Pharma lullt Politiker ein

Die höchsten Währungsgewinne unter allen Branchen erzielt die Pharmabranche. Jetzt will sie den grössten Teil davon auf dem Buckel der Patienten in die kommenden Jahre retten – dank kräftiger Unterstützung im Parlament.

(Bild: MARTIN RUETSCHI/Keystone)

Die höchsten Währungsgewinne unter allen Branchen erzielt die Pharmabranche. Jetzt will sie den grössten Teil davon auf dem Buckel der Patienten in die kommenden Jahre retten – dank kräftiger Unterstützung im Parlament.

Die Pharmabranche versteht es perfekt, Politiker einzuspannen. Gesundheitspolitikerin Jacqueline Fehr berichtet, dass Pharmalobbyist Thomas Cueni einige Parlamentarier – «namentlich aus der Region Basel» – so bearbeitet habe, dass diese in der Kommission «von der Pharmalobby vorgefertigte Argumentarien Wort für Wort vom Blatt ablasen und es nicht einmal peinlich fanden».

Mit diesem Lobbying verbuchen die Pharmafirmen bereits einen Teilerfolg: Letzte Woche hat die nationalrätliche Gesundheitskommission in einer Mo­tion den Bundesrat aufgefordert, «der Pharmaindustrie mehr entgegenzukommen». Die «ausserordentliche Empörung bei der Pharma, der Interpharma und dem Pharmaverband VIPS» über einen Entscheid des Bundesrats habe die Gesundheitskommission «veranlasst, aktiv zu werden», erklärt dazu Kommissionsmitglied und SVP-Gesundheitspolitiker Toni Bortoluzzi.

Bis beide Räte der Motion zustimmen, wird die Pharmalobby nicht locker lassen. Am 7. Mai lud der Branchenverband Interpharma bereits zu einem Workshop nach Basel ein, an welchem Parlamentarier von SVP, FDP und CVP einseitige und irreführende Argumente erfuhren. All diese Parteien werden von der Pharma finanziell unterstützt. Die Fragen, welche die TagesWoche einigen Gesundheitspolitikern stellte, liessen einige gleich von der Pharmalobby beantworten. Diese schickte den Befragten fixfertig ausformulierte Antworten.

Prämienzahler zahlen die Zeche

Die Pharmabranche ist aufgebracht wegen der «schärferen Regeln» für den Auslandspreisvergleich von Medikamenten, die der Bundesrat Anfang Mai in Kraft gesetzt habe. Tatsächlich ist das Gegenteil wahr. Der Bundesrat verwässerte die Regeln und kam der Pharmabranche entgegen.

Die Fakten: Zwei Drittel aller kassenpflichtigen Medikamente werden importiert. Die gegenwärtigen Medikamentenpreise beruhen immer noch auf einem aufgerundeten Wechselkurs von 1.56 Franken, obwohl der Euro schon längst nur noch 1.21 Franken kostet. Dank dieser Differenz konnten ausländische Pharmafirmen bereits über eine halbe Milliarde Franken Währungsgewinne abschöpfen – zulasten der Schweizer Prämienzahler.

Pharmalobbyisten versuchen jetzt, Parlamentariern den Kopf zu verdrehen, indem sie irreführend und unpräzis behaupten, dass selbst bei den Importen «bis zu» 60 Prozent der Kosten in der Schweiz anfallen. Einige Parlamentarier kolportieren das. Dabei übersehen sie, dass die Lobbyisten statt vom Anteil an den Preisen, vom Anteil an den Herstellungskosten reden. Diese machen bei Medikamenten aber nur einen Bruchteil des Preises aus. Sie sind so marginal, dass sie bei der Festsetzung der Preise nicht einmal berücksichtigt werden. Aufwendig sind Forschung und Entwicklung eines Medikaments. Diese Kosten sind jedoch auf den Totalumsatz eines Medikaments zu verteilen. Bei rezeptpflichtigen Medikamenten betrugen die Schweizer Marktanteile 2010 bei Roche – nach eigenen Angaben – mickrige 0,81 Prozent und bei Novartis 0,96 Prozent.

Die bisher gültigen Verordnungen sahen vor, die Preise jährlich wenigstens eines Drittels aller kassenpflichtigen Medikamente dem Wechselkurs anzupassen. Doch statt die Preise an einen Wechselkurs von 1.24 Franken anzupassen, gewährte der Bundesrat der Pharma mit einer neu geschaffenen Verordnung einen Umrechnungskurs von 1.29. Die Kassen und mit ihnen die Prämienzahler werden für zwei Drittel der Medikamente noch bis 2013 respektive 2014 diesen zum völlig überhöhten Umrechnungskurs von 1.56 Franken zahlen müssen – zur grossen Freude aller Medikamenten-Importeure.

