Novartis-CEO Vas Narasimhan wickelt Basel um den Finger: Ein Lehrstück in fünf Akten

Seit Februar ist der neue CEO von Novartis im Amt. Am Montagabend hat er sich erstmals einer breiteren Basler Öffentlichkeit vorgestellt.

Auftritt, Talk, Abgang: Vas Narasimhans Basel-Besuch erfolgte im Tempo der Wirtschafts-Weltelite.

Der Ansager

Auftritt Dr. Gottlieb Keller. Präsident der Statistisch-Volkswirtschaftlichen Gesellschaft, General Counsel der Roche und damit Gastgeber und Konkurrenz zugleich. Jovialer Typ, erzeugt sofort Kaminfeuerwärme im Saal.

Keller macht einen Witz über den neuen Dresscode (keine Krawatte, Gelächter im Saal). Bedankt sich bei der «Basler Zeitung», die Vas Narasimhan very kindly in der Montagsausgabe vorgestellt habe, eine lange Einführung sei damit hinfällig. «Doctor Narasimhan, the floor is yours.» Das hat gerade mal 30 Sekunden gedauert.

Das biografische Band zu Basel

Auftritt Vasant Narasimhan oder Vas, wie er sich nennen lässt. Ein grosser Mann, 42 Jahre alt, breite Schultern, gerader Rücken, das kurze Haar mit etwas Gel über dem Scheitel gebändigt. Man will sich anlehnen. «Lassen Sie mich mit einer persönlichen Geschichte beginnen», sagt er. Hinter ihm erscheint die Projektion einer Schwarzweissfotografie, ein Mann im Talar. Narasimhans Grossvater.

«Mein Opa ist der erste Mann aus meiner Familie, der es an die Universität geschafft hat, und auch der Erste, der nach dem Abschluss der Pharmakologie unser Heimatland Indien verliess.» Und wohin reiste Narasimhans Grossvater? Eben nach Basel. Hier absolvierte er in den 1950ern eine Lehre bei Ciba-Geigy.

Nach nicht einmal drei Minuten ist damit vieles gesagt. Dass es Narasimhan in der dritten Akademikergeneration zum Top Shot eines Weltkonzerns gebracht hat (zielstrebiger Aufsteiger) und dass ihm der Forschungsstandort Basels quasi in die eigene DNA eingeschrieben ist. Wohliges Stühlerücken im Audimax. Narasimhan, einer von uns. Der CEO zeigt jetzt ein Bild vom Basel der 1950er-Jahre, das sich zu einem weltweit führenden Zentrum für pharmazeutische Innovation entwickelt habe. Sagt Narasimhan.

Er hat noch nicht ein einziges Mal auf sein Skript geschaut.

Die demütige Expertise

Narasimhan weiss: Um die Leute mit der Komplexität der Materie nicht zu überfordern, braucht es starke Bilder. Er sagt: Medizin ist ein Kunsthandwerk. Er drosselt das Sprechtempo, an der Wand hinter ihm erscheinen Grafiken. Von der Antike bis in die Neuzeit habe man geglaubt, die Götter seien für die Lebensdauer der Menschen verantwortlich, sagt Narasimhan. An der Schwelle zum 20. Jahrhundert habe sich das verändert.

Und weitere Grafiken zeigen: Mit der Entdeckung der Medizin steigt auch die durchschnittliche Lebenserwartung der Menschen steil an. «Wir dehnen in fact die ‹Kurve des Lebens›, wie wir bei Novartis gerne sagen, wir verlängern das Leben und verbessern die Qualität des Lebens all around the world.»

Narasimhan fokussiert medizinhistorische Details und bleibt doch gerade so verständlich, dass man ihm folgen kann. Dann spricht er über die neue Unternehmenskultur. Er wolle eine Fehlerkultur, keine Versagensangst. «Nur wer sich zu scheitern traut, lässt seiner Kreativität freien Lauf.» Diversität sei Trumpf. Top-down-Entscheide out.

Die Teambilder aus den Novartis-Labors, die hinter Narasimhan an die Wand geworfen werden, beweisen das. Diversity und Gender equality allenthalben. Nur die Labortische und Arbeitskleider der Angestellten sind blitzweiss.

Narasimhan steht nach den Vorgängern Joseph Jimenez und Daniel Vasella für eine neue Novartis. Er ist, was die Talentsucher einen «Golden Boy» nennen, schreibt die NZZ. Ein Novartis-Mitarbeiter attestiert Narasimhan «Aura, emotionale Präsenz» und die Fähigkeit, in einem «Saal mit selbstbewussten Schnelldenkern» Eindruck zu hinterlassen.

Der Reality-Check in der mit selbstbewussten Schnelldenkern gut gefüllten Aula der Uni Basel bestätigt: Der Mann hat sie alle im Sack.

Die Fragerunde

Es ist noch keine halbe Stunde rum, Zeit für Fragen. Einer fragt: Dr. Narasimhan, wie wollen Sie das «kollektive Genie» der Novartis-Belegschaft (Zitat aus dem Vortrag) vor möglichen Egomanen (Anspielung auf Ex-Novartis-Bosse Jimenez und Vasella) schützen? Dr. Narasimhan, wie wollen Sie Novartis konkurrenzfähig halten?

Keine Fragen zu den 1,2 Millionen Dollar, die Novartis an Donald Trumps Anwalt gezahlt hat. Der Konzern steht seither im Verdacht, unlautere Lobbying-Zahlungen getätigt zu haben. Keine Fragen auch bezüglich der Korruptionsvorwürfe an Novartis aus Griechenland. Der im Februar publik gewordene Vorwurf lautet, Novartis habe «Tausende» von Ärzten und Verwaltungsangestellten bestochen, um seine Produkte zu lancieren.

Gastgeber Dr. Gottlieb Keller beansprucht stattdessen die letzte Frage für sich: «Dr. Narasimhan, wenn Sie erlauben: In Basel haben wir zwei weltweit führende Pharma-Konzerne und weitere Firmen in der Peripherie. Indien ist ungleich viel grösser. Worin liegt der kulturelle Unterschied, dass Indien über keine so innovativen Firmen verfügt wie Basel?»

Ein Selfie mit der Basis: Vas Narasimhan auf dem Weg zum Abendessen.

Ungläubiges Kichern im Plenum. Und zum ersten und einzigen Mal an diesem Abend verliert Narasimhan, dessen Grossvater aus Indien nach Basel kam, der Einer-von-uns-Narasimhan, die Fassung.

Aber er fängt sich schnell. Indien könne eben noch nicht auf vergleichbare Forschungscluster, Universitäten, Firmen und Start-ups zurückgreifen. Er hoffe, das werde sich bald ändern. Eine Antwortet in Demut auf eine unerhörte Frage.

Der Abgang

Keine Dreiviertestunde ist rum. Ein zackiges Nicken zum Publikum, die Show ist vorbei. Ein Blitz-Talk im Tempo der Wirtschafts-Weltelite, schnell, zielstrebig, effizient. Narasimhan geht mit einer kleinen Delegation essen. Apéro gibts keinen.

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