Immer mehr Geräte sind mit Sensoren ausgestattet, die Daten und Messwerte über das Internet weitergeben. Das daraus resultierende Informationsnetzwerk verspricht neue Geschäftsmodelle und Jobs. Doch das «Internet der Dinge» birgt auch Risiken.
Stellen Sie sich einmal vor, Sie steigen in einer fremden Stadt in ein Taxi. Eine Software des Autos synchronisiert automatisch den Routenplaner mit Ihrem Smartphone. Sie müssen nicht mehr pantomimisch eine Wegbeschreibung zu Ihrem gewünschten Ziel liefern. Der Taxifahrer versteht, ohne dass Sie etwas sagen. Es kommuniziert die Technik.
In der Innenstadt steigen Sie aus und steuern ein großes Schnellrestaurant an. Bevor Sie sich dem Restaurant nähern, weiß der Betreiber bereits, was Sie gerne wünschen. Auf einer App poppt ein Angebot auf: ein belegtes Brötchen mit Salat. Die Mahlzeit wird zubereitet, während Sie auf dem Weg sind, und serviert, alsbald Sie im Restaurant eintreffen. Vielleicht stochern Sie dann ein wenig gedankenverloren im Salat herum, während sich Ihr Smartphone erneut meldet: «Ihr alter Klassenkamerad steht an der Kasse!»
Ein Begriff elektrisiert die Branche
Dies sind nur ein paar Beispiele des «Internet der Dinge». Der Begriff, der vor einem Jahr nur in einschlägigen Technikblogs kursierte, elektrisiert die Branche. Das Prinzip ist simpel: Objekte werden mit internetfähigen Sensoren ausgestattet, die über das Netz kommunizieren. Konzerne wie Siemens, Intel oder Cisco tüfteln an immer ausgefeilteren Lösungen, mit denen Geräte vernetzt werden. Großbritanniens Premierminister David Cameron kündigte auf der Branchenmesse CeBIT an, 45 Millionen Pfund in die Forschung und Entwicklung zu stecken.
Die International Data Corporation (IDC) schätzt, dass im Jahr 2020 jeder Mensch durchschnittlich 26 internetfähige Geräte besitzen wird. Wecker, Uhren, Schuhe – das Smartphone fällt da gar nicht mehr groß auf. Laut der Bostoner Beratungsagentur Wikibon werden 2020 154 Milliarden US-Dollar in das «Industrielle Internet» investiert. Das Internet der Dinge wird unseren Alltag grundlegend verändern.
Google hat jüngst in einem Aufsehen erregenden Deal den Thermostat-Hersteller Nest Labs Nest für 3,2 Milliarden US-Dollar gekauft. Nest hat einen lernfähigen Heizregler entwickelt. Der Thermostat reguliert die Heizung in der Wohnung und Strom wie jeder andere Thermostat, nur intelligenter, indem er die Gewohnheiten des Anwenders lernt und sich an diese anpasst.
«Das Gerät allein ist nicht smart genug, um dies zu tun», erklärt Jim Stodgill, Internetexperte beim Medienunternehmen O’Reilly Media. «Es tut es, indem es mit den Servern kommuniziert. Die Logik dieser Server wird erweitert mit den Echtzeitdaten. Daraus kann man allgemeine Aussagen über die Nutzer ableiten.» Google war diese Geschäftsidee mehrere Milliarden wert. Der kalifornische Internetkonzern setzt auf den Trend zur Online-Vernetzung von Haushaltsgeräten.
Die Technik steuert sich selbst
Vom Babyphone bis zur Alarmanlage sind heute immer mehr Geräte internetfähig und miteinander vernetzt – die Daten werden an eine Cloud ausgelagert. Das Verblüffende daran ist, dass diese Gadgets selbstständig untereinander kommunizieren können. Der Swimming-Pool lässt automatisch das Wasser ein, wenn im Smartphone-Kalender eine Cocktail-Party vermerkt ist.
Die hauseigene Sprinkleranlage bewässert proaktiv den Rasen, wenn die Feuchtigkeitsfühler Bedarf anmelden oder die online abgerufene Wettervorhersage für die nächsten Tage keinen Niederschlag ankündigt. In Songdo City in Südkorea entsteht eine Planstadt, wo die Fenster der Gebäude sich bei Wind automatisch öffnen oder bei Sonnenlicht abdunkeln. Nicht der Mensch steuert die Technik, sondern die Technik sich selbst.
