«Von moralischer Einsicht fehlt jede Spur»

Für Wirtschaftsethiker Ulrich Thielemann steht der Rückzieher von Novartis-Chef Daniel Vasella im Trend. Wenn sich Manager wegen ihrer exorbitanten Vergütungen ertappt fühlen, würden sie Einsicht vorgaukeln. Falsch gespielt werde auch bei der Abzocker-Initiative, sagt Thielemann. Diese gebe vor, hohe Saläre zu bekämpfen, führe aber zu «Giermaschinen».

«Innert weniger Tage gelangt keiner zur Einsicht»: Wirtschaftsethiker Ulrich Thielemann über die Kehrtwende von Daniel Vasella. (Bild: Keystone)

Für Wirtschaftsethiker Ulrich Thielemann steht der Rückzieher von Novartis-Chef Daniel Vasella im Trend. Wenn sich Manager wegen ihrer exorbitanten Vergütungen ertappt fühlen, würden sie Einsicht vorgaukeln. Falsch gespielt werde auch bei der Abzocker-Initiative, sagt Thielemann. Diese gebe vor, hohe Saläre zu bekämpfen, führe aber zu «Giermaschinen».

Wirtschaftsethiker Ulrich Thielemann hat sich hierzulande einen Namen gemacht, als er 2009 öffentlich das fehlende Unrechtsbewusstsein im Steuerparadies Schweiz anprangerte. Daraufhin ging ein Aufschrei durchs Land, und Thielemann wurde von seinem Arbeitgeber, der Universität St. Gallen (HSG), gerügt. 2010 verliess er die HSG, um in Berlin einen Think Tank zur Wirtschaftsethik zu gründen.

Im Interview mit der TagesWoche spricht Thielemann über die kuriosen Wendungen im Fall der 72-Millionen-Entschädigung von Novartis-Chef Daniel Vasella, und er begründet, wieso die Abzocker-Initiative zu neuen Lohnexzessen führen würde – und Economiesuisse gleichwohl mit aller Macht die Vorlage bekämpft

Ulrich Thielemann, erst handelte Daniel Vasella eine Entschädigung über 72 Millionen Franken aus, damit er in den nächsten 6 Jahren nicht zur Konkurrenz geht. Als der Deal publik wurde, behauptete er, er würde das Geld spenden. Schliesslich machte er einen Rückzieher. Wie bewerten Sie das Manöver von Vasella und Novartis?

Es ist ein gewisser Trend auszumachen, dass einzelne Manager und Unternehmen, ohne rechtlich dazu gezwungen zu sein, ihre vormals vereinbarten Vergütungen zurückstufen. In Deutschland hat VW-Chef Martin Winterkorn kürzlich sein Millionensalär reduzieren lassen – von 20 auf 14 Millionen Euro. Und nun hat Daniel Vasella auf seine Abgangsentschädigung – oder wie immer wir die Zahlungen nennen möchten – von 72 Millionen Franken verzichtet. Offenbar wurde realisiert, dass solche exorbitanten Vergütungen nicht mehr legitimationsfähig sind. 

Was könnte für Vasella den Ausschlag gegeben haben, das Geld nicht anzunehmen?

Offenbar war der öffentliche Druck zu gross. Im Hintergrund dürften Economiesuisse und weitere Wirtschaftskreise Einfluss auf Vasella genommen haben, aus Angst, die Abzocker-Initiative könnte zusätzlichen Aufwind erhalten. Ich frage mich: Was haben die ihm geboten, dass er diese Kehrtwende vollzieht? 

Sie kaufen Vasella nicht ab, dass er aus Einsicht gehandelt hat?

Zu einer derartigen Einsicht gelangt keiner innert weniger Tage, dessen berufliches Leben sich 17 Jahre lang um seine exorbitante Vergütung gedreht hat – wie Vasella ja selbst einmal freimütig zugegeben hat. Wenn eine Einsicht stattgefunden hat, dann allenfalls eine strategische darüber, was sich durchsetzen lässt und was ihm folglich nützt. Insofern darf der Verzicht als opportunistisch bezeichnet werden. Von moralischer Einsicht ist da keine Spur. Vasella hat ja nicht gesagt, dass es nun plötzlich falsch war, Vergütungen dieser Grössenordnungen ganz angemessen zu finden.

Vasellas «Leistung» hätte darin bestanden, sein überragendes Abzockerwissen nicht an andere Unternehmen weiterzuverkaufen

Vasella hätte 72 Millionen Franken über 6 Jahre verteilt erhalten, damit er nichts leistet. Hätte er damit das Fundament unserer wirtschaftlichen Ordnung untergraben?

