Die Unternehmenssteuerreform III wird das Schweizer Steuersystem nachhaltig prägen. Am stärksten betroffen ist Basel-Stadt, wo ein Grossteil der Steuern aus der Pharma-Branche kommt.
Hooligans und Pädophile lösen in der Politik bekanntlich sintflutartige Gefühlsausbrüche aus. Das Thema Steuerrecht kommt im Vergleich dazu eher einem Nieselregen gleich. Dabei hat beispielsweise die Unternehmenssteuerreform III (USR III) weitreichende Folgen für die Mehrheit der Schweizerinnen und Schweizer – mehr als Hooligan-Konkordate und Verwahrungsinitiativen.
Die USR III, deren Botschaft der Bundesrat am Freitag vorstellte, könnte zu Steuerausfällen in Höhe von 1,1 Milliarden Franken führen, die der Bund dann an anderer Stelle einsparen müsste. Doch das letzte Wort ist noch nicht gesprochen: Die Linke will die Steuerverluste eingrenzen, den Bürgerlichen geht die Vorlage zu wenig weit.
In der Herbstsession soll die USR III vom Ständerat behandelt werden. Bürgerliche Parteien wollen die Reform zügig vorantreiben, die Vorlage wird jedoch frühestens 2018 in Kraft treten. Wenn die SP das Referendum ergreift, könnte es bis 2020 dauern.
Bundesrat legt Botschaft zur USR III vor, «Tagesschau», 5.6.2015:
1. Keine Steuerprivilegien
Mit der USR III werden kantonale Steuerprivilegien für international operierende Firmen abgeschafft – jene Privilegien, die von der EU seit Jahren kritisiert werden. Es handelt sich dabei vorwiegend um Holdinggesellschaften, die vor allem andere Gesellschaften unter sich haben und keine kantonalen Gewinnsteuern bezahlen. Daneben betrifft die Reform auch Domizilgesellschaften; Firmen, die in der Schweiz ihren Hauptsitz haben, aber keine oder nur untergeordnete Geschäfte tätigen.
Mit der Abschaffung der Steuerprivilegien würden sich die Steuern für viele betroffene Unternehmen verdoppeln, sagt Armin Marti, Steuerexperte beim Steuerprüfungskonzern PWC. «Dann muss man eine Abwanderung befürchten.» Würden diese betroffenen Firmen nach dem Verlust ihrer Steuerrabatte wegziehen, rechnet das Eidgenössische Finanzdepartement mit grossen Steuerausfällen – 3,6 Milliarden Franken beim Bund und 2 Milliarden bei den Kantonen. Damit dies nicht geschieht, planen Bund und Kantone als Ersatz der abgeschafften Privilegien eine Reihe von steuerlichen Anreizen.
2. Gewinnsteuern senken
Mit der USR III sollen die Kantone die allgemeinen Gewinnsteuern senken, um für die entprivilegierten Holdings weiterhin attraktiv zu bleiben. Weil diese Steuersenkung aber für alle Unternehmen gilt, ist mit hohen Steuerverlusten zu rechnen. Der Bund will deshalb die Kantone mit 20,5 anstatt wie bisher 17 Prozent an den Bundessteuern beteiligen. Den Kantonen reicht das nicht: Sie wollen mindestens 21,2 Prozent. SP und Gewerkschaften kritisieren, dass der Bund so den interkantonalen Steuerwettbewerb subventioniere.
3. Lizenzboxen
Das wichtigste Instrument der USR III sind die Lizenzboxen. Mit ihnen sollen Gewinne aus Patenten niedriger besteuert werden. Zum Beispiel kann Roche den Gewinn aus einem neuen Medikament, das die Firma in der Schweiz entwickelt hat, tiefer versteuern, als wenn sie ein importiertes Produkt verkaufen würde. Zur Debatte steht aber noch die genaue Ausgestaltung. In der bundesrätlichen Botschaft sind sie eng definiert: Nur wenn die Patente im Inland entwickelt werden, erhalten die Firmen auf die Gewinne eine Steuerreduktion.
Kantone können Firmen zusätzliche Abzüge für Forschung und Entwicklung gewähren, wie beispielsweise ein Bürger Bildungsauslagen von den Steuern abziehen kann. Würde das Parlament die Lizenzbox breiter ausgestalten, könnten auch Firmen davon profitieren, die nicht im engen Sinne mit Patenten Geschäfte treiben. Der Bundesrat hat jedoch eine defensive Strategie gewählt, weil die EU derzeit striktere Normen zu den Lizenzboxen ausarbeitet, die in einigen europäischen Ländern bereits angewendet werden. Auch das Parlament wird sich vermutlich gegen eine breitere Variante aussprechen, um einen Konfrontationskurs mit der EU zu vermeiden. Die breitere Auslegung würde ausserdem dem Sinn der ganzen Vorlage widersprechen.
Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf zur Lizenzbox, 2.4.2015:
4. Gewinnsteuer
Lieber wollen die bürgerlichen Parlamentarier die zinsbereinigte Gewinnsteuer wieder in die Vorlage aufnehmen. Die zinsbereinigte Gewinnsteuer ist ein Steuerabzug für fiktive Zinsen aufs Eigenkapital – wie wenn etwa ein Hausbesitzer, der seine Hypothek abgezahlt hat, genauso tief besteuert würde, wie ein anderer mit einer Hypothek. Gemäss bürgerlichen Politikern und dem Treuhand-Unternehmen PWC würden sich Firmen damit weniger mit Fremdkapital verschulden. Diese Änderung würde Bund und Kantone aber jährlich je 300 Millionen Franken Steuereinnahmen kosten. Der Bundesrat hat diese Massnahme deshalb aus dem Paket entfernt. Auch bürgerlich geprägte Kantone wie Baselland haben diese Änderung in der Vernehmlassungsantwort abgelehnt – zu unvorhersehbar seien die Steuerausfälle.
