Die Grenzwächter in der Region spüren die Folgen des schwachen Euros. Es wird nicht nur mehr im günstigeren Ausland eingekauft, es wird auch mehr geschmuggelt. Ein Besuch beim Grenzübergang Basel-Hiltalingerstrasse.
Grenzwächter ist kein Beruf für Entscheidungsschwache. Dieter F. bleibt nur wenig Zeit für seine Einschätzung. Die Reisenden fahren im Sekundentakt an ihm vorüber. An seiner breiten Hüfte hängt eine Schusswaffe, auf der anderen Seite ein Kunststoffstock, darunter leuchtet die gelbe Weste.
Ein Blick auf das Fahrzeug, das Nummernschild, dann in das Gesicht hinter der Windschutzscheibe – Dieter F. hebt die Hand und winkt die beiden Männer über die Grenze. Unverdächtig, weiterfahren.
Die Fahrzeugkolonne wird stetig länger. Das nächste Fahrzeug weckt Misstrauen. «Guten Tag, Zollkontrolle. Was führen Sie mit?» – die Fahrerin des silbernen Geländewagens streckt einen langen Kassenbeleg durchs Fenster. Ja, das sei alles, was sie eingekauft habe. Und dann stellt der Grenzwächter die Frage, die er immer, immer wieder stellt: Fleisch? Nein, kein Fleisch. Der Grenzwächter glaubt ihr und lässt sie passieren.
Anstieg im vergangenen Jahr
Auf der deutschen Seite des Grenzübergangs beginnt das Einkaufsparadies: Keine hundert Meter nach dem Zoll steht wuchtig das erste Shoppingcenter. Werbetafeln weisen den Weg zu grossem Angebot und kleinen Preisen. Seit der Eurokurs eingebrochen ist, boomt der Einkaufstourismus. Mit dem Boom wird nicht nur mehr Ware verzollt, es wird auch mehr geschmuggelt.
Zuoberst auf der Schmuggelhitparade stehen Lebensmittel, vor allem Fleisch. Es folgen Brillen, Autoreparaturen und Unterhaltungselektronik. Im vergangenen Jahr ist die Menge unverzollter Ware um ein ganzes Drittel angestiegen (siehe Kasten).
Um mit dem Boom mitzuhalten, hat die Grenzwache ihren Fokus im letzten Jahr verstärkt auf den Einkaufstourismus gelegt. Mehrere Grenzübergänge wurden in der Vorweihnachtszeit ausserordentlich besetzt. Dabei stand das Dienstleistungsangebot für die Verzollung im Vordergrund.
Bei der Bekämpfung des organisierten Schmuggels von grossen Mengen kommen auch elektronische Hilfsmittel zum Einsatz, vereinzelt fliegen auch Drohnen entlang der Grenze, sagt Patrick Gantenbein.
Punktuelle Stichproben
Gantenbein stand während vieler Jahre selber an den Grenzübergängen. In der Zwischenzeit ist er Informationsbeauftragter der Grenzwachtregion Basel. Eine umfassende Kontrolle, sagt er, sei nicht möglich. «Wir müssen uns auf punktuelle Stichproben beschränken.»
Dieter F. und sein Kollege kontrollieren neben dem Fahrstreifen einen Personenwagen. Den jungen Fahrer mit dunklem nach hinten gekämmtem Haar und Sonnenbrille fordern sie auf, einige Meter vor dem Fahrzeug zu warten. Belustigt schaut der Mann zu, wie sich die beiden Grenzwächter an seinem Auto zu schaffen machen. Sie durchleuchten mit einer Taschenlampe den Kofferraum, mit routinierten Handgriffen verschieben sie die Sitze und öffnen das Handschuhfach. Nach einer knappen Minute ist die Kontrolle beendet, die Grenzwächter haben nichts gefunden. Die beiden Männer stellen sich wieder neben den Fahrstreifen.
«Man braucht gute Menschenkenntnis für diesen Beruf», sagt Dieter F., während er ein weiteres Auto an sich vorbeiwinkt. Der Informationsbeauftragte Patrick Gantenbein steht nebenzu, hört mit und ergänzt: «Auch ein gesundes Misstrauen ist notwendig.» Der Entscheid, welches Auto kontrolliert wird, falle oft intuitiv. Nach welchen Kriterien er die Fahrzeuge durchwinkt oder kontrolliert – das will er nicht erzählen. «Da muss ich zuerst nachfragen, ob ich das darf.»Er darf nicht, entscheidet der Informationsbeauftragte. Den Schmugglern würde andernfalls in die Hände gespielt.