Preissenkungen sind ein Klacks

Statt darauf hinzuweisen, dass für die meisten Medikamente weiterhin ein Wechselkurs von 1.56 Franken angewendet wird, woraus sich exorbitante Währungsgewinne ergeben, brüstete sich Gesundheitsminister Alain Berset damit, die neue Verordnung bringe den Prämienzahlern 240 Millionen Franken Einsparungen pro Jahr. Das ist ein Klacks, wenn die Kassen für Medikamente fast 5,5 Milliarden Franken ausgeben und der Euro um über 20 Prozent schwächer geworden ist.

Der in kurzer Zeit erstarkte Franken kann ausserordentliche Massnahmen für einheimische Pharmafirmen recht­fertigen, die in der Schweiz produzieren und exportieren. Allerdings müssten dann umgekehrt die ausländischen Pharmakonzerne, die in der Schweiz riesige Währungsgewinne abschöpfen, sofort gezwungen werden, den Währungsgewinn weiterzugeben und die Preise umgehend zu senken.

Sara Stalder von der Stiftung für Konsumentenschutz und Erika Ziltener vom Dachverband der Patientenstellen hätten eine Entlastung von Schweizer Produzenten unterstützt – unter der Bedingung, «dass gleichzeitig die Währungsgewinne auf den importierten Medikamenten sofort und voll den Prämienzahlern zugute kämen». Diese Bedingung hat der Bundesrat aber nicht erfüllt.

Entscheidend für die Höhe der Medikamentenpreise in der Schweiz ist der Vergleich mit den Preisen in den sechs Ländern Deutschland, Österreich, Frankreich, England, Niederlande und Dänemark. Zusätzlich gewährt das Bundesamt für Gesundheit (BAG) noch Aufschläge für «Innovationen», obwohl es diese Aufschläge im Ausland gar nicht gibt, weil diese bereits in den ­dortigen Preisen enthalten sind.

Fiktive Listenpreise

Bei ihrem Preisvergleich stützt sich die Schweiz auf falsche Zahlen. Denn die Preise, welche die Pharmaindustrie und das BAG vergleichen, sind nicht die Kassenpreise, sondern die sogenannten Fabrikpreise. Die Spanne zu den Kassenpreisen ist in der Schweiz zwar immer gleich, weil sie gesetzlich geregelt ist. Für das Ausland trifft dies jedoch nicht zu. In einigen Vergleichsländern handelt es sich bei den Fabrikpreisen um Listenpreise, die noch irrelevanter sind als Listenpreise anderer Branchen, weil die effektiv bezahlten Preise viel tiefer sind.

Beispiel Deutschland: Entweder vergüten die Kassen für ganze Wirkstoffgruppen Festpreise unabhängig von den Fabrikpreisen. So zahlen etwa die deutschen Kassen für den Cholesterinsenker Sortis umgerechnet 33 Franken (100 Stück à 20 mg). Die Schweizer Kassen müssen für eine gleiche Packung Sortis seit Langem 212.20 Franken zahlen. Wo keine Festpreise bestehen, müssen die deutschen Pharmafirmen auf ihren Listenpreisen einen generellen Rabatt von 16 Prozent gewähren. Diesen Rabatt berücksichtigt weder die Pharmaindustrie noch das BAG bei den Preisvergleichen.

Zudem können die deutschen Kassen Preise mit den Pharmafirmen frei aushandeln, was in der Schweiz verboten ist. Gegen die Vorschrift, die jeweils ausgehandelten Preise zu veröffentlichen, läuft die deutsche Pharmalobby gegenwärtig Sturm. Sie will verhindern, dass Behörden im Ausland bei ­ihren Preisvergleichen die effektiv ­bezahlten Preise statt fiktiv hohe Listenpreise berücksichtigen.

Beispiel Frankreich: Dort werden die Medikamente in die drei Nutzens­klassen «gross», «mässig» und «ungenügend» eingeteilt. Die Kassen müssen nur Arzneimittel mit «grossem» Nutzen voll vergüten.

Beispiel Niederlande: Die wenigen grossen Kassen können die Preise mit den Pharmafirmen frei aushandeln. Die Pharma-Listenpreise spielen dabei keine entscheidende Rolle. Das Generikum Simvastatin, in der Wirkung mit Sortis zu vergleichen, kostet die Kassen in der Schweiz 64.45 Franken (100 à 20 mg), während Kassen in Holland einen Preis von unter drei Franken aushandelten. Dieser Preisunterschied um das Zwanzigfache ist ein extremes Beispiel, aber es zeigt deutlich, dass der Vergleich der Fabriklistenpreise zu stark überhöhten Kassenpreisen in der Schweiz führt.

Statt Fabrikpreise zu vergleichen, müsste das Bundesamt für Gesundheit untersuchen, wie viel die Schweizer Kassen verglichen mit Kassen im Ausland zahlen müssen. Bei solchen Vergleichen kommt die Schweiz schlecht weg. Denn bei uns verschlingen Medikamente jeden vierten Prämienfranken, wahrscheinlich ein europäischer Rekord. Die Pharmabranche spricht zwar meistens von jedem fünften Prämienfranken. Auch damit verharmlost sie bewusst: Die Medikamentenkosten der Spitäler zählt sie einfach nicht dazu.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 11.05.12

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