Ein «Basler» Multi am Pranger

Syngenta steht derzeit wegen der geplanten Übernahme durch ChemChina in den Schlagzeilen. Die Geschäftspraktiken des Konzerns werden weniger diskutiert. Das «Schwarzbuch Syngenta» will das ändern. Es durchleuchtet den Konzern und sammelt Fälle von Pestizidvergiftungen, Arbeitsrecht-Verletzungen und Lobbying.

Der Tod vor dem Eingang der Syngenta in Basel. Immer wieder protestieren NGOs und Aktivisten gegen das Unternehmen.

(Bild: ANDREAS FROSSARD)

Syngenta steht derzeit wegen der geplanten Übernahme durch ChemChina in den Schlagzeilen. Die Geschäftspraktiken des Konzerns werden weniger diskutiert. Das «Schwarzbuch Syngenta» will das ändern. Es durchleuchtet den Konzern und sammelt Fälle von Pestizidvergiftungen, Arbeitsrecht-Verletzungen und Lobbying.

Mittwochabend, das SRF Regionaljournal hat zum Podiumgespräch über die bevorstehende Übernahme von Syngenta durch ChemChina ins Hotel Les Trois Rois geladen. Eineinhalb Stunden wird über die Erwartungen von Investoren, Übernahmestrategien, Shareholder-Value und die neue Wirtschaftsmacht China diskutiert. Syngenta-Geschäftsleitungsmitglied Christoph Mäder beschwichtigt Ängste vor der chinesischen Übernahme unter anderem damit, dass Syngenta – anders als zum Beispiel die Betreiber von Staumauern oder Schienennetzen – nicht systemrelevant für das Land sei.

Es wirkt ein wenig, als diskutiere man über ein urschweizerisches KMU mit mittelmässigen Ambitionen. Würde gegen Ende nicht ein Aktivist der NGO Multiwatch die Runde etwas aufschrecken, hätte man glatt vergessen, dass es sich um den weltweit grössten Pestizidproduzenten und die Nummer drei in der Saatgutproduktion (nach Monsanto und DuPont) handelt; um einen Konzern, der gerne für sich beansprucht, Teil der Lösung der globalen Welternährungskrise zu sein. Von wegen nicht systemrelevant. 

Empörung über Syngentas Auftritt in Mailand

Es war eine turbulente Woche für den Hauptsitz des Agrochemiekonzerns in Basel: Am Mittwoch musste das Unternehmen bekannt geben, dass der starke Dollar und das verhaltene Amerika-Geschäft den Start ins Jahr vermiest haben. Aktuell mehren sich die kritischen Stimmen gegenüber der bevorstehenden Übernahme durch ChemChina. Vor allem in den USA, aber vereinzelt auch in der Schweiz. Und am Donnerstagabend stellte Multiwatch – eine breite Koalition von NGOs, Gewerkschaften, Parteien und globalisierungskritischen Organisationen – das «Schwarzbuch Syngenta» in der Markthalle vor.

Den entscheidenden Impuls für das 313-Seiten starke Buchprojekt gab vor etwas über einem Jahr der Entscheid der Basler Regierung für Syngenta als Hauptsponsor für den Auftritt an der Weltausstellung 2015 in Mailand. Ein Autorenkollektiv von Multiwatch setzte sich daraufhin ein Jahr lang mit dem Basler Agrochemiekonzern auseinander. Wobei der Begriff «Basler» Unternehmen, den der Konzern aus nachvollziehbaren politischen Gründen gerne pflegt, verwirrend ist. Syngenta ist heute durch und durch ein multinationales Unternehmen, mehrheitlich im Besitz von amerikanischen und britischen Grossaktionären. Von den über 20’000 Arbeitsplätzen in 90 Ländern befinden sich noch rund 3000 in der Schweiz.

In der «Pestizidtretmühle»

Das Autorenkollektiv analysiert die Geschichte des Konzerns, fragt nach seiner aktuellen Rolle im globalen Agrobusiness und versammelt Gastbeiträge von Kritikern einer industriellen und auf maximale Produktivität und Profite getrimmten Landwirtschaft. Miguel Altieri, Professor für Agrarökologie an der University of California in Berkeley, konstatiert eine «Pestizidtretmühle», in der sich die heutige Landwirtschaft befindet. So würden sich Unkräuter fortlaufend an die von Agrochemiekonzernen verkauften Pestizide anpassen und neue Resistenzen bilden. Darauf wird mit noch mehr und neuen Pestiziden geantwortet – ein Teufelskreis.

