60 Jahre Sex, Pop und Fotolove

Seit 60 Jahren hilft die BRAVO pickligen Jugendlichen durch die grauenhafte Teeniezeit. Diese ehrenwerte Aufgabe nimmt das Jugendmagazin leider immer weniger wahr. Ein wehmütiger Rückblick.

Wer sind all diese Menschen? Autorin mit BRAVO.

(Bild: Hans-Jörg Walter)

Seit 60 Jahren hilft die BRAVO pickligen Jugendlichen durch die grauenhafte Teeniezeit. Diese ehrenwerte Aufgabe nimmt das Jugendmagazin leider immer weniger wahr. Ein wehmütiger Rückblick.

Ein unvergesslicher Moment: Man ist 14 Jahre alt, man hat die ersten Pickel und den letzten Babyspeck, man ahnt nichts Böses – und dann kommt der Götti mit einem BRAVO-Abo angetanzt. «Ich dachte, das wäre jetzt vielleicht mal angebracht.» Die Mutter lacht laut, ruft: «Meine Tochter weiss imfall, was eine Vagina ist!», und man schämt sich noch mehr als man sich sowieso schon schämt, weil Scham in dem Alter das zweitmeistgefühlte Gefühl ist, direkt nach Überforderung.

Klar weiss man, was eine Vagina ist, und klar weiss man auch, was dieses Heft ist, schliesslich hat man eine ältere Schwester oder Cousine oder Freundin, mit der man sich auf dem Hochbett durch die Fotolovestorys geseufzt hat. Wegen André, 16: findet Skateboards cool und Zicken uncool. Oder Flo, 17: mag Cola und Ehrlichkeit. Der Rest des Hefts ist zu dieser Zeit noch relativ uninteressant, es gibt kein Internet und man befindet sich in einer ländlichen Kleinstadt, da dringt wenig Trendiness durch. Kelly Family höchstens mal auf einem Zierkissen, oder Backstreet Boys auf der CD aus der Stadtbibliothek. 

Totale Hingabe

Bis man das BRAVO-Abo kriegt. Es ist der gefühlt erste Schritt ins Erwachsenenleben, die Tür in eine magische Welt, wo man Plateauschuhe trägt, ans Backstreet Boys-Konzert fährt und weiss, was «Petting» ist. Jetzt wo man das Heft wöchentlich zugeschickt bekommt, beschliesst man, sich ihm ganz hinzugeben, so, wie man es eigentlich gern mit André machen würde, wüsste man nur wie. Aber dafür hat man ja jetzt eben die BRAVO. 



Darf in keiner BRAVO fehlen: blutte Frau, blutter Mann.

Darf in keiner BRAVO fehlen: blutte Frau, blutter Mann. (Bild: Hans-Jörg Walter)

Und die BRAVO tut, was sie kann: Sie stellt die wichtigsten Popstars und Haartrends vor, erklärt, wie man bei den Andrés ankommt, und zeigt nackte Menschen, ganz ganz nackte Menschen, einfach so in der Mitte des Heftes, direkt vor den Postern. So nackt, dass man verstohlen zur Kinderzimmertür schielt – hoffentlich kommt das Mami nicht gleich rein. Alles ist seicht und überspitzt und ein wenig doof, und trotzdem verschlingt man die Zeitschrift jeden Mittwoch wieder aufs Neue. Mit der BRAVO verhält es sich in diesem Alter wie mit den meisten Dingen: Eigentlich weiss man, wie bescheuert das Getue ist – aber man kann einfach nicht anders. 

Und heute?

Heute ist von dieser Faszination wenig übrig geblieben. Das liegt einerseits daran, dass man älter geworden ist, dass André höchstens halb so toll war, wie man sichs vorgestellt hatte und man die Backstreet Boys mittlerweile nur noch ironisch hört. Ein Blick ins aktuelle Heft macht nur noch schmerzhafter bewusst, wie alt man eigentlich geworden ist: 80 Prozent der Inhalte kreisen um Menschen, von denen man noch nie was gehört hat. Wie die «Lochis», zwei Brüder, die offenbar MEGA erfolgreich auf Youtube sind und gerade ihr ERSTES Album veröffentlicht haben, um DIE CHARTS ZU EROBERN! Daneben massenhaft Instagram-Stars, Youtube Stars, Musical.ly-Stars.