5. Was bedeutet die USR III für Basel-Stadt?
Die nationale Steuerreform wird einigen Kantonen mehr dienen und anderen weniger. Erstens hängen sie unterschiedlich stark von den Steuern der privilegierten Gesellschaften ab, wie eine Aufstellung des Treuhandkonzerns KPMG zeigt: Im Wallis tragen diese Unternehmen bloss 0,7 Prozent der Gewinnsteuern bei, in Zürich sind es 7 Prozent, in Baselland hingegen bereits 32 Prozent und in Basel-Stadt 58 Prozent. Kein anderer Kanton hängt so sehr wie Basel-Stadt von Gewinnsteuern aus privilegierten Gesellschaften ab.
Der Stadtkanton wird aber mit der Lizenzbox-Lösung ein wirkungsvolles Instrument haben, um Pharma- und Chemie-Riesen bei sich zu halten. «Darunter fallen klassische Pharma-Firmen wie Novartis und Roche», sagt der Basler SVP-Nationalrat Sebastian Frehner, der sich für die Pharma-Branche stark macht. Für Armin Marti von PWC geht die gegenwärtige Lizenzboxversion jedoch zu wenig weit – weil sie nur für Patente im Inland gilt. «Gerade Pharma-Firmen lagern Teile der Forschung ins Ausland aus, zum Beispiel aus Kostengründen», sagt Marti.
Reaktionen von Finanzdirektorin Eva Herzog auf das Nein zur Kapitalgewinnsteuer, «Regionaljournal Basel», 4.2.2015:
6. Was bedeutet es für Baselland?
«Für den Kanton Baselland ist die Lage einiges prekärer, weil wenige Firmen von einer eng definierten Lizenzbox profitieren können», sagt SVP-Nationalrat Frehner. Baselland beklagt sich in der Vernehmlassung denn auch über die Hilfe vom Bund. Anstatt pauschal alle Kantone an der Bundessteuer zu beteiligen, solle Bern besonders Rücksicht auf jene Kantone nehmen, die von der Reform besonders betroffen werden. Noch schwerer als Baselland werden es Kantone wie Waadt und Genf haben, die viele hochmobile Rohstoff-Holdings beherbergen, sagt Frehner. «Wenn die plötzlich 20 statt 5 Prozent Gewinnsteuern zahlen müssen, sind die weg. Diese Kantone müssen sich etwas einfallen lassen.» Frehner erwartet deshalb, dass im Parlament die Debatte nicht nur durch den Links-Rechts-Gegensatz, sondern ebenso durch Kantonsinteressen geprägt sein wird.
7. Widerstand von Links
Die Sozialdemokraten sind alles andere als erfreut, welchen Kurs die Steuerreform genommen hat. «Bürgerlicher Übermut hat die USR III aus dem Gleichgewicht gebracht», schreibt die Baselbieter SP-Nationalrätin Susanne Leutenegger Oberholzer in einer Medienmitteilung. Denn in der jetzigen Ausgestaltung werde die Vorlage zwar Steuerprivilegien abschaffen, mit den Ersatzmassnahmen aber Steuerausfälle in Höhe von geschätzten 1,3 Milliarden Franken pro Jahr produzieren.
Der Bundesrat hat die Kapitalgewinnsteuer, mit der er – zur Freude der Linken – die Steuerausfälle kompensieren wollte, aus dem Paket entfernt. Nach Berechnungen des Finanzdepartements würde die Steuer den Kantonen 800 Millionen pro Jahr einschenken und dem Bund 300 Millionen. Doch der Widerstand der bürgerlichen Parteien war zu gross. SP und Gewerkschaften werden in der Parlamentsdebatte beantragen, die Kapitalgewinnsteuer wieder in die Vorlage aufzunehmen – sie werden damit aber chancenlos sein. Für die Steuerausfälle soll der Bund aufkommen. Er soll sein Budget gemäss Botschaft bis 2016 um 1,1 Milliarden Franken kürzen.
Widerstand gegen die Kapitalgewinnsteuer, «Tagesschau», 2.4.2015:
Die letzte Option wäre daher ein Referendum. Bereits 2008 stimmte die Bevölkerung über die Unternehmenssteuerreform II ab. Die Reform wurde mit einer dünnen Mehrheit angenommen – und die massiv höher als vorausgesagt ausgefallenen Steuerverluste stärkten beim Stimmvolk nicht gerade das Vertrauen in künftige Steuersenkungen. Bei Wirtschaftsthemen stimmt eine Mehrheit der Bevölkerung tendenziell für rechtsbürgerliche Rezepte und nicht für linke Anliegen – das haben die Abstimmungen der letzten Jahre deutlich vor Augen geführt.
Und zuletzt müsste sich die SP bei einem Referendum den Vorwurf gefallen lassen, gegen die Abschaffung der geächteten Holdingprivilegien zu arbeiten. Denn um die ging es in der USR III eigentlich. Doch die bürgerliche Mehrheit ist daran, die Vorlage in ein weiteres, grossangelegtes Steuersenkungsprogramm zu verwandeln.