Für rund 100 Millionen Franken will der Novartiskonzern in Risch am Zugersee ein sogenanntes «Learning Center» für Kaderleute errichten. Am kommenden Wochenende werden die Stimmbürger der Gemeinde Risch-Rotkreuz darüber an der Urne abstimmen. Ein renommierter Professor für öffentliches Recht äussert grundsätzliche Bedenken.
Das Landgut Aabach in Risch im Kanton Zug. Die Besichtigung beginnt dramatisch. Eine Lautsprecherstimme herrscht die Passanten an, sich unverzüglich zu entfernen. Ein Sicherheitsmann schiesst am Laufmeter Bilder von Besuchern, die sich harmlos auf der Kantonsstrasse bewegen. Keine zehn Minuten später ist bereits die Kantonspolizei vor Ort. Personenkontrolle. Den Gesetzeshütern ist die Sache offensichtlich selber unangenehm. Und der Besucher denkt sich: So also sieht eine «Sonderzone» aus.
Immerhin genügt der Augenschein, um sich ein Bild zu machen. Der Zugersee grenzt unmittelbar ans Anwesen, die Halbinsel Chiemen liegt nur ein paar hundert Meter entfernt, gegen Süden hin sind die Schwyzer- und die Nidwaldnerberge zu sehen. An diesem erlesenen Ort nun möchte Novartis sein Grossprojekt eines «Learning Centers» errichten. Wer immer das Gelände betrachtet, stellt sich unweigerlich die Frage: Darf man hier denn überhaupt bauen? Das Gut Aabach, auf dem das Projekt geplant ist, liegt nämlich in der Landwirtschaftszone.
Ein Prestigeprojekt für Novartis
Offenkundig ist, wie viel Novartis an diesem Prestigeprojekt liegt. Mit gross aufgezogenen Informationsveranstaltungen versuchte der Basler Chemieriese die Bevölkerung für sein Projekt zu gewinnen. Anfangs Oktober, also mitten in der laufenden Eishockeysaison, wurde bekannt, dass sich Novartis für die Dauer eines Jahres beim EV Zug engagiere. Die Neue Zuger Zeitung brachte in einem Kommentar dieses Engagement denn schon einmal unverhohlen mit dem Rischer-Bauvorhaben in Verbindung. Ein Komitee bestehend aus der lokalen Politprominenz weibelt schon seit Monaten für das Projekt. Auf Nachfrage bestätigt Novartis, dass der Konzern das Pro-Komitee finanziell unterstützt.
Ungewöhnlich war auch der Eifer, den der Zuger Baudirektor Heinz Tännler im Vorfeld für das Vorhaben an den Tag legte. Dies ging bis hin zu einem gemeinsamen Auftritt mit Projektplaner Daniel Vasella anlässlich eines Informationsabends. Der St. Galler Rechtsprofessor Rainer Schweizer weist darauf hin, dass sich ein Baudirektor bei einem derart umstrittenen Projekt ganz grundsätzlich eine gewisse Zurückhaltung auferlegen müsste
Wäre eine Bauzone hier wirklich legal?
Im Streit um das Novartisprojekt kommt der richtigen Interpretation des Zuger Richtplanes entscheidende Bedeutung zu. Das Landgut Aabach wird im Richtplan nämlich unter den «Spezialzonen» (historisch wertvolle Gebäude und Anlagen) aufgeführt. Das Bundesamt für Raumentwicklung und der Zuger Regierungsrat gehen davon aus, dass bei diesen Spezialzonen je nach Standort unter Umständen eine Bauzone eingerichtet werden dürfe.
Dieser Sicht der Dinge kann der renommierte Berner Rechtsprofessor Pierre Tschannen nur «mit viel Phantasie» folgen. Tatsache ist nämlich: Aus dem Richtplantext selber ergibt sich eine derartige Unterscheidung nicht. Professor Tschannen: «Heute ist man sich einig, dass sich der Richtplan zur Trennung von Baugebiet und Nichtbaugebiet klar äussern muss. Vor diesem Hintergrund ist es schon merkwürdig, wenn diese Spezialzonen nach Auffassung des Bundesamts bald als Bauzonen, bald als Nichtbauzonen ausgeschieden werden dürfen.»
Historische Gebäudegruppe als «Feigenblatt»?
