Im Prinzip ist Edgar Geiger Weihnachtsmann von Beruf. Bloss übt er seinen Beruf das ganze Jahr über aus. Und statt Kinder beschert er erwachsene Basler.
«Wenn hier ein Paket ankommt, dann will ich das den Kunden so schnell wie möglich wissen lassen. Die warten doch bestimmt sehnsüchtig darauf. So ginge es mir zumindest.»
Geiger steht in Lörrach in einer ehemaligen Autowerkstatt und ist umgegeben von Paketen. Bis zur Decke stapeln sich Briefumschläge, kleine, grössere und riesige Schachteln, in Plastik eingeschlagene Sommerreifen und Rätselhaftes auf Paletten. Und dann ist da noch die Antilope.
Grazil – im Rahmen ihrer Möglichkeiten als ausgestopftes Tier – steht die Antilope im Durchgang zwischen zwei Lagerhallen. Auf einem Sockel mit Rädern, im Ohr ein Etikett. Ein prächtiges Geweih. Geiger hat Spass daran, der Fotograf sowieso. «Die ist bei uns zwischengelagert, bis ihr neuer Besitzer die Zollformalitäten geregelt hat.» Es sei nicht das erste ausgestopfte Tier, das dieser Kunde bestellt habe.
Bei Geiger geht wohl so manche Kuriosität ein und aus, nur weiss er meistens nichts davon. Er betreibt das Paketdepot Lörrach, eine von unzähligen privaten Paketannahmestellen in den grenznahen deutschen Gemeinden. Mit rund 13’000 Kunden und acht Angestellten gehört das Paketdepot zu den grösseren Anbietern dieser Dienstleistung, die in den letzten Jahren einen regelrechten Boom erfahren hat.
Wer in der Region Basel wohnt und gerne online einkauft, kennt Geiger und seine Mitbewerber. Es gibt kaum noch jemanden, der nicht über eine solche deutsche Lieferadresse verfügt. Die Vorteile sind einfach zu überzeugend.
Mehr, günstiger, schneller
Da ist erstens natürlich der Preis. Das gleiche Produkt kann bei einem Schweizer Onlineshop gut das Doppelte kosten wie beim deutschen Konkurrenten. Es gibt sogar Versandhändler, die eigens für die Schweizer Kundschaft einen .ch-Auftritt betreiben. Identisches Angebot, höhere Preise.
Zweitens die Auswahl. Aufgrund des aufwendigen Einfuhrverfahrens weigern sich viele Onlineshops, in die Schweiz zu liefern. Mit einer deutschen Lieferadresse steht einem der ganze europäische Raum offen. Vor allem bei kleineren Shops, Fachhändlern und Nischenanbietern haben Schweizer Kunden sonst keine Chance.
Und drittens die Zollgebühren. Wer einmal ein Paket aus dem Ausland bekommen hat und dem Pöstler beim Entgegennehmen einen dicken Batzen in die Hand drücken musste, weiss: Das geht ins Geld. Je nachdem wird so aus einem Schnäppchen schnell ein teurer Spass.
Letztes Argument ist die Geschwindigkeit. Ein Paket, das vom Versandhändler in die Schweiz ausgeführt wird, bleibt meist einige Tage am Zoll liegen. Wer sein Paket jedoch selber über die Grenze trägt, kann diese Wartezeit umgehen. Ausserdem bieten gerade die grösseren Onlineshops wie Amazon Expresssendungen über Nacht an, jedoch nicht in die Schweiz.
Pöbelei per Telefon
Geiger steht eine spitzbübische Freude ins Gesicht geschrieben, wenn er diese Gründe aufzählt. Sie sind schliesslich das Fundament, auf dem er sein Geschäft aufgebaut hat. Gleichzeitig kann er damit den Onlinehändlern eins auswischen. «Das sind doch Gauner, wenn sie für die gleichen Produkte von den Schweizern mehr Geld verlangen wollen.»
Einmal habe eine Frau angerufen, von einem grossen deutschen Versandhaus. «Die hat mich am Telefon angepöbelt, das sei illegal, was ich hier tue. Da hab ich zu ihr gesagt: ‹Sie knöpfen den Schweizern für die gleiche Ware das doppelte Geld ab. Sie sind diejenige, die sich unmoralisch verhält›.»
Apropos Gauner: Einmal, da standen plötzlich zwei Kriminalpolizisten mit einem richterlichen Schreiben bei Geiger im Büro. «Sie gaben mir einen Namen und sagten: ‹Das nächste Paket an diesen Kunden geben Sie bitte uns›.» Als es soweit gewesen sei, hätten die Polizisten das Paket zuerst untersucht und Geiger dann gebeten, den Kunden darüber zu informieren, dass seine Sendung angekommen sei. «Die beiden warteten in meinem Büro darauf, bis er es abholen wollte. Sie nahmen ihn an Ort und Stelle fest. Es ging wohl um Drogen. Eigentlich schade, denn er war ein guter Kunde.»
