Die Reichendebatte nimmt Fahrt auf und sie wirkt teilweise schon recht abenteuerlich, wenn etwa Steuerhinterzieher Uli Hoeness zum staatlich verfolgten Opfer und Freiheitskämpfer stilisiert wird.
Die Debatte um die Reichen und die gerechtere Verteilung ihres Vermögens hat eben erst angefangen, schrieben wir in der Titelgeschichte unserer Printausgabe. Wie die Diskussion wohl laufen wird, zeigt die Auseinandersetzung um Uli Hoeness, dem erfolgreichen Wurstfabrikanten und grossen Macher beim FC Bayern München – und überführten Steuerhinterzieher.
Der Mann liefert den Plot für die perfekte Geschichte, weil er in Deutschland wegen seinen klaren Worte schon fast als moralische Instanz galt und nun plötzlich als profaner Betrüger dasteht. Das ist ein tiefer Fall, dramatisch wie in einer Tragödie.
Spannend ist die Geschichte auch, weil wichtige Fragen rund um die Hinterziehung noch immer offen sind. So können sich die Medien laufend mit neuen Enthüllungen und Spekulationen über den Umfang der Betrügerei und die Umstände ihrer Aufdeckung überbieten. Und sich die Journalisten, Politiker und Experten aus den verschiedensten Fachgebieten den Fall so zurecht legen, wie es ihnen gerade passt.
Gott wird ihm vergeben
Gegenüber «Bild» zum Beispiel durfte Nikolaus Schneider, Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), erklären, dass Uli Hoeness nicht unbedingt ein schlechter Christ sein müsse, auch wenn er «seiner Steuerpflicht offenbar nicht im ganzen Umfang» nachgekommen sei. Die Bibel lehre uns nämlich, dass man einen Täter nie auf seine Tat beschränken dürfe. Und dass auch Reichtum nichts Unmoralisches sei, sofern das Geld «unser Herz» nicht vollständig besetze.
Nachdem diese jenseitigen Fragen geklärt waren, wandten sich die Medien an diesem Wochenende wieder ganz Grundsätzlichem zu.
Dabei stehen sich – grob gesagt – zwei Positionen gegenüber. Die in den deutschen Medien derzeit deutlich populärere vertritt unter anderem der «Spiegel», der Uli Hoeness als «Egomanen» bezeichnet, der beispielhaft für das «verquere Staatsverständnis» vieler Reicher stehe. Für das Gemeinwesen interessierten sie sich nur, «wenn sie es brauchen – etwa für Subventionen, oder wenn es um den Schutz ihrer Villen geht». Aber Steuern zahlen für Schulen, Kindergärten, Krankenhäuser, Polizisten und Strassen? Lieber nicht. Sollen doch die anderen.
Es ist eine Haltung, die nicht nur bei Deutschlands Reichen üblich sei, sondern vor allem auch im Süden Europas, wie der «Spiegel» schreibt. Und der Grund, warum Deutschland, warum die EU so grosse finanzielle Probleme habe, wie in der Schweiz etwa auch Frank A. Meyer, Publizist bei Ringier, schreibt.
Steuern sind schuld
Dann gibt es aber auch noch die Gegenmeinung, verbreitet beispielsweise von der «Welt». Dieses Blatt sucht die Schuld beim Staat: Sobald sein Druck zu gross werde, würden die Bürger eben «findig» zu Methoden greifen, «seiner Aufsicht zu entkommen und seine Regeln zu umgehen oder zu unterlaufen». Ohne solch kleinere und grössere Schummeleien würde ein freies Gemeinwesen gar nicht funktionieren, schreibt die «Welt» weiter und verweist unter anderem auf die vielen dürftig bezahlten und schwarz beschäftigten Pflegekräfte im Lande, ohne die der Pflegenotstand «längst katastrophale Ausmasse angenommen» hätte.
Das sieht man offenbar auch in der Schweiz teilweise so. Beat Schmid, Stellvertretender Chefredaktor der «Schweiz am Sonntag», stellt Hoeness in seinem Kommentar (online leider nicht verfügbar) ebenfalls als Opfer dar. Die Steuern in Deutschland seien «prohibitiv hoch», schreibt er. Dieser Staat verlange immer mehr und biete immer weniger, so dass die Reichen «förmlich ins Ausland vertrieben» würden.
In der gleichen Ausgabe darf der ehemalige UBS-Chef Oswald Grübel in seiner Kolumne an das «sozialistische Grossbritannien der 1970er-Jahre» erinnern, in dem es eine «ungeheure, aber populäre Steuerhinterziehungs-Mentalität» gegeben habe, ausgelöst durch Steuersätze von weit über 50 Prozent. Dann kam Margaret Thatcher und senkte die Steuern und siehe da: die Zahlungsmoral war plötzlich viel besser.
Ähnlich argumentiert unter anderem auch die «Basler Zeitung» (auch nicht online), wenn sie Hoeness Hinterziehung als «Notwehr» bezeichnet.
«Die Gier frisst den Verstand»
Hoeness ein armes Opfer also, ein Vertriebener, der sich mit seiner Steuerflucht in die Schweiz wenigstens noch ein kleines Restchen Freiheit erhält? Hoeness ein Vorbild, jetzt erst recht?
Vielleicht ist auch alles etwas einfacher. So wie es der deutsche Steueranwalt Stefan Bohnert darstellt, der in seiner Kanzlei an der Zürcher Bahnhofstrasse viel Prominenz berät. Im Gespräch mit dem «Blick» verweist er zwar einerseits darauf, dass seine Klienten häufig das Gefühl hätten, der Staat gebe ihr Geld teilweise sinnlos aus, ohne ihnen ein Mitspracherecht einzuräumen. Anderseits stellt er aber auch fest: «Manchmal frisst die Gier halt den Verstand. Es menschelt auch bei Prominenten.»