Professor Tschannen weist auf einen weiteren Punkt hin: Selbst wenn eine der erwähnten Spezialzonen im Einzelfall trotzdem als Bauzone ausgeschieden würde, so wären die im Richtplantext erwähnten Einschränkungen zu beachten. Einerseits wäre die Zone so oder so «klein» zu halten und das ganze Projekt hätte bloss der Erhaltung des Bestehenden zu dienen. Hierzu stellt sich die grundsätzliche Frage, wie diese Bedingungen bei einem 100 Millionen Projekt zu erfüllen sind. Nach Ansicht von Professor Tschannen ist es unzulässig, eine historische Gebäudegruppe gewissermassen als Feigenblatt zu benutzen, um die bundesrechtlichen Vorschriften über die Trennung von Baugebiet und Nichtbaugebiet zu unterlaufen.
Pikant: Heute ist auf dem Landgut Aabach nur noch ein einziges Haus geschützt. Die Hauptvilla wurde im Spätherbst des Jahres 2005 aus dem Inventar der schützenswerten Denkmäler des Kantons Zug entlassen. Exakt im Jahre 2005 hatte die Firma Novartis ihre konkreten Planungen für ihr Bauprojekt gestartet. Ob zwischen diesen beiden Ereignissen ein Zusammenhang besteht, muss offenbleiben. Die Protokolle der Denkmalkommission sind nicht öffentlich.
Grundsätzliche Einwände
Die Stiftung Landschaftsschutz Schweiz stellt im Hinblick auf das geplante Novartis-Projekt ganz grundsätzliche Gedanken an. Die stellvertretende Geschäftsleiterin Christine Neff macht darauf aufmerksam, dass die Bautätigkeit im Kanton Zug unaufhaltsam voranschreite. Gerade auch die Gemeinde Risch sei in den vergangenen Jahren stark gewachsen. Umso bedeutender sei es deshalb, die bestehenden Grünflächen zugunsten der Lebensqualität und für Erholungszwecke zu erhalten. Nach Ansicht der Stiftung Landschaftsschutz Schweiz sei deshalb für das «Corporate Learning Center» der Firma Novartis klarerweise ein Standort innerhalb der Bauzonen zu favorisieren. In ähnlicher Weise argumentiert der St. Galler Rechtsprofessor Rainer Schweizer. «Der Kanton Zug ist ja schon unglaublich verbaut. Die Zuger sollten doch Sorge tragen zum Wenigen, das sie noch haben.»
Das Projekt
Novartis will für rund 100 Millionen Franken auf dem ehemaligen Gut Aabach (Gemeinde Risch) ein Ausbildungszentrum für Kaderleute errichten. Das Gelände liegt am Westufer des Zugersees und grenzt an die Luzerner Gemeinde Meierskappel. Es liegt im Bundesinventar der Landschaften von nationaler Bedeutung. Grosse Gebietsanteile sind überlagert mit einer Seeuferschutzzone. Das Baugebiet liegt in der Landwirtschaftszone. Für die Realisierung des Projekts müsste es in eine Zone mit speziellen Vorschriften umgezont werden. Gemäss Entwurf sollen unter anderem mehrere Gebäude auf meterhohen Stelzen entstehen. Am 27. November werden die Rischer an der Gemeindeversammlung über die Richt- und Zonenplanänderungen zu entscheiden haben.
Eine irritierende Aussage
Novartis erwarb das Gut Aabach im Jahre 2003. Im Frühjahr 2010 wurde das Projekt «Learning Center» der Oeffentlichkeit vorgestellt. In einem Interview mit der Neuen Zuger Zeitung vom 27. April 2010 antwortete Daniel Vasella auf die Frage, warum es so lange gedauert habe, bis ein Bauprojekt vorlag: «Durch den Wechsel von Regierungsräten sowie von Gemeinderatsmitgliedern hat sich die Situation nun als günstig erwiesen.» Angesprochen auf diese irritierende Aussage teilte Isabelle Guerra vom Novartis-Mediendienst vor einiger Zeit bloss mit, dass die Zusammenarbeit mit den Behörden gut verlaufe, auch dank regelmässiger Arbeitssitzungen mit Fachstellen des Kantons und der Gemeinde. «Wir können dazu sonst keine Angaben machen.»