Verlustscheine: Wenn man nichts verdient hat und trotzdem viel Steuern zahlen muss

Die Basler Steuerverwaltung fordert Besitzer von Verlustscheinen momentan hartnäckig auf, ihre Schulden zu begleichen. Personen, die vor über 20 Jahren ihre Steuererklärung nicht ausfüllen konnten und deshalb von der Steuerverwaltung eingeschätzt wurden, bereitet das grosse Mühe.

M.A. lebte vor über 20 Jahren als Junkie auf der Strasse. Obwohl er von der Sozialhilfe abhängig war, muss er nun 44'000 Franken Steuern nachzahlen.

(Bild: Hans-Jörg Walter )

Die Basler Steuerverwaltung fordert Besitzer von Verlustscheinen momentan hartnäckig auf, ihre Schulden zu begleichen. Personen, die vor über 20 Jahren ihre Steuererklärung nicht ausfüllen konnten und deshalb von der Steuerverwaltung eingeschätzt wurden, bereitet das grosse Mühe.

Der Brief kam aus dem Nichts und löste bei M.A.* eine Lebenskrise aus. Dass seine Vergangenheit als Junkie ihn so noch einholen würde, hatte der 48-Jährige nicht erwartet. Aus jener Zeit hat M.A. bei der Basler Steuerverwaltung Verlustscheine in der Höhe von über 44’000 Franken offen.

Die Inkassostelle des Kantons forderte ihn in einem Brief letzten September zum Rückkauf der Verlustscheine auf. Wenn er die Rechnung nicht innert 30 Tagen begleiche oder einen Zahlungsvorschlag mache, leite die Verwaltung die Betreibung gegen ihn ein. Die Steuerverwaltung macht das systematisch: Ende Jahr verjähren bei ihr nämlich erstmals 28’500 Verlustscheine im Wert von insgesamt 98 Millionen Franken. Es gilt hereinzuholen, was noch zu holen ist.

«Ich fiel aus allen Wolken», sagt M.A. «Ich bin davon ausgegangen, dass ich keine Schulden habe – das sagte mir zumindest das Fürsorgeamt damals.» Das war in den 1990er-Jahren. M.A. war heroinsüchtig und lebte während mehrerer Jahre auf der Strasse. In dieser Zeit füllte er die Steuererklärung nicht aus. «Ich war gar nicht in der Lage dazu. Ausserdem hatte ich keine Wohnadresse, um Briefe entgegenzunehmen.» Das führte dazu, dass die Steuerverwaltung ihn einschätzte und ihm pro Steuerjahr eine Rechnung zwischen 10’000 und 14’500 Franken aufbrummte. «Ich verdiente in der Tat früher mal gut. In dieser Zeit, als die Steuerverwaltung mich einschätzte, war ich aber von der Sozialhilfe abhängig», sagt er heute.

Grosses Problem bei der Ombudsstelle

Für M.A. ist es ein Ding der Unmöglichkeit, die Verlustscheine von über 44’000 Franken zurückzukaufen: «Das würde meine Existenz vernichten. Ausserdem will ich das auch nicht, weil ich damals gar kein Einkommen erzielt hatte.» Er versuchte der Steuerverwaltung seinen Fall darzulegen – und stiess dabei auf taube Ohren.

M.A. findet es störend, dass sich die Verwaltung derart kompromisslos zeigt, obwohl er nachweisen kann, dass er vor über 20 Jahren von der Sozialhilfe abhängig war. «Man muss doch von Fall zu Fall schauen und auch mal Kulanz zeigen. Hätte die Steuerverwaltung ihre Arbeit richtig gemacht, hätte sie nämlich gesehen, dass ich damals Sozialhilfebezüger war, und mich nicht so hoch einschätzen dürfen.»

Fälle wie denjenigen von M.A. kennt die Ombudsstelle, die bei Konflikten zwischen der Basler Verwaltung und Bevölkerung vermittelt, zur Genüge. Ombudsfrau Beatrice Inglin sagt: «Dieses Problem tritt momentan häufig auf, zumal die Verlustscheine Ende Jahr erstmals verjähren.» Die Beschwerdestelle des Kantons hat versucht, für Personen, die zu hoch eingeschätzt wurden, eine Lösung zu finden. «Wir haben viel mit der Steuerverwaltung diskutiert – alle unsere Lösungsvorschläge für Erlassungsgesuche wurden nicht akzeptiert», sagt Inglin.

Kein Spielraum

Der Ombudsstelle sind die Hände gebunden. «Rechtlich handelt die Steuerverwaltung korrekt. Aber für die Menschen, die damals gar nicht so viel verdient hatten, sich aber nicht gegen die hohe Einschätzung wehrten, ist die Situation menschlich unerträglich.» Sie würden die hohe Einschätzung als extrem unfair empfinden, so Inglin. Aktiv müsse wohl die Politik werden, denn um etwas dagegen unternehmen zu können, brauche es eine Gesetzesänderung.

Die Steuerverwaltung bestätigt auf Anfrage, dass es praktisch keinen Spielraum gibt:

«Personen, die ihre steuerlichen Mitwirkungspflichten nicht erfüllen, werden amtlich eingeschätzt. Dagegen können sie Einsprache erheben oder Rekurs ergreifen, um eine Korrektur zu erwirken. Verstreicht die Rechtsmittelfrist unbenutzt, wird die Steuerforderung rechtskräftig und damit auch vollstreckbar.»

Einen Ausweg aus dieser Misere gibt es für M.A. also nicht. «Die ganze Situation belastet mich extrem. Erst recht, weil ich wieder mit beiden Beinen im Leben stehe – und jetzt das.» Er habe deswegen viel Alkohol konsumiert. «Einfach, damit es erträglicher wird. Mittlerweile habe ich aber wieder damit aufgehört.» Die gesetzliche Frist von 30 Tagen ist inzwischen längstens vorbei. M.A. wird derzeit von der Steuerverwaltung betrieben. Somit begleiten ihn die Schulden 20 weitere Jahre.  

* Name der Redaktion bekannt

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