Beispiel Automobil: Der Elektroauto-Hersteller Tesla produziert Fahrzeuge, die Statistiken (Bremsvorgänge, Beschleunigung, Distanzen) und Verbrauchswerte an die Firmenzentrale online weiterleiten. Auf dieser Grundlage kann der Autohersteller seine Antriebs-Algorithmen in Echtzeit anpassen. Tesla sagt, es könne seine Fahrzeuge «über die Luft» («over the air») warten.
Als im November 2013 Probleme mit einem Adapter auftraten, nahm Tesla bei den betreffenden Fahrzeugen des Modells M ein Update vor. Die Autos mussten nicht in der Werkstatt gewartet werden. Die Software erkannte die Ladeprobleme und reduzierte die Ladezeit, um Überhitzungsprobleme bei der Batterie zu vermeiden. Das Problem wurde über das Netz gelöst. «Viele Zwischenfälle können wir dabei aus der Ferne beheben», heißt es auf der Herstellerseite. Das intelligente Auto meldet Störfälle selbst. Und der Hersteller fixiert das Problem aus der Distanz – ohne teure Rückholaktion. Wartung übers World Wide Web.
Die Stadt wird zur Cloud
Nicht nur Hersteller sind mit dem Fahrzeug vernetzt – auch Sensoren, Videokameras und Parkleitsysteme «sprechen» mit dem Auto. In Zukunft könnten selbstfahrende Autos via GPS zehn Mal pro Sekunde ihren Standort oder ihre Geschwindigkeit signalisieren. Diese Daten werden dann in ein intelligentes Verkehrssystem eingespeist, das durch Echtzeitmeldungen Staus und Unfälle verhindert.
New York City benötigte bei der Einführung einer Verkehrsüberwachung 2011 keine Glasfaserkabel mehr für das Monitoring der mehr als 12 000 Ampeln am Big Apple – die Verwaltung klinkte sich einfach ins öffentliche Wireless-Netzwerk ein. Die moderne Stadt verwandelt sich in eine Cloud.
«Wir beschreiten eine neue Phase des Informationszeitalters», sagt James Stodgill. «Zuerst waren es die Computer selbst, die die Kosten für Rechenleistungen senkten. Dann kam das Netzwerkzeitalter, wo die Leute Wege entdeckten, um via Internet zu kommunizieren. Und jetzt sind wir in einer Zeit, in der Software und Hardware auf neue Weise verknüpft werden, auf einem bereits etablierten und stetig wachsenden Netzwerk. Die Veränderungen werden gewaltig sein.»
Ein zweischneidiges Schwert
Der US-Informatiker Nicholas Negroponte brachte diesen Wandel auf eine Formel: von Atomen zu Bits. Die Wirtschaft bewegt sich von industrieller Produktion auf die Aggregieren von Informationen zu. Es entstehen gigantische Datenmengen, die viel über die Gewohnheiten des Geräteinhabers aussagen – und kommerziell genutzt werden können.
«Das Internet der Dinge ist ein zweischneidiges Schwert», sagt Internetexperte Stodgill. «Es erhöht einerseits die Produktivität und ermöglicht neue Dinge, aber es macht uns auch verwundbarer. Ein vollautomatisiertes Haus kann leicht gehackt werden. Und es ist ein Haus, das, wenn es externe Dienstleister wie Nest verwendet, aus der Distanz in seiner Privatsphäre überwacht werden kann.»
Trojaner könnten heimische Computer und Router lahmlegen. In Brasilien wurden bei einer Betrugsmasche jüngst 4,5 Millionen DSL-Router gehackt. Letzten Monat berichtete Symantec von einem Computerwurm auf Linux-Betriebssystemen, der Router, Kameras und smarte Geräte ins Visier nahm. Ist ein Gerät erstmal online, können unbefugte Nutzer es kinderleicht anzapfen und zu ihren Zwecken missbrauchen. «Wir haben gerade erst damit begonnen, die Implikationen der Technik zu begreifen», so Stodgill.