Am 19. Dezember wäre Edith Piaf 100 geworden. Ihre Chansons bleiben unsterblich. Wir erinnern in sieben Stücken an die gewaltige Stimme einer schmächtigen Frau.
Am 19. Dezember wäre Edith Piaf 100 geworden. Ihre Chansons bleiben unsterblich. Wir erinnern in sieben Stücken an die gewaltige Stimme einer schmächtigen Frau.
1. «Les trois cloches» (1946)
Schon wenn die Compagnons de la Chanson die ersten Zeilen über den Lebensweg eines gewissen Jean-François Nicot intonieren, gerät der Agnostiker ins Grübeln. Und wenn dann die Piaf dieses A-capella-Stück im volksfrommen Ton an sich reisst, möchte man sich umgehend taufen lassen. Allerdings geht es auch profaner: Micheline Calmy-Rey interpretierte das vom Waadtländer Channsonier Jean Villard-Gilles komponierte Stück 2007 als Bundespräsidentin im welschen Fernsehen – sicherheitshalber zum vorher im Studio eingesungenen Playback.
2. «La vie en rose» (1947)
Die ganz grossen Sänger, ob Sinatra oder Elvis, waren in erster Linie Interpreten und erst dann – wenn überhaupt – Autoren. Auch Edith Piaf schrieb wenig selber. Bei diesem, einem ihrer bekanntesten Stücke aber zeichnet sie als Texterin. Auf Wikipedia wird die Nummer als «klischeehafte Verherrlichung der Liebe» geschmäht, dabei können weder Strassenmusiker noch André Rieu (wobei … doch, der schon) dieses immergrüne Liebeslied über den Blick durch die rosa Brille kaputt dudeln. Es lassen sich lange Abende damit verbringen, alle möglichen Interpretationen aufzuspüren. Wir kürzen für Sie ab und empfehlen die Fassung von Piafs Busenfreundin und Trauzeugin Marlene Dietrich sowie jene von Grace Jones.
3. «Sous le ciel de Paris (1954)
Ursprünglich für den gleichnamigen Film von Julien Duvivier komponiert, machte zunächst Juliette Gréco dieses Chanson berühmt. In die weitere Welt trug es dann aber Edith Piaf hinaus. Seither gehört das Stück zu den Wahrzeichen der französischen Hauptstadt, ein touristisches Tonsignal im flotten Takt des Musette-Walzers. Das Stück brachte auch transatlantische Crooner wie Paul Anka oder Bing Crosby auf den Geschmack, die es als «Under Paris Skies» anglifizierten. Es ist und bleibt aber in der Originalsprache ein Klassiker für die Ewigkeit – auch durch Neuinterpretationen jüngerer Generationen, wie zuletzt etwa von Zaz.
4. «Les amants d’un jour» (1956)
Eine der traurigsten Aufnahmen in ihrem Repertoire und die unheimlichste. In den hingeschnodderten Strophen erzählt eine Hotelangestellte wie im Selbstgespräch oder im Verhör, sie trockne die Gläser hinten im Café und habe keine Zeit zum Träumen. Im Refrain schildert sie schwelgerisch ein Paar, das Hand in Hand ankommt und ein Obdach, sich zu lieben, verlangt. So weit, so Parisprospekt, doch später findet man das Paar auf dem Zimmer – im Tod vereint. Am Ende trocknet die Frau aus dem Café wieder ihre Gläser und schliesst mit der Bemerkung, draussen stehe stets «Zimmer zu vermieten». Dann zerschellt ein Glas am Boden. Hat sie die beiden umgebracht? Haben sie sich selber das Leben genommen? Man weiss es nicht und bleibt erschüttert. Damit ist man nicht allein, davon zeugen Versionen von Les Négresses Vertes oder Alain Bashung, der mittlerweile wie Piaf auf dem Friedhof Pèrre-Lachaise begraben liegt, und natürlich konnten auch Gruftis wie die Sex Gang Children ihre Finger nicht von der morbiden Vorlage lassen.
5. «L’Homme à la moto» (1956)
Als es mit Piaf bergab ging, gab sie noch einmal richtig Gas. «L’homme à la Moto» wird, wenngleich in New York eingespielt, als als erste französische Rock’n’Roll-Aufnahme genannt. Das mag für Thema, Tempo und Vehemenz des Vortrags gelten, arrangiert ist die Adaptation des Leiber/Stoller-Stücks «Black Denim Trousers and Motorcycle Boots» aber für ein kleines Orchester. Mit Verve singt Piaf von einem Rocker, der auf seinem Töff Angst und Schrecken verbreitet, bevor er von einem Zug für immer gestoppt wird. Beim Auftritt in der Sendung «La Joie de Vivre» 1956 zeigte sich die grosse Sängerin gezeichnet. Nach einigen Entzügen war sie zwar nicht mehr auf Morphium, dafür litt sie an Polyarthritis und war wie schon früher dem Alkohol verfallen. Was sie aus ihrem kleinen, geschundenen Körper rausholte, bleibt aber atemberaubend.
6. «Milord», 1959
Georges Moustaki war 24 und für kurze Zeit der Geliebte von Edith Piaf. Die beiden unterhielten sich über Ideen für Texte – und daraus ergab sich am Ende die Geschichte des britischen Milord, der von seiner Frau verlassen worden war und Trost fand bei einem Hafenmädchen. Mit ihren «Allez»-Rufen munterte Piaf ihren Milord auf – und mit der Musik von Marguerite Monnot, die ihr zahlreiche Melodien kredenzte, wurde dieses Chanson zum Klassiker in Hafenkneipen wie auch in Bars. Bam-bam-bam-bam-bam-bam.
7. «Je ne regrette rien», 1960
Im Oktober 1960, Edith Piaf war todkrank, überzeugten sie die jungen Songwriter Charles Dumont und Michel Vaucaire zum Comeback. Sie hatten ein Lied geschrieben, das ihr aus der Seele sprach: Nein, sie bereue nichts, weder das Gute, noch das Schlechte. Das Arrangement dazu lässt Sinatra anklingen (mit punktiertem Blech und zirpenden Streichern), und tatsächlich sollte man dieses Chanson zu den majestätischsten Schlagern der Geschichte zählen. «Non rrrrien de rrrien», singt Piaf und unterfüttert die Zeile mit rollendem R – unverwechselbar, voller Ausdruckskraft. Am Ende ihrer Karriere wusste sie mit dieser Kernaussage ihren Mythos zu erhöhen – und schuf ein letztes Mal ein Stück für die Ewigkeit. Merci beaucoup, madame!