7 Bücher des Jahres

Unzählige Bücher warfen die Verlage auch letztes Jahr auf den Markt, nicht jedes gefiel uns. Doch welche Bücher haben uns 2012 ans Sofa gefesselt? Welche Geschichten haben uns zum Lachen, zum Weinen, zum Schreien gebracht? Eine äusserst subjektive Auswahl. Unzählige Bücher warfen die Verlage auch letztes Jahr auf den Markt, nicht jedes gefiel uns. Doch […]

Sorgte 2012 für Wirbel: Christian Kracht.

Unzählige Bücher warfen die Verlage auch letztes Jahr auf den Markt, nicht jedes gefiel uns. Doch welche Bücher haben uns 2012 ans Sofa gefesselt? Welche Geschichten haben uns zum Lachen, zum Weinen, zum Schreien gebracht? Eine äusserst subjektive Auswahl.

Unzählige Bücher warfen die Verlage auch letztes Jahr auf den Markt, nicht jedes gefiel uns. Doch welche Bücher haben uns 2012 ans Sofa gefesselt? Welche Geschichten haben uns zum Lachen, zum Weinen, zum Schreien gebracht? Eine äusserst subjektive Auswahl.

1. Thomas Meyer: Wolkenbruchs wunderbare Reise in die Arme einer Schickse

(Bild: zVg)

Mordechai Wolkenbruch, kurz Motti, war der Überraschungskandidat auf der Shortlist für den Schweizer Buchpreis. Der 25-jährige Jude wehrt sich in Thomas Meyers Debütroman gegen die Verkupplungsversuche seiner Mutter. Und das in derart witziger Weise, dass die Leserschaft ganz hin und weg war. Die Jüdinnen, die Mottis Mame ihm vorsetzt, passen dem jungen Mann allerdings überhaupt nicht in den Kram. Er guckt lieber auf den «tuches» (=Hintern) der Kommilitonin Laura. Nicht-Jüdin, Gin Tonic-Trinkerin, Jeans-Trägerin. Was wiederum der Mame gar nicht passt. Motti aber ist das egal, er wird zum Rebell – und wirft sich mit erfrischender Unwissenheit und zur fabulösen Unterhaltung der Leserschaft mitten hinein in die nicht-jüdische Unordnung. Der Spassfaktor bei diesem Buch also war hoch, gewonnen hat den Buchpreis mit Peter von Matt trotzdem ein anderer. (ISBN 978-3-905801-59-0

2. Sibylle Berg: Vielen Dank für das Leben

(Bild: )

Wie Thomas Meyer ging auch Sibylle Berg bei der Verleihung des Buchpreises in Basel leer aus. Dabei hätte die Wahlschweizerin eine solche Auszeichnung längst verdient. Nicht nur mit ihren Büchern, auch mit ihrer wöchentlichen BaZ-Kolumne – die in diesem Jahr aus Spargründen abgesetzt wurde – hat die gebürtige Weimarerin seit Jahren für Diskussionsstoff gesorgt. So auch mit ihrem neuen Roman, den sie ironisch «Vielen Dank für das Leben» betitelt hat. Im Mittelpunkt ihrer Geschichte steht Toto. Ein Sonderfall. Intersexuell, zwischen Mann und Frau, ein aussergewöhnliches Ding. Aussergewöhnlich gutmütig etwa, trotz aller Demütigungen, die ihm widerfahren; sei es im Kinderheim der DDR, in der Kommune der BRD oder in den Klauen kranker Menschen, die ausgerechnet Toto als Freak abtun. Toto ist menschliches, philanthropisches Treibgut in einer egoistischen Gesellschaft, fällt auf und gerade deshalb bei den Leuten durch. Trost findet Toto in einem Talent – es singt wie ein Herrgöttchen – und in einem vermeintlichen Freund: Kasimir, Waise, aber nicht weise, sondern Investmentbanker. Man hat Antony Hegarty in den Ohren, Patrick Bateman vor Augen, und ein Buch in den Händen, das Toto 64 Jahre lang durchs Leben begleitet. Die Kombination ist zu viel für diese Welt, in der die Menschheit auf den Selbstauflöser gedrückt hat. (ISBN 978-3-446-23970-8)

3. Wladimir Sorokin: Der Schneesturm

(Bild: zVg)

Es schneit fast ununterbrochen im neuen Roman des russischen Kultautoren Wladimir Sorokin. Der Schnee steht auch für die Widrigkeiten, die das Leben mit sich bringt, in einer rauen Wildnis am Ende der Welt: eisige Landschaften, die Entfesselung eines gewaltigen Sturms und der damit einhergehende Orientierungsverlust, die Bedrohung durch Wölfe, Kälte und Hunger. «Der Schneesturm» blickt tief in die russische Seele, detailversessen, er berichtet von Rauschzuständen. Und die Lektüre selbst gerät zum Rausch, man mag das Buch nicht mehr aus der Hand legen. (ISBN 978-3-462-04459-1)



4. Christian Kracht: Imperium

(Bild: zVg)