Das Geschäft läuft gut, doch Geiger ist sich bewusst, dass er sein Business nicht «auf Granit gebaut hat». Eine kleine Gesetzesänderung oder Anpassung der Einfuhrbestimmungen und sein Paketdepot könnte plötzlich leer dastehen. Zu spüren bekam er das einmal, als sich im September 2015 die deutschen Zollbehörden vorübergehend weigerten, die Ausfuhrscheine von Onlineeinkäufen abzustempeln. Die Schweizer Kunden konnten so die Mehrwertsteuer nicht mehr zurückfordern.
Dieser Vorgang ist beim Onlineshopping deutlich aufwendiger als etwa beim Wochenendeinkauf bei Hieber, wo der abgestempelte Ausfuhrschein beim nächsten Einkauf einfach als Zahlungsmittel gilt. Denn die vom Zoll abgestempelte Lieferrechnung muss an den Versandhändler zurückgeschickt werden und dieser kann – es gibt keinen gesetzlichen Anspruch – eine Rückerstattung auslösen.
Die wenigsten wollen die Mehrwertsteuer zurück
«Als der Zoll keine Stempel mehr verteilen wollte, machte sich mein Sohn, der auch bei uns arbeitet, gleich Sorgen um seine Stelle», sagt Geiger. Doch eine Umfrage unter seinen Kunden habe gezeigt, dass nur die wenigsten überhaupt die Mehrwertsteuer zurückfordern. Auch der Bundesrat kommt in seinem «Bericht zur Geldpolitik» vom vergangenen Dezember zum Schluss, dass Preisunterschiede und Währungseffekte weitaus schwerwiegendere Argumente für den Auslandseinkauf darstellen als die Mehrwertsteuerbefreiung.
Was vor allem rechte Politiker und die grossen Detailhändler jedoch nicht davon abhält, im Bundeshaus für eine Abschaffung dieser Steuerbefreiung zu lobbyieren. Eine Massnahme, die den Zoll mit unverhältnismässiger Mehrarbeit belasten würde, ohne dass daraus ein nennenswerter Ertrag resultieren würde.
Was auf politischer Ebene entschieden wird, kümmert Geiger in seinem Paketdepot in Lörrach vorerst nicht. Und wenn sich doch etwas ändern sollte, dann wäre es nicht das erste Mal, dass sich Geiger neu erfinden müsste. Der Unternehmer hat schon so vieles ausprobiert.
Angefangen hat er als Verwaltungsangestellter bei einer Krankenkasse. Dann machte er sich selbstständig, betrieb ein Transportunternehmen, eine Taxizentrale. Später holte er eine Ausbildung zum Informatiker nach, verkaufte Computer und brachte seinen Kunden in der hauseigenen Computerschule die Funktionen von Microsoft Office näher.
Klein angefangen, schnell gewachsen
«Bis ungefähr 2010 lief die Schule recht gut, danach gings bergab. Wir mussten uns nach einer Alternative umsehen.» In Konstanz gab es damals bereits die ersten Paketannahmestellen, doch in Lörrach fehlte ein solches Angebot noch. «Wir fingen klein an, doch dann wuchsen wir rasant. Irgendwann hatten wir in unserem Haus alle Zimmer und die grosse Garage mit Paketen vollgestellt.»
Geiger mietete ein ehemaliges Autohaus an. In der ehemaligen Werkstatt stehen jetzt Hochregale und dank Gabelstapler und Laderampe kann das Paketdepot heute Lieferungen bis 1,6 Tonnen annehmen. Oder eine Antilope.
Von der Antilope zum Platzhirsch. Im Geschäft der Paketannahmestellen in Weil am Rhein ist das Roland Burg. LAS-Burg heisst das Unternehmen, welches er mit seinem Sohn führt, und es bietet auf 1600 Quadratmetern Platz für mehrere Zehntausend Pakete. Zurzeit werden dort etwa 3000 Pakete täglich angeliefert, zu Spitzenzeiten rund um Weihnachten sind es mindestens doppelt so viele.
Burg hat fast 60’000 Kunden, Geiger etwa 13’000. Trotz markantem Grössenunterschied, die beiden Unternehmer haben Gemeinsamkeiten.
Auch Burg sah vor einigen Jahren seine Felle davonschwimmen. Er betrieb eine Kette von Lotterie-Kiosken, die sich vor allem auch bei Schweizer Glücksrittern grosser Beliebtheit erfreute. Deutsche Lotteriegewinne müssen nämlich nicht versteuert werden. Doch irgendwann brach das Geschäft ein, immer weniger Leute versuchten ihr Glück bei Burg. Er befürchtete, dass er seine Angestellten nicht mehr weiter beschäftigen könnte.
