Makers gegen Takers

Sind die Superreichen der Motor der US-Wirtschaft? Oder verhindern sie sogar das Fortkommen des Mittelstands? Zwei Bücher zeigen die tiefe Spaltung der Gesellschaft.

Lebt der Mittelstand von den Brosamen, die den Reichen unter den Tisch fallen, oder ist es umgekehrt? (Bild: Illustration Nils Fisch)

Sind die Superreichen der Motor der US-Wirtschaft? Oder verhindern sie sogar das Fortkommen des Mittelstands? Zwei Bücher zeigen die tiefe Spaltung der Gesellschaft.

Neoliberale und Konservative ­haben in den USA eine neue Trennung der Gesellschaft eingeführt. Sie unterscheiden nicht mehr zwischen Kapitalisten und Arbeitern, sondern zwischen Makers (Machern) und ­Takers (Empfängern). Hinter dieser Aufteilung ­versteckt sich die wichtigste wirt­schafts­politische Grundsatzfrage der Gegen­wart: Wer schafft Wohlstand? Sind es die Superreichen? Oder sind die Superreichen im Gegenteil die wahren Wohlstands-Verhinderer für den breiten Mittelstand? Zwei Bücher, die kürzlich erschienen sind, zeigen die Positionen beispielhaft auf. Verfasst ­haben sie einerseits der Unternehmensberater Edward Conard und andererseits der Ökonomieprofessor Joseph Stiglitz.

Ungleichheit ist ein Segen

Edward Conard war bis vor ein paar Jahren Managing Director der Beratungsfirma Bain Capital. Angeheuert hat ihn der damalige CEO der Firma, Mitt Romney, der unterlegene Präsidentschaftskandidat der Republikaner. Conard hat wie Romney mit dem Sanieren und Restrukturieren von Unternehmen ein Vermögen von mehreren Hundert Millionen Dollar verdient. Sein Buch «Unintended Consequences» (ungewollte Konsequenzen) ist eine radikale Rechtfertigung für die neue Finanz-Oligarchie. Ungleichheit ist für Conard kein Fluch, sondern ein Segen. «Anstatt die un-gleiche Einkommensverteilung zu beklagen, sollten wir den Erfolg der US-Innovationen im Vergleich zur restlichen Welt feiern», stellt er fest, «und diese Inno­vationen haben einen wohltuenden Effekt auf die einheimische Beschäftigung.»

Der wohltuende Effekt der Superreichen wird in der ökonomischen Theorie «trickle down»-Effekt genannt. Darunter versteht man die Tatsache, dass vom Luxuskonsum der Reichen auch ein paar Brosamen an die Armen abfallen. Jachten und Prunkvillen müssen gebaut und ­gewartet werden. Dabei entstehen Arbeits­plätze. Conard geht einen entscheidenden Schritt weiter. Die Superreichen sind in seinen Augen deshalb Makers, weil sie dank ihres Vermögens Verluste verkraften und Risiken eingehen können. Sie stellen der Wirtschaft den grössten Teil des Risiko­kapitals zur Verfügung. Innovation und Fortschritt sind nur dank Risikokapital möglich. Die Superreichen und ihre ­Risikobereitschaft sind somit der ­eigentliche Motor des Fortschrittes. Der Mittelstand hingegen will sein Geld möglichst sicher anlegen, am liebsten in Staatsanleihen. Diese Gelder werden weitgehend für unproduktiven Konsum, etwa Sozialleistungen, verwendet.

Die Helden der Moderne

Die Makers sind nur so lange bereit, grosse Risiken einzugehen, als auch grosse Gewinne winken. Deshalb sollte man sie in Ruhe lassen und sie keinesfalls hart besteuern. Nur so sind die Superreichen bereit, bis zur Erschöpfung zu arbeiten. Sie sind die eigentlichen Helden der Moderne. «Gott hat die Talentierten nicht zur Erde geschickt, damit sie glücklich sind», so Conard. «Er hat sie geschickt, damit sie Verantwortung übernehmen, führen, innovieren und Risiken übernehmen.»

Selbst die Takers profitieren letztendlich von den titanischen Anstrengungen der Makers. Der so geschaffene Wohlstand kommt vor allem den Konsumenten zugute. Sie schöpfen fast den gesamten Mehrwert einer Innovation ab. Selbst wenn ein Mark Zuckerberg beim Facebook-Börsengang Milliarden kassiert, sind das letztlich Peanuts. «Jeder Dollar, den Unternehmer wie er aufs Spiel setzen, schafft für die Konsumenten einen Mehrwert von 20 Dollar», rechnet uns Conard vor.

Und was ist mit den Banken und ihren riesigen Kasinogewinnen? Sie sind für Conard vernachlässigbar. Weder die Gier der Banker noch eine Orgie unverantwortlicher Kreditvergaben und toxischer Finanzinstrumente haben die Finanzkrise verursacht. Gemäss Conard war die Ursache ein simpler Bankrun, und solche Runs passieren nun mal ab und zu. Grundsätzlich sind die Banken die wichtigsten Verbündeten der Superreichen im Kampf für Innovation. Sie sorgen für liquide Finanzmärkte und dafür, dass die Investitionen dort ankommen, wo sie am effizientesten eingesetzt werden können. Folgerichtig plädiert Conard weder für eine härtere Überwachung der Banken noch gar für deren Aufteilung in Geschäfts- und Investmentbanken. Er fordert im Gegenteil ein Regierungsprogramm, das sie im Fall eines neuerlichen Bankruns besser schützt.