Zollübergänge sind ein heikles Territorium. Neben den privaten Gelegenheitsschmugglern überqueren auch professionelle Schmugglerbanden die Grenze. Die Beamten treffen in den Fahrzeugen unter den Ersatzreifen und in Hohlräumen nicht nur auf Fleisch. Regelmässig liegen dort auch Drogen und Waffen. Die Grenzwächter müssen den Schmugglern stets einen Schritt voraus sein.
Misstrauen total
Das Misstrauen – oder die Neugier – hat den Informationsbeauftragten Patrick Gantenbein dann auch in seiner neuen Funktion nicht verlassen. Er will genau wissen, wer die beiden Journalisten sind. Mit professioneller Beiläufigkeit erkundigt er sich nach Heimatort, Ausbildung und Zivilstand. Bevor sich der Fotograf auf den Rückweg macht, will Gantenbein die geschossenen Bilder kontrollieren.
Die Grenzbeamten halten sich zu bezüglicher Kontrolltaktik bedeckt. Einiges erschliesst sich dem Beobachter jedoch auch so: Autos mit verdunkelten Scheiben und alleinreisende Männer haben gute Chancen, kontrolliert zu werden. Und auch Frauen winken die Grenzwächter immer wieder zur Seite.
«Können Sie bitte den Kofferraum öffnen?» Die Frau beobachtet gelassen, wie Dieter F. den Kofferraum durchleuchtet und zuunterst in der Einkaufstasche mehrere Packungen Hackfleisch findet. «Ein Kilo zu viel.» Im Zollbüro muss sie zwanzig Franken für das Kilo Fleisch bezahlen. Dann fährt sie los, in den Aargau. Beim aktuellen Wechselkurs lohnen sich auch längere Einkaufsfahrten.
Schlecht informiert
Vor dem Zollbüro stellt ein gross gewachsener Mann zwei Fahrräder an die Wand. Er betritt den Raum und will seinen Einkauf verzollen. In der Schweiz koste so ein Fahrrad deutlich mehr als 1 000 Franken, sagt er. In Deutschland habe er dafür 300 Euro bezahlt. «Da muss man sich nicht zweimal fragen, wo man einkaufen geht.» Und dann will er noch etwas los werden: «Die Leute sind zu wenig informiert, was genau erlaubt ist. Da müsste man ansetzen, damit weniger unverzollt ins Land eingeführt wird.»
Vor der grossen Glasscheibe rollt die Autokolonne über die Grenze. Dieter F. war wenig erstaunt, als er vor Kurzem die Statistiken fürs vergangene Jahr sah. «Wir merkten schon das ganze Jahr, dass die Arbeit zunahm.» Und noch etwas anderes sei ihm aufgefallen. «Die Reisenden sind angespannter als noch früher.» Er deutet mit seinem Daumen in Richtung Shoppingcenter. «Man braucht viel Nerven, um dort drüben einzukaufen. Mir macht das keinen Spass.»
Der Einkaufstourismus hat im letzten Jahr stark zugenommen. Das bestätigen die Statistiken der Grenzwachtregion Basel. Die Zahl der Verzollungen im Privatwarenverkehr stieg um beeindruckende 67,4 Prozent an. Gleichzeitig nahm der Schmuggel stark zu. Die Grenzwächter in der Region stellten eine Steigerung von 34 Prozent fest. Im Durchschnitt deckten die Grenzwächter im vergangenen Jahr wöchentlich 46 Fälle von Warenschmuggel im Privatwarenverkehr auf. Auf das ganze Jahr verteilt, stellten die Grenzwächter 4452 Schmuggelfälle fest.
Spürbar wurde der boomende Einkaufstourismus insbesondere bei den Zollübergängen zu Deutschland. Rund 80 Prozent der Waren wurden über die deutsche Grenze eingeführt. Bei den Betäubungsmitteln ist die Deliktzahl leicht gestiegen. Die konfiszierten Mengen an Cannabisprodukten, Kokain und Khat haben deutlich zugenommen. Eine Abnahme verzeichneten die Grenzwächter bei synthetischen Drogen.
Die Grenzwachtregion Basel umfasst insgesamt 152,6 Grenzkilometer. Rund 400 Grenzwächter arbeiten rund um die Uhr an verschiedenen Standorten zwischen Roggenburg und Kaiserstuhl.
Quellen
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 02.03.12