Ein lukratives Geschäft
«Wir spielten etwa acht verschiedene Geschäftsideen durch, versuchten dies und jenes, um unsere Leute halten zu können», erzählt Burg. So habe er sich etwa als eine Art Zwischenhändler für Ebay versucht. Kunden konnten Waren beim grossen Online-Auktionshaus verkaufen und Burg kümmerte sich um Versand, Inkasso, Abwicklung. «Doch wir sahen recht bald, dass dieses Geschäft viele Probleme mit sich bringt.» So habe er gegenüber enttäuschten Käufern haften müssen, für Ware, welche er gar nicht selbst verkauft habe. Das war der Tod der Ebay-Idee.
Doch Burg sah wie Geiger, wie in Konstanz Paketannahmestellen zum profitablen Business wurden. Der Losverkäufer erkannte bereits vor über zehn Jahren das Potenzial dieser Idee, insbesondere mit der bevölkerungsreichen Region Basel in direkter Nachbarschaft.
Sukzessive erweiterte Burg seine Lagerfläche, investierte in Anbau um Anbau, bis seine Parzelle ausgeschöpft war. Nach langer Suche fand er eine grosse Halle mit 1000 Quadratmetern Nutzfläche und Laderampe. So kommt es, dass Burg heute neben seinem letzten Kiosk für Lotteriescheine, Zigaretten und Spirituosen an zwei Standorten die gefragteste deutsche Lieferadresse betreibt und seine 51 Angestellten täglich Tausende Pakete vornehmlich an Schweizer Kunden weiterreichen.
Es ist ein lukratives Geschäft. Pro Briefumschlag verdient Burg 1.50 Euro, Pakete kosten zwischen 2.50 und 9.50 Euro, Paletten und Grosslieferungen 21 Euro. Und ein Ende ist nicht in Sicht, Onlineshopping wird laufend populärer, und solange die Hochpreisinsel Schweiz intakt bleibt, lohnt sich der Gang über die Grenze.
Die Geschäftsaussichten für Burg sind also blendend. Doch etwas bereitet ihm Kopfschmerzen: die Suche nach geeignetem Personal. Es ist die Variable in seiner Gleichung, die das Wachstum bremst. Sein bestes Verkaufsargument ist gleichzeitig seine Schwachstelle: die Nähe zur Grenze.
«Gut ausgebildete und qualifizierte Arbeitskräfte gehen zum Arbeiten meist in die Schweiz. Die Grenze ist Segen und Crux zugleich.» Und bei einem Unternehmen wie LAS-Burg mit grossen Wareneingängen und komplexem Lagersystem liegt auf den Angestellten eine grosse Verantwortung. Eine Unachtsamkeit kann grosse Folgen haben.
«Wir weichen nie von unseren Prozessen ab», erklärt Burgs Logistikchef Benjamin Thiel, «sonst bricht das Chaos aus.» Denn wird ein Paket falsch abgelegt oder dem falschen Kunden zugeordnet, ist es in den Regalreihen unauffindbar.
Gar nicht neugierig?
Einmal pro Jahr lässt Thiel das gesamte Lager überprüfen. Dabei tauchen jedes Mal Pakete auf, die niemand mehr abholen will. Es sind die einzigen Lieferungen, die geöffnet werden, sofern sich der registrierte Empfänger auf mehrmalige Nachfrage nicht meldet.
Und, was ist da so drin?
«Meist nur Unrat, nichts Spannendes. Einmal hatte ich einen 10-Kilo-Sack Kinderluftballons, aber das wars dann auch», sagt Thiel.
Eine Ahnung, was sich in einem Paket befinden könnte, bekommen Burg und Thiel ansonsten nur, wenn die Polizei auf der Matte steht oder das Gesundheitsamt, die Arzneimittelbehörde oder andere Amtsvertreter. Das bedeutet dann, dass wieder einmal ein Kunde Waffen, Drogen oder verbotene Steroide bestellt hat. Es sind Einzelfälle, aber sie kommen vor. «Kein Wunder, bei der Anzahl Pakete», sagt Burg.
Abgesehen von den kriminellen Einzelfällen treibt weder Geiger noch Burg gross um, was sich in den Paketen in ihren Lagern befindet. Sind sie denn gar nicht neugierig?
«Mir sind die Pakete am liebsten, die unser Lager möglichst schnell wieder verlassen», sagt Burg.
«Ich freue mich einfach, wenn die Kunden so oft wiederkommen, bis wir uns gegenseitig beim Namen kennen», sagt Geiger.