Die Luft wird dünn für Spitzenforscher

Weltweit führende Forscher pilgern nach Basel. Mit ihnen wächst der Wohlstand. Aber wie lange noch?

Das Futuro in Liestal beherbergt Unternehmen aus innovativen Geschäftsfeldern. Die Firma Nanosurf baut beispielsweise kompakte Nano-Mikrosope

(Bild: Basile Bornand)

Weltweit führende Forscher pilgern nach Basel. Mit ihnen wächst der Wohlstand. Aber wie lange noch?

Während Peter Seitz seine Eröffnungsrede beginnt, kommen die letzten Gäste in den Saal. «Wir sind in der Schweiz, also beginnen wir pünktlich», sagt er, allgemeine Heiterkeit herrscht im Konferenzsaal des Biozentrums Basel. Dann startet Seitz mit einem flammenden Plädoyer für ein Thema, das beim Normalbürger kaum mehr als ein Gähnen verursachen mag: Sensorwissenschaften. 

Die Redner sprechen über «Focal Molography» und «Photoacoustic Spectroscopy», die Gäste hören gebannt zu. Im Saal befinden sich die führenden Sensor-Technik-Experten – aus China, Kalifornien oder Indien. Sie sind an diesen Tagen im Juli nach Basel gepilgert, um den neuesten Entwicklungen im Bereich der Sensor-Technologie zu lauschen.

Für Peter Seitz steht fest: Sensor-Technologie ist eines der Zukunftsgeschäfte. Ob Google, Oracle oder Apple: Alle wollen sie Sensoren. In einem handelsüblichen Smartphone sind allein bis zu 20 Sensoren verbaut. Temperatur, Bewegungen, Luftfeuchtigkeit – ein Smartphone kann in Zukunft beinahe alles messen, Sensoren sei Dank.

Sensor-Konferenz am Biozentrum in Basel: Der Redner spricht über das Cern nahe von Genf, die Gäste hören gebannt zu.

Sensor-Konferenz am Biozentrum in Basel: Der Redner spricht über das Cern nahe von Genf, die Gäste hören gebannt zu. (Bild: Jeremias Schulthess)

Seitz, der unter anderem am Innovation and Entrepreneurship Lab der ETH Zürich arbeitet, hat die Konferenz organisiert. Er will damit die verschiedenen Teilbereiche der Sensor-Technik zusammenbringen.

Während die Konferenzteilnehmer Kaffee holen, klappt Seitz etwas abseits seinen Laptop auf und erklärt: «Sensoren sind nicht bloss Spielereien fürs Smartphone. Sensoren können eine Antwort auf die grossen gesellschaftlichen Herausforderungen von heute liefern.»

«Wer braucht schon Startups?»

Er nennt das Beispiel alternde Gesellschaft: Sensoren können bereits heute auf einfache Weise Herzfrequenz oder Blutbild messen. Denkbar wäre, die Daten per App zu erfassen und bei Unregelmässigkeiten direkt den Arzt zu benachrichtigen.

Google zeigt, wie Sensoren in Zukunft Ärzte entlasten können. Der Internetgigant entwickelt eine Kontaktlinse für Diabetiker, die den Blutzuckerspiegel misst. Bei kritischen Werten leuchtet auf der Oberfläche der Linse ein Warnsignal, das die Diabetes-Patienten darauf hinweist, wann sie Insulin benötigen.

Google testet smarte Kontaktlinsen für Diabetiker, «The Guardian», 17.1.2014:

 

Im Jahr 2015 sollen weltweit 580 Milliarden Dollar in den Bereich Photonik investiert werden, erklärt Seitz und deutet auf die Bildschirm-Oberfläche – «580 Milliarden!». Ein Bruchteil davon könnte in die Schweiz fliessen, wenn hier Firmen entstehen, die Sensoren herstellen.

«Oft heisst es: Wer braucht schon Startups? Wir haben doch Grosskonzerne wie Nestlé oder Novartis», sagt Seitz. Dabei seien Startups der Schlüssel zu neuen Hochtechnologie-Arbeitsplätzen, «schliesslich waren auch Nestlé und Novartis einmal Startups», ergänzt Seitz.

Eine Studie aus den USA verdeutlicht, wo über das ganze Wirtschaftssystem gesehen Arbeitsplätze entstehen und wo sie verloren gehen. Die Studie zeigt, dass Startups massgeblich für die Schaffung von Arbeitsplätzen verantwortlich sind, in etablierten Industriezweigen gehen sie derweil nach und nach verloren.

Forschung nicht als Selbstzweck

Für Seitz ist diese Erkenntnis entscheidend. In der Schweiz gebe es keine solchen Zahlen, so Seitz. «Dabei wäre das enorm wichtig, um die Weichen richtig zu stellen.»