Für das Pestizid Atrazin, ein Syngenta-Produkt, sind heute bereits 80 resistente «Superunkräuter» dokumentiert. Atrazin kommt vor allem im Maisanbau gegen Unkraut zum Einsatz. Es wurde schon mehrfach für eine Reihe von Gesundheitsschäden bei Fischen, Amphibien, Reptilien und Säugetieren verantwortlich gemacht. In der EU und der Schweiz wurde das Pestizid verboten. Nicht so in den USA und den meisten Entwicklungsländern. Laut Altieri wurden alleine in den USA 2007 noch 36’000 Tonnen davon versprüht. Altieris Kollege in Berkeley, der Biologieprofessor Tyrone Hayes, kämpft schon lange für ein amerikanisches Verbot. Dafür wurde er von Syngenta diffamiert und verleumdet.

Syngentas «Good Growth Plan» – ein PR-Werkzeug

Um davon abzulenken, dass Syngenta von der «Pestizidtretmühle» profitiert und die Konzerngewinne direkt von der Menge an versprühten Pestiziden abhängen, hat das Unternehmen den «Good Growth Plan» initiiert (siehe auch Stellungnahme). Beim Durchblättern der hübsch gestalteten Broschüre, erhält man als Laie sofort den Eindruck, Syngenta sei Teil der Lösung der globalen Welternährungs- und Umweltkrise.

Das tönt zuweilen sehr aktivistisch: «Es muss sich etwas ändern», steht da. Und: «So können wir nicht weitermachen.» Syngenta verpflichtet sich, die Biodiversität zu fördern, Ackerland zu bewahren, Kleinbauern zu unterstützen und sich für «jeden Arbeiter» zu engagieren. Es ist das kleine Einmaleins der «Corporate Social Responsibility», die sich heute jedes namhafte Unternehmen auf die Fahne schreibt. Das Ganze liest sich so gefühlsduselig und bemüht besorgt, wie sich die Live-Aid-Konzerte von Bob Geldof anhören.

Wir fragen nach, bei einem der regelmässig mit Vertretern der grossen Agrochemiekonzerne am Tisch sitzt: Hans Herren ist Agraringenieur, hat Forschungsinstitutionen in Afrika geleitet und gilt als Pionier der Agrarökologie. 1995 erhielt er den Welternährungspreis. «Syngenta ist klar Teil des Problems und nicht Teil der Lösung», sagt Herren. «Nachhaltigkeit verträgt sich schlicht nicht mit dem Geschäftsmodell von Syngenta.» Den «Good Growth Plan» müsse man als professionelle PR verstehen; mit der tatsächlichen Geschäftsstrategie habe das nichts zu tun. Herren sieht darin eine bewusste Missinformationskampagne zugunsten der eigenen Geschäftsinteressen.

Doch was ist mit dem von Syngenta wie ein Mantra wiederholten Argument, nur mit hochproduktivem, gentechnisch verändertem Saatgut könne die Ernährung für die neun Milliarden Menschen gesichert werden, die für 2050 prognostiziert werden? «40 Prozent der weltweit produzierten Nahrungsmittel landen im Abfall, vor allem weil sie viel zu billig sind. Weitere grosse Anteile werden für die Produktion von Agrotreibstoffen und Futtermittel verschwendet. In den meisten Gebieten brauchen wir nicht mehr, sondern qualitativ bessere Nahrungsmittel!», sagt Herren.

Laut Weltagrarbericht liegt der Schlüssel für nachhaltige Ernährungssicherheit in mehr kleinbäuerlichen Strukturen und weniger Chemikalieneinsatz.

