraktiven Anstellungsbedingungen» und ihrem Einsatz für «die bestmögliche Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Privatleben».
Von diesen hehren Absichten spüren die Angestellten der Poststelle am Claraplatz derzeit wenig. Vor zwei Wochen wurden dort sämtliche Mitarbeiter mit Teilzeitpensum zum Einzelgespräch gebeten. In diesen Gesprächen eröffnete die Leiterin ihren Angestellten, dass diese ihre Arbeitseinsätze künftig nicht mehr an fest vereinbarten Tagen leisten dürfen, sondern «nach Bedarf» aufgeboten würden.
Teilzeitarbeit auf Abruf – mit einer Familie lässt sich das nur schwer vereinbaren.
Erklärt worden sei diese Massnahme mit dem Bedarf nach mehr Flexibilität. «Die fest definierten Einsatztage würden die Planung erschweren», erzählt eine betroffene, langjährige Postangestellte. «Die Weisung kam von Reto Fankhauser, Leiter der Basler Hauptpost», erklärt eine andere Mitarbeiterin, die wie ihre Kollegin anonym bleiben möchte.
Teilzeitarbeit auf Abruf – mit einer Familie lässt sich das nur schwer vereinbaren. Unter den Betroffenen seien viele Mütter von schulpflichtigen Kindern, erzählen die Postangestellten. Diese Frauen sind darauf angewiesen, ihre Arbeitseinsätze langfristig und verbindlich planen zu können. Nur so lässt sich für die Betreuung der Kinder eine praktikable Lösung finden. In den allermeisten Kitas ist es üblich, die Kinder an vereinbarten Tagen zu betreuen, spontane Wechsel sind nicht vorgesehen.
Von 14 Betroffenen sind 13 Mütter
Die Post bestätigt die neue Regelung. «Die Mitarbeitenden wurden informiert, dass aufgrund des veränderten Kundenverhaltens eine stärkere Flexibilität beim Arbeitseinsatz nötig wird», schreibt Mediensprecherin Jacqueline Bühlmann per Mail. Weil am Monatsende mehr Menschen eine Postsstelle aufsuchen als in der ersten Hälfte des Monats, müssten die Einsatzzeiten der Angestellten angepasst werden. «So können wir sicherstellen, dass die Pensen gewahrt werden können», schreibt Bühlmann.
Dass von der Massnahme hauptsächlich Mütter betroffen sind, bestätigt Bühlmann ebenfalls. Von den insgesamt 14 Teilzeitangestellten der Poststelle Claraplatz haben 13 schulpflichtige Kinder zu Hause. Trotzdem: Die Post sieht kein Problem in der neu geforderten Flexibilität, zumal es ab einem gewissen Pensum Sperrtage gebe [gemäss einer Angestellten ab 60 Prozent, die Red.].
«In anderen Postfilialen bestehen schon seit längerer Zeit keine fixen Einsatztage. Es braucht Zeit, dies zu organisieren, und diese Zeit wird auch gewährt.»
Jacqueline Bühlmann, Mediensprecherin Post
Die neue Regelung sieht gemäss Bühlmann vor, dass jeweils am 15. des Monats die Dienstpläne für den Folgemonat festgelegt werden sollen, und gilt ab September. Für die Regelung der Kinderbetreuung bleiben den Angestellten also jeweils rund zwei Wochen.
Eine betroffene Mutter will es auf sich zukommen lassen, eigentlich arbeite sie gerne bei der Post. «Aber es gibt keine Lösung für mich. Ich habe niemanden, der jederzeit spontan bereitsteht, um meine Kinder zu hüten.» Im schlimmsten Fall müsse sie sich nach einer anderen Arbeit umsehen. Keine einfache Aufgabe mit einer derart spezialisierten Ausbildung.
Intern äussern viele den Verdacht, dass mit dieser Arbeitszeitregelung gezielt Kündigungen wenn nicht provoziert, dann doch in Kauf genommen werden. Die Zukunft der Post in Basel ist ungewiss, einzelne Stellen sollen ganz geschlossen werden. Die «Basler Zeitung» berichtete Anfang dieser Woche von ersten Entlassungen in der Hauptpost. Gewerkschafter der Syndicom sahen gegenüber der BaZ darin erst den Anfang einer Kündigungswelle.
Entsprechend wenig Verständnis zeigt die Syndicom denn auch für die neue Arbeitszeitregelung am Claraplatz. Mediensprecher Christian Capacoel hält nachdrücklich fest, dass sich die Postangestellten diesen Flexibilitätszwang nicht gefallen lassen müssen. «Selbst wenn es sich bei den festen Einsatztagen wie in diesem Fall um eine mündliche oder stillschweigende Vereinbarung gehandelt hat, darf diese Änderung nicht ohne Einverständnis des Arbeitnehmers erfolgen.»
«Bei einem Arbeitgeber wie der Post, die sich selbst als ‹sozial› bezeichnet, ist dieses Vorgehen höchst problematisch.»
Fehle dieses Einverständnis, sei eine Änderungskündigung nötig, sagt der Gewerkschafter. Bei der flächendeckenden Einführung einer solchen Regelung seien ohnehin die Sozialpartner zu involvieren. «Sonst geraten die Arbeitnehmer unter Druck und meinen, sie müssten jede einseitig auferlegte Änderung akzeptieren.»
Es ist nicht das erste Mal, dass die Syndicom von solchen Massnahmen innerhalb der Post hört. «Das ist ein bekanntes Problem, wir sind deswegen schon mehrfach aktiv geworden, teilweise bis vors Gericht», sagt Capacoel. Es sei ein problematisches Verhalten, insbesondere weil sich die Post als «soziale» Arbeitgeberin bezeichne. «Wir werden nun das Gespräch mit den Verantwortlichen in Basel suchen.»