Denn Innovation bedeutet für Seitz, dass Forschung nicht als Selbstzweck betrieben wird: «Eine Innovation ist eine Erfindung, die zu einem Produkt verarbeitet wird, das einen Wert für den Verbraucher kreiert», zitiert Seitz einen bekannten Harvard-Ökonomen.

Beispiele dafür gibt es in der Schweiz genug. Die Pharma-Branche entwickelt innovative Produkte, ebenso wie ein Unternehmen, das Smartphone-Apps programmiert oder Geräte zur Krebs-Diagnostik verkauft.

Schweiz bei Wettbewerbsfähigkeit auf Platz eins 

Welchen Beitrag beispielsweise die Pharma-Industrie für die Schweizer Wirtschaft leistet, zeigt ein Blick auf das Bruttoinlandsprodukt (BIP). Allein mit Pharma-Produkten werden etwa 4 Prozent des BIP erzeugt. Die Wertschöpfung von pharmazeutischen Erzeugnissen steigt seit 1990 kontinuierlich, während die Wertschöpfung in anderen Bereichen wie der Landwirtschaft zurückgehen. Ausserdem machen Life-Science-Produkte etwa 40 Prozent aller Schweizer Exporte aus.

Nicht zuletzt wegen innovativen Geschäftsfeldern steht die Schweiz im internationalen Vergleich sehr gut da. Auf dem Global Competitiveness Report des World Economic Forums (WEF), der unter anderem das wirtschaftliche Potenzial untersucht, steht die Schweiz auf Platz eins.

Damit die Schweiz ihre Spitzenposition behält, investiert der Bund jedes Jahr etwa zwei Milliarden Franken in den Bereich Forschung und Entwicklung. Im Vergleich dazu: Für Landwirtschaft und Ernährung gab der Bund 2014 etwa 3,7 Milliarden aus.

Doch im letzten Jahr gingen die Ausgaben für Forschung und Entwicklung erstmals seit acht Jahren zurück. Der Hauptgrund dafür war die Annahme der Masseneinwanderungsinitiative. Die EU stellte die Forschungszusammenarbeit vorübergehend ein, die Beiträge an das Programm Horizon 2020 sanken deshalb von 453 auf 77 Millionen Franken.

Die EU-Kommission verteilt die Horizon-2020-Beiträge an Universitäten und Hochschulen – insgesamt 79 Milliarden Euro. Die Unis und Hochschulen betreiben damit auch Grundlagenforschung. Ein weitaus grösserer Teil fliesst aber in den Bereich «Angewandte Wissenschaften». Von diesem Teil würde die Wirtschaft der einzelnen Länder am meisten profitieren, sagt Seitz.

Der Basler Medizinprofessor Daniel Scheidegger über Spitzenforschung in der Schweiz, SRF 4, 23.6.2015:

 

Dieses Umdenken, von Grundlagenforschung hin zu angewandter Forschung, zeigt sich auch an den Hochschulen in der Schweiz. Vor 20 Jahren waren Forschung und Wirtschaft wenig vernetzt. Heute bieten Hochschulen von Beginn an Unternehmer-Seminare für Naturwissenschaftler, Physiker und Molekularbiologen erhalten auf Anfrage betriebswirtschaftliche Berater zur Seite gestellt. Einigen Forschern geht das marktwirtschaftliche Denken bereits zu weit.

Derweil bleibt der konkrete Nutzen der Forschung unbekannt. Das Bundesamt für Statistik misst nicht, wie viel beispielsweise jeder investierte Franken in Nano-Wissenschaften an wirtschaftlichem Erfolg bringt.

Die Innovationsförderung befindet sich in einem Blindflug, bei dem bloss die Leitplanken erkennbar sind: mehr Forschung, mehr Startups, mehr Wohlstand. Wie lange diese vage Wegbeschreibung funktioniert, bleibt aber offen. Und damit auch, ob die führenden Forscher in 30 Jahren noch nach Basel pilgern werden.

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Lesen Sie mehr zu unserem Wochenthema Innovationsförderung. Bisher erschienen:
» Futuro in Liestal: Versuchslabor für die Zukunft der Schweiz

Artikelgeschichte

Änderung, 29.7.2015, 10.45 Uhr: Statt «Das Problem, auf das Seitz verweist, ist jedoch die fehlende Evidenz zwischen Bildungsausgaben und marktwirtschaftlichem Nutzen. Wie viel kommt von jedem in Nano-Forschung investierten Franken zurück? Wo müsste der Bund ansetzen, damit mehr Arbeitsplätze im Hochtechnologie-Bereich entstehen? Wir wissen es nicht genau.», neu: «Derweil bleibt der konkrete Nutzen der Forschung unbekannt. Das Bundesamt für Statistik misst nicht, wie viel beispielsweise jeder investierte Franken in Nano-Wissenschaften an wirtschaftlichem Erfolg bringt.»

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