Vor zwei Jahren haben die Schokoladenkonzerne versprochen, gegen die Ausbeutung von Kindern vorzugehen. Passiert ist fast nichts.
Der dänische Dokumentarfilmer Miki Mistrati hat die Beweise mit Aufnahmen und Interviews festgehalten. Sein Film «Schmutzige Schokolade II» war am 17.12. im ARD zu sehen. Die dokumentierten Zustände sind erschreckend: Auf Kakao-Plantagen in Ghana arbeiten Kinder aus Burkina Faso, einem Land, das rund tausend Kilometer von Ghana entfernt liegt. In der Elfenbeinküste, dem grössten Kakao-Produzenten der Welt, schuften Kinder aus Mali, die nicht zur Schule gehen können. Diese Kinder sind nicht alleine so weit ausgewandert, sondern offensichtlich von Schleppern in die Elfenbeinküste oder nach Ghana gebracht worden, wo sie wie Sklaven gehalten werden – weit weg von ihren Familien.
Die Kinder arbeiten mit Macheten, das sind lange, sehr scharfe Messer. Sowohl die Internationale Arbeitsorganisation als auch nationale Gesetze verbieten Kindern, mit Macheten zu arbeiten. Doch in den Kakao-Plantagen der Elfenbeinküste und Ghanas verletzen sich jedes Jahr Zehntausende Kinder beim Zerhacken der harten Kakao-Schalen zum Teil schwer.
Viele Versprechen vor zwei Jahren
Ähnliche Zustände hatte Mistrati vor zwei Jahren angeprangert. Nestlé, Cargill, Mars, Ferrero oder Hershey’s versprachen damals den verunsicherten Schokolade-Liebhabern sofortige Besserung: Keine Kinderarbeit mehr in Plantagen, von denen die Konzerne Kakao beziehen, den Bau von Schulen für alle Kinder der Plantagen-Arbeiter, und schliesslich das Einführen mehrerer Gütesiegel auf Kakao-Produkten, so dass die Konsumentinnen und Konsumenten sicher sein können, dass keine Kinder für diese Produkte ausgebeutet wurden.
In PR-Filmen zeigten die Schokoladekonzerne Vorzeigeprojekte, die angeblich dafür sorgten und sorgen, dass es den Familien der Kakaobauern jetzt gut geht. Der Nahrungsmittelkonzern Mars verspricht «nachhaltige Kakaobohnen ohne Kinderarbeit» und bemalt seine Produkte mit einem Garantie-Siegel.
Nestlé und andere Konzerne gründeten die International Cocoa Initiative ICI, die sich gegen Kinderarbeit und für bessere Lebensbedingungen in den Anbauregionen Westafrikas einsetzen soll. Zudem versprach Nestlé einen «Kakao-Plan» und sich der «Fair Labor Association» anzuschliessen. «Kinderarbeit wird in unserer Versorgungskette nicht geduldet», erklärte Nestlé-Generaldirektor José Lopez auch auf einer Homepage von Nestlé.
Die Konzerne verbreiteten damit den Eindruck, dass sie sich ernsthaft um die Arbeitsbedingungen in den riesigen Kakao-Plantagen kümmern. Von Nestlé unterstützte Zertifikate wie UTZ oder Fair Labor sollten das Gewissen von Konsumentinnen und Konsumenten beruhigen.
Das meiste nur Schall und Rauch
Die Konzerne hatten wohl nicht damit gerechnet, dass der Dokumentarfilmer Miki Mistrati dieses Jahr vor Ort kontrollieren wollte, ob mindestens die Vorzeigeprojekte halten, was die Konzerne versprachen. Die Elfenbeinküste wollte dem Dokumentarfilmer die Einreise ins Land nur erlauben, wenn er von wenigstens einem der Konzerne eingeladen wird. Doch Mistrati erhielt von allen angefragten Konzernen eine Absage.
Deshalb musste Mistrati einen befreundeten Dokumentarfilmer aus der Elfenbeinküste beauftragen, einige der «Vorzeige-Projekte» der Konzerne nach dem Zufallsprinzip zu besuchen. Mistrati selber blieb in Ghana, wo er den heutigen Zustand auf den Plantagen filmte.
Das Resultat der beiden Reportagen zeigt auf, dass die meisten Versprechen der Konzerne Schall und Rauch sind. In der Elfenbeinküste wurden baufällige Schulen weder renoviert noch vergrössert, und eine versprochene neue Schule entpuppte sich als Bauruine. Auch von vielen versprochenen Wasserpumpen und Sanitätseinrichtungen war nichts zu sehen. Diesbezügliche Werbefilme der Industrie entpuppten sich als realitätsfremde Propaganda. Dorfbewohner erklärten, dass sie für den Kakao immer noch so mies bezahlt werden, dass sie ihre Kinder nicht zur Schule schicken können. Für das nötige Schulmaterial fehlt sowieso das Geld.
Vor allem aber: Überall, auch in den «Vorzeige-Plantagen» der Industrie, waren 7- bis 14-Jährige Knaben zu sehen, die schufteten und mit Macheten hantierten. «Wir haben kein einziges Projekt gefunden, das der Werbung standhält», erklärt Miki Mistrati. Die Kakao-Konzerne würden zusammen einen Jahresumsatz von 134’000’000’000 Euro erzielen, hätten jedoch in der extra gegründeten ICI nur 388’000 Euro für Projekte ausgegeben.
Nestlé-Chef Lopez: «Sie haben die Realität gezeigt»
Zurück in Europa bot Dokumentarfilmer Mistrati den Konzernen und der ICI an, ihnen die Aufnahmen vor Ort zu zeigen, damit sie dazu Stellung nehmen können.
Nestlé willigte diesmal ein, Mistrati in Vevey zu empfangen. Generaldirektor José Lopez musste spontan reagieren und erklärte: «Sie haben die Realität gezeigt… Es ist gut, wenn sich die Konsumenten Sorgen machen… Wir müssen diese Probleme der Schokoladenindustrie aus der Welt schaffen.» Schliesslich folgte noch eine Art Entschuldigung: «Wir haben nichts getan, weil wir diese Zustände nicht kannten.»
Schwer zu glauben, dass ein Weltkonzern keinen Controller an Ort und Stelle schicken oder eine Schweizer Nicht-Regierungs-Organisation mit einer Kontrolle vor Ort beauftragen kann.
Die Begründung der Dok-Verantwortlichen des SRF mutet seltsam an: Im Film kommen am Schluss alle Verantwortlichen der Industrie zu Wort, die den Film vor der Ausstrahlung ansehen wollten. Unter ihnen auch Nestlé-Generaldirektor José Lopez (siehe Zitate oben). Der Film dokumentiert in Bild und Ton, was die Journalisten vor Ort antrafen. Die Dok-Verantwortlichen können der TagesWoche/Infosperber gerne mitteilen, welche dieser Aussagen einen detaillierten Faktencheck erfordern.