Dass die industrielle Landwirtschaft keine nachhaltige Lösungen für den Welthunger bietet, wurde bereits im Weltagrarbericht von 2008 festgehalten, den über 400 Wissenschaftler im Auftrag der Vereinten Nationen und der Weltbank verfasst haben. Wissenschaftliche Erkenntnisse wurden in einem Peer-Review-Prozess verifiziert und das verfügbare Wissen über die globale Landwirtschaft unter Berücksichtigung der Erfahrungen von Bauern ausgewertet. Das Ergebnis: Die Schlüssel für eine nachhaltige und ernährungssichernde Landwirtschaft liegen in agrarökologischen Methoden, in der Stärkung von kleinbäuerlichen Strukturen, in der Förderung regionaler Ernährungssouveränität, der Verbesserung von Bodenqualität, der Verringerung des Chemikalieneinsatzes und einer Erhöhung der angepassten Sortenvielfalt.

Herren war damals Co-Präsident des Berichts. Er erinnert sich, dass zu Beginn auch zwei Vertreter von Syngenta mitgeschrieben haben. Sie hätten sich jedoch frühzeitig zurückgezogen und das Unternehmen wollte später nicht mehr mit dem Bericht in Verbindung gebracht werden. Hauptstreitpunkt war laut Herren die Aussage über gentechnisch veränderte Pflanzen. Die Wissenschaftler kamen im Bericht zum Schluss, dass es noch zu früh sei, um Gentechpflanzen auf die Felder auszubringen, und dass sämtliche Forschungserkenntnisse in diesem Bereich öffentlich zugänglich und nicht privatisiert werden sollten.

Das war nicht in Syngentas Interesse; schliesslich lebt das Unternehmen von seinen Patenten und Agrochemikalien. Daraufhin attackierten Syngenta-Forscher laut Herren die Autoren des Weltagrarberichts in wissenschaftlichen Journalen und versuchten, deren Glaubwürdigkeit zu untergraben. Syngenta hatte viel zu verlieren: «In einer Landwirtschaft, wie sie im Weltagrarbericht vorgeschlagen wurde, hätten die grossen Agrochemiekonzerne keinen Platz mehr», sagt Herren. Eine aktualisierte Auflage des Berichts gibt es bis heute nicht. «Der politische Druck dagegen, vor allem aus den USA, war zu gross», sagt Herren.

Syngentas Vision einer nachhaltigen Landwirtschaft lebt von der Notwendigkeit guter Quartalsabschlüsse für die Aktionäre.

Herrens Erinnerungen an die Zusammenarbeit mit Syngenta fügen sich gut in das vom «Schwarzbuch Syngenta» vermittelte Bild: Das Unternehmen scheut keine Kosten und keinen Aufwand, um seine eigene Vision einer «nachhaltigen» Landwirtschaft durchzuboxen; eine Vision, die stark von der Notwendigkeit von guten Quartalsabschlüssen für die Aktionäre lebt.

Doch die von Multiwatch erhobenen Vorwürfe betreffen nicht nur die Nachhaltigkeit und Landwirtschaft im engeren Sinne: Es geht weiter um die Privatisierung von öffentlichem Gut durch Patente, das Anheizen von gewaltsamen Landkonflikten durch die Zusammenarbeit mit bewaffneten Milizen (siehe Interview) und die Missachtung von Arbeits- und Gewerkschaftsrechten. Im Buch wird der schon aus der «WoZ» bekannte Fall des pakistanischen Gewerkschaftsführers Imran Ali detailliert geschildert, der nach Darstellung von Multiwatch aufgrund seines Engagements für entrechtete Zeitarbeiter nach fast 30 Jahren bei Ciba-Geigy, Novartis und schliesslich Syngenta gefeuert wurde.

Auf diesen Fall angesprochen brauste Syngenta-Geschäftsleitungsmitglied Christoph Mäder am anfangs erwähnten Podium auf: «Diese Geschichte wird durch ständige Wiederholung nicht glaubwürdiger!» Gerne hätte man Mäder oder ein anderes Konzernleitungsmitglied auf die Anschuldigungen im Buch angesprochen. Doch mehrere Anfragen per E-Mail und Telefon werden nach langer Stille mit einem allgemein gehaltenen Communiqué in englischer Sprache beantwortet.