Musica-was? Eben.



Die heissgeliebte Fotolovestroy ist auch immer noch Teil des Konzept.

Die heissgeliebte Fotolovestroy ist auch immer noch Teil des Konzept. (Bild: Hans-Jörg Walter)

Immerhin ist die heissgeliebte Fotolovestory noch drin – es geht um Nadja (16: liebt Sommer und Sonne, hasst Fremdgehen und Stress) und Marc (17: liebt Girls, Girls, Girls, hasst Eifersucht und Stress), die gemeinsam Ferien auf Mallorca machen und in ein Eifersuchtsdrama verwickelt werden. Die Geschichte ist so daneben, dass jegliche Nostalgie sofort verfliegt. «Gottseidank sind wir erwachsen» kommentiert die Kollegin und Recht hat sie: Sowas passt genau in zwei Jahre eines Lebens, mehr nicht. Zum Glück.

Das junge Herz ist verbraucht

Nach 10 Minuten Intensivlektüre muss man den Tatsachen ins Auge blicken: Die BRAVO ist nicht mehr das, was sie einmal war. Was vor 60 Jahren als «Die Zeitschrift für Film und Fernsehen» auf den Markt kam und sich rasant zum beliebtesten deutschsprachigen Jugendmagazin entwickelte, ist heute so gut wie am Ende.

Damals noch «Die Zeitschrift für Film und Fernsehen»: Die erste BRAVO, August 1956.

Damals noch «Die Zeitschrift für Film und Fernsehen»: Die erste BRAVO, August 1956.

1996 verkauften sich pro Ausgabe 1,4 Millionen Exemplare, heute sinds noch knapp 140’000. Dass das Magazin dabei vor weniger Zeit mit bekloppten Tipps auf sich aufmerksam machte, in denen es Mädchen zu mehr Sexiness riet (aber nicht zu viel, das wirke «schlampenhaft»), und dazu aufrief, «immer Zahnpflegekaugummis dabei zu haben», wirkt fast schon verzweifelt. Und zog verdientermassen einen gehörigen Shitstorm auf sich.



Selfie-Diary statt traditionellem Erlebnisbericht - BRAVO geht mit der Zeit.

Selfie-Diary statt traditionellem Erlebnisbericht – BRAVO geht mit der Zeit. (Bild: Hans-Jörg Walter)

Was müssen Jugendmagazine heute bieten, um digital kids von sich zu überzeugen, ohne dabei plump rüberzukommen? In einem Gespräch mit dem Webportal Refinery29 meinten die sehr erfolgreichen «Teen Vogue»-Redaktoren Elaine Welteroth und Phillip Picardi, dass sich im Vergleich zur analogen Vergangenheit gar nicht so viel verändert habe: Junge Menschen wollen dazugehören.

Wenn man sein Magazin so verkauft, dass es ein Must-Have in bestimmten Peergroups wird, dann könne auch ein Printprodukt Erfolg haben. Und das erreicht man am besten, indem man sich seine Peergroup selber schafft. Also: Online-Community aufbauen, zuhören, Wünsche und Anmerkungen umsetzen, so eng wie möglich mit den Lesern zusammenarbeiten. Dann läufts auch in den Printredaktionen rund.

Aber gilt das auch für die hiesigen Zustände? Ist die BRAVO ein Begriff unter Schweizer Teenies? Eine kleine Umfrage beim 13-jährigen Gottimeitschi und ihren Freundinnen ergibt: Ja, aber «meega peinlich»! BRAVO-Abo zum 14. gibts also nicht mehr. Sie wünsche sich lieber einen Kinoabend mit mir. Das Heft würde sie aber trotzdem gern behalten, «aus Interesse». Sie starrt gebannt auf die Titelseite, auf der die Lochis generisch gut gelaunt in die Kamera grinsen. Ich nicke. Schon klar. Liebe Bravo, irgendwas machst du eben doch noch richtig.

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