Der starke Franken kostete die Schweiz 10’000 Stellen – und das war erst der Anfang

Vor einem Jahr wurde der Euro-Mindestkurs aufgehoben. Der 15. Januar sollte fortan das wirtschaftliche Geschehen im ganzen Land bestimmen. Ein Rückblick.

Der Währungsschock sorgt für lange Schlangen bei der Arbeitslosenkasse.

(Bild: Nils Fisch)

Vor einem Jahr wurde der Euro-Mindestkurs aufgehoben. Der 15. Januar sollte fortan das wirtschaftliche Geschehen im ganzen Land bestimmen. Ein Rückblick.

Genau ein Jahr ist es her, seit die Schweizerische Nationalbank (SNB) die Kursuntergrenze zum Euro aufgehoben hat. Der 15. Januar 2015 wurde für die Schweizer Wirtschaft zum einschneidenden Ereignis. Die Konsequenzen daraus sollten fortan Unternehmer im ganzen Land beschäftigen. Und damit auch die Wirtschaftsberichterstattung.

Noch am gleichen Tag stieg der Frankenkurs derart steil an, dass die Parität erreicht wurde. Zeitweise kostete ein Euro einen Franken. Aus Sicht der Konsumenten war das doppelt erfreulich. Viele eilten zum Bankomaten, um sich mit günstigen Euro einzudecken (Die TagesWoche klärte damals in einem Artikel die Frage, ob sich diese Form der Währungsspekulation tatsächlich lohnt).

Andere, weitaus mehr Leute, setzten sich gleich ins Auto. Der Shoppingtrip über die Grenze boomte Anfang 2015 wie noch nie. Die hiesigen Detaillisten klagten und senkten reihum die Preise. Bei der Manor, Schweizer Marktführerin unter den Warenhäusern, mussten 150 Angestellte gehen. Ein Stellenabbau, der explizit mit dem starken Franken begründet wurde.

Zwei Milliarden weniger Umsatz im Detailhandel

Kaum eine Branche litt derart unter dem Währungsschock wie der Detailhandel. Das Basler Wirtschaftsforschungsinstitut BAK Basel Economics prognostizierte nach einigen Monaten gar eine «historische Umsatzeinbusse» von bis zu zwei Milliarden Franken. Weniger schlimm traf es die Grossisten. So vermeldete etwa die Migros am Freitag sogar ein Wachstum von 3,5 Prozent (währungs- und teuerungsbereinigt).

Gravierend waren die Folgen auch für die MEM-Branchen (Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie). Schlagzeilen über Massenentlassungen, Kurzarbeit und Arbeitsplätze, die ins Ausland verlagert wurden, dominierten die Nachrichtenlage. Ein besonders drastisches Beispiel wurde erst diese Woche bekannt: Beim französischen Industriekonzern Alstom werden nach der Übernahme durch die amerikanische General Electric europaweit 6500 Stellen gestrichen, 1300 davon in der Schweiz, hauptsächlich im Raum Baden.

Noch näher liegt die Ziegler Papier AG in Grellingen, die den Betrieb vollends einstellt. 100 Angestellte stehen bald auf der Strasse. Das Unternehmen serbelte schon länger, der Währungsschock versetzte der Papierfabrik letztlich den Todesstoss. Ziegler und Alstom sind jedoch nur die neuesten Einträge auf einer langen Liste von Stellen, die in den vergangenen zwölf Monaten gestrichen wurden. Geführt wird diese Liste vom Schweizerischen Gewerkschaftsbund (SGB) in Bern.

Höhepunkt der Arbeitslosigkeit noch nicht erreicht

Die traurige Bilanz: Rund 150 Unternehmen in der Schweiz haben insgesamt 6877 Stellen abgebaut. Alle direkt oder indirekt wegen dem starken Franken, heisst es. Und es dürften noch einige Stellen mehr sein. Die SGB bildet in ihrer Liste nur diejenigen ab, über die in den Medien berichtet wurde. «Wir rechnen mit einer hohen Dunkelziffer», sagt SGB-Chefökonom Daniel Lampart.

Die Annahme bestätigt Martin Eichler, Chefökonom bei BAK Basel. «Wir zählen heute 10’000 Arbeitslose mehr als noch vor einem Jahr», sagt er. «Ein grosser Teil davon dürfte auf den Währungsschock zurückzuführen sein.» Und der Tiefpunkt sei noch nicht erreicht. «Wir gehen davon aus, dass sich diese Situation 2016 weiter verschärfen wird und bis Jahresende noch einmal zwischen 12’000 bis 14’000 Arbeitslose hinzukommen», sagt Eichler.

Darin sieht Gewerkschaftler Lampart auch die dramatischste Folge des SNB-Entscheids. «Während in den Ländern ringsum die Arbeitslosenquote sinkt, passiert in der Schweiz das Gegenteil.» Lampart ärgert sich, dass die Schweiz nicht an der internationalen Erholung teilhaben kann. «Die Lage ist ernst», sagt er.

Die Zahlen sind so eindrücklich, dass sich die Unia gar zu einer Rücktrittsforderung an die gesamte SNB-Führungsriege hinreissen liess.

Dank Erholung im Ausland ist die Lage in der Schweiz nicht so ernst wie 2011.

Gemäss BAK-Ökonom Eichler hätte es jedoch noch weitaus schlimmer kommen können. Die Erholung im Ausland habe sich lindernd auf die Situation in der Schweiz ausgewirkt. «Im Unterschied zu 2011, als der Schweizer Franken ebenfalls stark überbewertet war, sehen sich die hiesigen Unternehmen vor allem kostenseitig unter Druck.» Die internationale Nachfrage nach Schweizer Investitionsgütern, beispielsweise Maschinen, sei jedoch weiterhin hoch.

Daher fällt die jüngste BAK-Prognose auch leicht optimistischer aus, als dies in der ersten Jahreshälfte 2015 noch der Fall war. Der Schweizer Franken werde sich bis Ende 2017 graduell abwerten und bei 1,15 Euro zu stehen kommen. Für Eichler hatte der Währungsschock trotz aller negativen Folgen auch sein Gutes: Das Bewusstsein für den Strukturwandel sei neu erwacht. «Weil es der Schweizer Wirtschaft lange so gut ging, hat mancher Player vergessen, dass die stetige Entwicklung und Anpassung an den Markt überlebensnotwendig sind.»

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