Politik mit der Angstkeule

Wird die Mindestlohn-Initiative angenommen, steigt die Arbeitslosigkeit, warnen die Arbeitgeber. Wirklich?

Nina Keller ist nicht Nina Keller. Der Name ist ein Pseudonym: Die 27-Jährige möchte nicht unter ihrem rich­tigen Namen in der Zeitung erscheinen. Nicht aus Scham, sondern aus Angst um ihren Job, der ihr immerhin einen spärlichen Lohn garantiert.

3350 Franken netto pro Monat verdient die Textilhändlerin – für ein Vollzeitpensum als Abteilungsleiterin. Nach der Bezahlung der Wohnungsmiete (1000 Franken) und der Krankenkassenprämie (430 Franken) bleibt wenig zum Leben übrig. Einen 13. Monatslohn zum Begleichen der Steuern (4500 Franken) erhält sie nicht – sie stottert ihre Fiskalschuld in Monatsraten ab. «Würde ich nicht mit Flick- und Änderungsarbeiten zusätzlich etwa 200 Franken verdienen, wüsste ich nicht, wie durchkommen.»

Wie Nina Keller geht es Zehntausenden von Angestellten in Tieflohnbranchen wie dem Detailhandel oder der Gastronomie. Betroffen sind meist Frauen, wie unsere Titelgeschichte zeigt.

Haben diese keinen Partner, der sich an den Lebenshaltungs­kosten beteiligt, oder sind sie gar allein­erziehend, muss der Staat eingreifen – und den Unternehmen beim Sparen von Lohnkosten helfen. Ein Missstand, den der Schweizerische Gewerkschaftsbund mit einem gesetzlichen Mindestlohn von 4000 Franken monatlich oder 22 Franken pro Stunde beheben will.

Die Mindestlohn-Initiative, die im Herbst vors Volk kommt, wird von den Arbeitgebern mit der Angstkeule bekämpft. Werde die Vorlage angenommen, drohe eine höhere Arbeits­losigkeit, warnen die Gegner.

Solche Panikmacherei hält SGB-Chefökonom Daniel Lampart für irreführend: «Auch wenn noch viele Arbeitgeber veraltetes Lehrbuchwissen ver­breiten, zeigen viele Studien, dass es keinen Zusammenhang gibt zwischen höheren Mindestlöhnen und Arbeitslosigkeit.»

Diesen Schluss legt etwa auch das Beispiel Grossbritannien nahe. Als das Vereinigte Königreich 1999 den Mindestlohn einführte, prophezeiten die Arbeitgeber ebenfalls eine markante Erhöhung der Arbeitslosenquote. Sie irrten sich.

Faire Löhne würden aber das Armutsproblem entschärfen. Und Angestellte wie Nina Keller müssten nicht mehr Angst ­haben, am Ende des Monats zu wenig Geld fürs Nötigste zu haben.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 17.05.13

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