Superreiche als Absahner

Joseph Stiglitz steht am andere Ende des Spektrums der Wohlstandsdiskussion. Er war einst Chefökonom der Weltbank, Berater der Clinton-Regierung, er ist Nobelpreisträger und Professor an der Columbia University in New York. Auch er hat diesen Sommer ein Buch veröffentlicht, «The Price of Inequality», das eben auf Deutsch erschienen ist: «Der Preis der Ungleichheit». Darin stellt er einen Zusammenhang zwischen Wirtschaftswachstum und Einkommensverteilung her, aber einen negativen: Je grösser die Ungleichheit, desto schwächer das Wachstum. «Von den Rechten wird oft behauptet, dass wir zwar mehr Gleichheit haben könnten, dass dies aber auf Kosten eines schwächeren Wachstums geschehen würde», stellt Stiglitz klar. «In der Realität geschieht das Gegenteil: Wir haben ein System, das Überstunden macht, um Geld von unten nach oben umzuverteilen, aber das System ist so ineffizient, dass dabei die Gewinne für die Oberen viel kleiner sind als die Verluste für die anderen.»

Superreiche sind nicht Risikoträger, sie schöpfen vielmehr eine ungerechtfertigte Rente ab. Das bedeutet, sie «erhalten ihr Einkommen nicht, weil sie Wohlstand kreieren, sondern weil sie einen grösseren Teil des Wohlstands, der ohne ihr Zutun entstanden ist, für sich beanspruchen». Der Finanzsektor spielt dabei eine Schlüsselrolle. Er sorgt dafür, dass die Skrupellosen sich auf Kosten der Allgemeinheit bereichern können. «Die auffälligste Form, sich Renten zu verschaffen, hat im Finanzsektor stattgefunden», stellt Stiglitz fest. «Auf Kosten der Armen und Ahnungslosen sind dort enorme Summen verdient worden, indem man diesen Gruppen unnötige Kredite aufgeschwatzt oder überrissene Zinsen auf Kreditkarten kassiert hat.»

Verheerende Folgen

Als Rentenabschöpfer tragen Superreiche gar nichts zu Innovation bei. Im Gegenteil: Sie fördern eine Monopolisierung der Wirtschaft – und «Monopolisten sind schlechte Innovatoren». Gerade in einer globalisierten Weltwirtschaft sind die Folgen verheerend. Es werden nicht die «schlechten» Jobs ausgemerzt, sondern die «guten». «Die neuen Jobs sind schlechter bezahlt und kurzfristig», stellt Stiglitz fest. «Fähigkeiten, die Arbeitnehmer wertvoll machten und ihnen einen guten Lohn sicherten, sind weniger wert geworden.» Von der Globalisierung in der aktuellen Form profitiert deshalb eine schmale Finanzoligarchie, der breite Mittelstand guckt in die Röhre.­

Innovation und Fortschritt entstehen gemäss Stiglitz nicht, weil ein paar Superreiche einen Teil ihres Vermögens riskieren. «Die moderne Gesellschaft verlangt kollektives Handeln», stellt Stiglitz fest. «Die sozialen Vorteile dieser Investitionen dürfen nicht vom Privatsektor abgeschöpft werden, sonst wird dies dazu führen, dass zu wenig investiert wird.» Die zerfallende Infrastruktur der USA, der miserable Zustand der Schulen und die Unfähigkeit, in nachhaltige Energie zu investieren, sind laut Stiglitz Belege für seine These. Er plädiert für eine «trickle-up»-Ökonomie, in der Wohlstand unten geschaffen und gerecht verteilt wird.

«Trickle down» oder «trickle up»? Das ist in den USA die Frage.

«Trickle down» oder «trickle up»? Die beiden Modelle haben völlig unterschiedliche Konsequenzen: Conard schwebt eine Gesellschaft vor, in der – wie einst in der Schweiz – Ausländer als Saisonniers eingeflogen werden, wenn Bedarf besteht. «Wir ersetzen die weniger Talentierten und Unzuverlässigen aus einem nie versiegenden Strom von Saisonniers», stellt Conard fest. «Wir sparen sehr viel Geld, indem wir beispielsweise keine Altersvorsorge mehr finanzieren müssen. In einer Rezession können wir Saisonniers nach Hause schicken und die einheimischen Angestellten schonen.» Der nicht­amerikanische Arbeitnehmer wird wieder zum rechtlosen Leibeigenen.

Eine solche Gesellschaft ist für Stiglitz ein Albtraum: Er sieht «Reiche, die in streng gesicherten Siedlungen wohnen, bedient von schlecht bezahlten Arbeitern», und warnt vor «instabilen ­politischen Systemen». Demgegenüber stellt er die Vision einer Gesellschaft, in der die Ungleichheit wieder zurückgestutzt und der Wohlstand fairer verteilt ist. «In dieser Vision haben wir ein vibrierendes politisches System, in dem nicht 80 Prozent der Jugendlichen sich der Gesellschaft völlig entfremdet fühlen und sich nicht einmal mehr die Mühe machen zu wählen.»

  • Edward Conard, «Unintended Consequences», Penguin Book, New York, 2012
  • Joseph E. Stiglitz, «Der Preis der Ungleichheit», Siedler Verlag, 2012

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 07.12.12

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