Der Widerstand wächst

Der Widerstand gegen Agrochemiekonzerne, wie Syngenta, Monsanto, DuPont, BASF, Dow und Bayer, nimmt weltweit zu. Vor allem der US-Konzern Monsanto kam in den letzten Jahren unter starken öffentlichen Beschuss. 2013 fand der erste weltweite «March against Monsanto» statt, der mittlerweile jährlich in über 400 Städten ausgetragen wird. In Basel waren es letztes Jahr über 1000 Teilnehmer, die den Umzug kurzerhand in einen «March against Monsanto and Syngenta» umbenannten.

Und auch in den direkt von den Pestiziden betroffenen Gebieten regt sich Widerstand: Zum Beispiel auf Kauai, der nördlichsten bewohnten Insel Hawaiis. Seit Jahren wird die Insel aufgrund ihrer idealen klimatischen Bedingungen von grossen Agrarchemiekonzernen als Testgelände für neues Saatgut genutzt. Laut einem Bericht in «Reportagen» ist Syngenta heute auf der Insel jedem ein Begriff; als der Konzern, der tausende Kilometer entfernt vom Hauptsitz in Basel rücksichtslos Pestizide spritzt, ohne sich um die Gesundheit der Bevölkerung zu kümmern.

Der Fall ist im Schwarzbuch gut dokumentiert. Laut Multiwatch erreichten die auf Kauai ausgesprühten Pestizide pro Flächeneinheit teilweise das Zehnfache des US-Durchschnitts. Gespritzt wird auch Atratzin und Paraquat, beide Mittel sind in der Schweiz seit Längerem verboten. Ärzte vor Ort berichten seither von gehäuftem Asthma und Geburtsfehlern. 2013 demonstrierten schliesslich über 4000 Bewohner und Bewohnerinnen für ein neues Gesetz für den Schutz der Bevölkerung vor Pestiziden. Syngenta ging gemeinsam mit Konkurrenzunternehmen gerichtlich dagegen vor.

«Schwarzbuch Syngenta» gibt einen bislang einzigartigen Überblick über die sozialen und ökologischen Spuren, die der «Basler» Konzern auf der ganzen Welt hinterlässt. Auch wenn über viele Fälle bereits in Schweizer oder ausländischen Medien berichtet wurde. Und auch wenn dem Schwarzbuch die investigative Tiefe fehlt, welche die herausragende Publikation der «Erklärung von Bern» zur Rolle von Schweizer Unternehmen im globalen Rohstoffhandel auszeichnete. Die Zeichen stehen gut, dass das Buch seine Leser finden wird: Wie kürzlich bekannt wurde, kam doch die Konzernverantwortungs-Initiative in weniger als einem Jahr zustande. Die 140’000 Unterzeichnenden dürften sich dafür interessieren, ob der «Basler Konzern» für seine Geschäfte im Ausland Verantwortung trägt – ganz egal, ob er in Zukunft noch Syngenta oder ChemChina heisst.

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«Schwarzbuch Syngenta – dem Basler Agromulti auf der Spur», Verlag: edition8, Herausgeber: Multiwatch.

Die Stellungnahme von Syngenta

Syngenta position regarding the Schwarzbuch from Multiwatch

We are aware of the publication of Multiwatch’s «Blackbook Syngenta / Schwarzbuch Syngenta».

Syngenta’s ambition is to bring greater food security in an environmentally sustainable way to an increasingly populous world by creating a worldwide step-change in farm productivity. The true impact of our work around the world is evident in The Good Growth Plan. The results that we report transparently are fully audited and publicly available. NGOs, along with all other stakeholders, are invited to scrutinize and comment on the results of our progress on each of the six commitments.

We also welcome and support that any disregard of human rights is brought to public attention. We are committed to behave ethically in all our business activities and to respect the people and communities where we operate. The Syngenta Code of Conduct sets out our commitment to comply with all labor laws, national and international codes and conventions, and to uphold the principles set out in the Universal Declaration of Human Rights and the International Labor Organization’s Core Conventions.

In cases where we see any non-compliance in the way we operate we are addressing these cases rigorously. We support open and inclusive dialogue and will mitigate any issues that may occur in an international operating business. That is why we invited Multiwatch to enter into a dialogue with Syngenta, and offered them to meet at our research facilities in Stein. We are looking forward to a constructive dialogue.


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