In der Tat. Seine «Leistung» hätte darin bestanden, sein überragendes Abzockerwissen nicht an andere Unternehmen weiterzuverkaufen. Schliesslich bezahlen die Patienten, die überrisse Monopolpreise zu berappen haben, letztlich auch für die Millionensaläre eines Daniel Vasella. Das verstehen wir aber nicht unter einer Leistung, die den Namen verdient. Vasella wollte 12 Millionen pro Jahr dafür, damit er schweigt. Auch diesbezüglich muss man fragen: wo ist denn da die Leistung? Die Empörung ist darum so gross, weil all dies, auch mit Blick auf die Grössenordnungen, kaum in einen plausiblen Zusammenhang zu bringen ist mit einem Leistungseinsatz, der in einer Marktwirtschaft ja auch fair vergütet werden sollte. Für eine Nicht-Leistung derart obszöne Vergütungen zu verlangen, spricht dem Grundsatz der Leistungsgerechtigkeit in besonderem Masse Hohn.

Stimmt es Sie zuversichtlich, dass selbst Topmanager und Weltkonzerne einknicken, wenn der öffentliche Druck gross genug ist?

Was geschehen ist, ist durchaus ein begrüssenswerter Anfang, der anzeigt, dass sich die gesellschaftliche Grosswetterlage geändert hat. Bis zur Krise herrschte ja beinahe flächendeckend der Neoliberalismus, die totale Markthuldigung. Und wie eine Reminiszenz davon redet Vasella immer noch von «marktgerechten Vergütungen» – als sei die Durchsetzbarkeit im Markt oder im Unternehmen ein Kriterium für Gerechtigkeit. Dass die Marktkräfte regieren sollen, dies wird von breiteren Bevölkerungskreisen zunehmend infrage gestellt. Um jedoch zu einer gemässigten, fair funktionierenden Marktwirtschaft zu kommen, dazu reicht moralischer Druck allein nicht aus. Dazu braucht es einen entsprechenden, klugen Ordnungsrahmen für die Wirtschaft. 

Die Annahme der Minder-Initiative brächte eine solche Regulierung. Sie halten den Ansatz der Initiative aber für falsch. Warum?

Thomas Minder hat nicht verstanden, warum die Saläre so hoch sind. Seine Initiative würde den Kapitaleignern noch mehr Einfluss geben. Alles, was die Kapitalgeber in den letzten Jahren und Jahrzenten wollten, war, die Gier im Management zu entfachen. Es ist die Verlängerung ihrer Gier. Dies ist ja die offizielle Doktrin: Die Aktionäre, für die keine Rendite zu hoch ausfallen könnte, sind die «Prinzipale» des Unternehmens. Ihnen sollen also alle Vorrechte zustehen. Die Mitarbeiter sind nur Mittel zum Zweck, bestenfalls Zudiener. Und die Konzernlenker sind die «Agenten» der Aktionäre. Sie sind genauso gierig wie die Aktionäre. Um sie auf die unstillbaren Renditewünsche der Aktionäre auszurichten, hat man Boni eingeführt, nach dem Motto: Wenn ihr den Aktienkurs um ein paar Milliarden steigert, bekommt ihr davon ein paar Prozente ab. Und flugs hatte man die Millionensaläre für Manager. Das Problem sind dabei nicht nur Managersaläre weiter jenseits aller Leistungsgerechtigkeit. Meines Erachtens noch problematischer ist, dass die Unternehmen dadurch im Ganzen zu Giermaschinen wurden.

Warum kämpft dann der Wirtschaftsdachverband Economiesuisse so verbissen gegen die Initiative?

Dies ist in der Tat erstaunlich. Mir scheint, hierbei geht es nur um Symbolik. Denn sowohl dem Gegenvorschlag als auch der Initiative geht es ja nicht darum, obszön hohe Saläre abzuschaffen. Minder wollte dies vielleicht einmal. Doch dreht sich das Ganze im Ergebnis bei beiden allein darum, den Aktionären noch mehr Macht zu geben. Die Unterschiede im Einzelnen sind reichlich marginal. Die Abzockerinitiative steht da in der Landschaft als Fanal gegen Abzockerlöhne. Das sagt ja schon ihr Name. Die Annahme der Minder-Initiative wäre also ein starkes Signal gegen hohe Managerlöhne und damit auch gegen das Modell von Unternehmen als Giermaschinen. Auch wenn es im Ergebnis wohl das genau Gegenteil wäre, was aber Minder und breite Bevölkerungskreise nicht verstanden haben. Die Boni und damit die Managersaläre würden also eher noch weiter steigen, weil dies nämlich die Aktionäre in ihrer finanziellen Mehrheit so wollen.

Die Annahme des Gegenvorschlags würde als Signal aufgefasst, so weiter zu machen wie bisher?

Im Unterschied zur Minderinitiative wären die Zeichen dafür gestellt, dass die Bevölkerung Millionensaläre in Ordnung findet, jedenfalls solange diese den Renditeinteressen der Aktionäre dienen. Wer sich gegen Millionensaläre und für eine Rückkehr zu einigermassen leistungsgerechten Vergütungen, und zwar oben wie unten, aussprechen möchte, der sollte weder für Minder noch für den Gegenvorschlag stimmen. Wer ein Zeichen setzen möchte, muss vielmehr leer einlegen.

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