Die Aufregung war schon gross – da hatte Christian Krachts «Imperium» noch keiner gelesen. Doch dank einem Spiegel-Artikel war der Literaturskandal des Jahres bereits vor dem Erscheinungstermin perfekt. Kracht sei der «Türsteher der rechten Gedanken», warf Autor Georg Diez dem Autoren vor, und brachte als Argument diverse Zitate aus «Imperium» an. Er öffne damit dem «antimodernen, demokratiefeindlichen, totalitären Denken» den Weg in den Mainstream. Humbug, sagten wir nach der Lektüre des Romans: Durch das Lesen von «Imperium» wird man weder zum Antisemit noch zum Verehrer totalitärer Regimes. Was Kracht vorgelegt hatte, war unschwer erkennbar eine bitterböse Satire. Das Buch erzählt die Geschichte von August Engelhardt, der sich Ende des 19. Jahrhunderts in die deutsche Kolonie Neupommern im Pazifik aufmachte, um dort eine Kolonie von Nudisten zu gründen, die sich ausschliesslich von Kokosnüssen ernähren. Die historischen Fakten bettete Kracht grandios in Fiktives ein. Tatsächlich kommt auch Hitler ein-, zweimal vor – allerdings immer in abwertendem Tonfall. Der Spiegel hingegen hatte versucht, Kracht anhand eines Mailverkehrs mit dem US-Künstler David Woodard, der gewisse Sympathien zu rechtsextremen Exponenten offen pflegt, in die Nähe von Rechtsextremisten zu rücken. Tatsächlich wirft dieser wortreiche Austausch Fragen auf – mit «Imperium» jedoch haben diese nichts zu tun. (ISBN 978-3-462-04131-6)

5. Alain Claude Sulzer: Aus den Fugen

(Bild: zVg)

Marek Olsberg, begnadeter Konzertpianist, füllt Hallen mit Klängen und begeistert damit die Zuhörer der Berliner Philharmonie. Olsberg ist Dreh- und Wendepunkt dieses Romans, unterschiedliche Figuren sind mit ihm auf verschiedenartige Weise verknüpft. Und für sie alle ändert sich alles mit den Worten, die Olsberg kurz vor Ende des letzten Satzes von Beethovens Hammerklaviersonate äussert: «Das wars.» Der Roman des Basler Autoren Alain Claude Sulzer, der es ebenfalls auf die Shortlist für den Schweizer Buchpreis geschafft hatte, ist eine ironische Betrachtung der Hochkultur. Sulzer hält dem geheuchelt harmonischen Bildungsbürgertum den Spiegel vor. Auf unterhaltsame, lesenswerte Weise. (ISBN 978-3-86971-059-4)

 

6. Irena Brežná: Die undankbare Fremde

(Bild: zVg)

Erzählt eine Migrantin von ihrem Eindruck der Schweiz, so kann das sehr entlarvend sein. Iren Brežná tut in ihrem Roman genau das: Sie lässt eine junge Frau von einer Diktatur in ein «reiches Land» kommen. Dass damit die Schweiz gemeint ist, wird bald klar. Ein Land, in dem Wörter wie «konsequent» hohes Ansehen geniessen. In dem man die Worte, mit denen man das höchste aller Gefühle ausdrückt – «i ha di gärn» – auch fürs Müesli benutzt. Brežná selbst kam vor rund 40 Jahren aus der damaligen Tschechoslowakei in die Schweiz, nach Basel. Ihr Roman vermischt autobiografische Züge mit Fiktion. Spannend wird es hauptsächlich, weil die Autorin auf zwei zeitlichen Ebenen erzählt: Da ist die junge Frau direkt nach der Einreise, und dann dieselbe Person Jahre später. Die Wut im Bauch, die sie anfangs hatte, ist da verflogen, sie hat sich ans neue Heim gewöhnt – zumindest teilweise. Für dieses Buch hat Irena Brežná verdientermassen Ende Jahr einen der Eidgenössischen Literaturpreise erhalten. (ISBN 978-3-86971-052-5)

7. Jennifer Egan: Der grössere Teil der Welt

(Bild: )

Ganz zum Schluss, als Alex mit seiner Ehefrau mit der strengen Brille (früher konterkarierte die Brille die verruchte Schönheit seiner Frau, heute ist sich Alex nicht mehr so sicher) und einem leicht gestörten «Patscher» am Ground Zero die Wiederaufstehung von Scotty Hausmann (er riecht nach Jägermeister und Bohnen) miterlebt und sich Alex danach gemeinsam mit Beni (ob er noch Goldflocken in seinen Kaffee streut? Und wie geht es eigentlich Chris?) einer alten Liebe erinnert (dabei ist die, Sasha mit Namen, schon lange und endlich glücklich in der Wüste von Texas. Sie hat einen aufopfernden Mann und zwei ziemlich coole Kinder) und sie tragischerweise nur einer irgendeiner anderen jungen Frau durch den Nebel von New York nachschauen (sehnsüchtig, lebenshungrig und etwas traurig), dann, ja dann macht man das hübsche rote Buch zu und denkt: Wie zum Teufel hat die das gemacht?

Wie macht das Jennifer Egan? Wie zieht sie einen so enormen Bogen, wie hält sie die Spannung? Warum liest sich das alles so leicht und schlüssig? Warum ist sie nie angestrengt oder elitär oder wenigstens so konzeptuell wie das Buch allein von seiner Anlage her eigentlich sein müsste? (Die Episode mit Rob sei ihr verziehen. 13 gleich starke Stücke wären unheimlich gewesen). Warum berührt einen die Powerpoint-Präsentation in der Mitte des Buches fast mehr als die Prosa davor und danach? Und warum kann man den Inhalt ihres mit dem Pulitzer-Preises ausgezeichneten Buch nicht wiedergeben? (Es geht um Musik, aber eben nicht nur. Es geht um Anfänge und Abschlüsse. Um verpasste Möglichkeiten und falsche Versprechungen. Es geht eigentlich um alles.)

Wie sie das macht? Keine Ahnung. Wahrscheinlich ist sie einfach ziemlich gut. Ihr Buch ist auf jeden Fall und ohne jede weitere Erklärung: grossartig. (ISBN 978-3-89561-224-4)

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