Ein herrlich komisches Paar aus Frankreich, Aufrüttelndes aus der Schweiz und Atmosphärisches aus Hollywood: Sieben Filme, die uns 2012 im Kino zu Sesselklebern gemacht haben.
1. Moonrise Kingdom
Im Mai dieses Jahres durfte er die Filmfestspiele von Cannes eröffnen: Wes Anderson, der texanische Regisseur mit dem Sinn für skurrilen Humor. Ob «The «Royal Tenenbaums», «Life Aquatic» oder «Darjeeling Limited»: Seine Spezialität sind Familiendramödien. So auch in seinem diesjährigen Film. Zwei Teenager werden flügge: Er haut nachts aus dem Pfadi-Camp ab, sie aus dem Elternhaus. Gemeinsam wandern sie auf einer Insel ab ins Nirgendwo. Zwei unverstandene Teenager auf der Suche nach der tröstenden Geborgenheit, dem gemeinsamen Glück und dem ersten Kuss. Es ist ein Märchen, eine Flucht, die uns Wes Anderson in «Moonrise Kingdom» vor Augen führt, eingetaucht in satte, nostalgische Farben und ausgestattet mit herrlichen dekorativen Details, die an die 1960er erinnern.
2. Sister (L’enfant d’en haut)
Nicht genug damit, dass die Westschweizer Filmemacherin Ursula Meier an der Berlinale 2012 mit einem Silbernen Bären ausgezeichnet wurde. «Sister» hat auch den Sprung über den Atlantik geschafft und bleibt auf der Shortlist der besten ausländischen Filme im Rennen um einen Oscar! Dieser Schweizer Film ist aber auch wirklich herausragend: Die Geschichte dreht sich um Simon, einen Buben, der auf dem Papier noch ein Kind, im Skigebiet bereits ein Dieb – und in der familiären Verantwortung schon viel zu erwachsen ist. Der 13-Jährige lebt in Armut und inmitten der Tristesse des Tals. Und fährt täglich hoch auf die Gipfel, wo sich die Reichen sonnen. Dort klaut er Skiausrüstungen und verdealt diese, damit er etwas zu essen hat. Seine verwahrloste Schwester schaut tatenlos zu. «Die Berge sind ein häufiges Thema im Schweizer Film», sagte Ursula Meier im Gespräch mit der TagesWoche. «Mir ging es allerdings nicht darum, einen Heimatfilm zu machen. Ich wollte eine soziale Realität darstellen, über die kaum geredet wird.» Das ist ihr eindrücklich gelungen: Meier zeigt zwei Menschen, die durch die Maschen des Sozialstaats fallen.
3. Intouchables
Dass Ursula Meier den Oscar in die Schweiz heimbringt, würde fast an ein Wunder grenzen. Denn die Konkurrenz auf der Shortlist ist stark: Die Favoriten heissen «Amour» (von Michael Haneke) und «Intouchables» (von Olivier Nakache und Eric Toledano). Letztere ist eine französische Komödie mit Herz und Mitgefühl und liess auch bei uns die Kassen klingeln: In wenigen Wochen überholte «Intouchables» das 3D-Spektakel «Avatar» und liegt damit in der ewigen Kinobestenliste der Schweiz auf dem zweiten Platz, hinter «Titanic».
Die Geschichte in «Intouchables» ist einfach, aber bestechend: Die gepflegte Pariser Bourgeoisie trifft auf den rauen Banlieue. Mit anderen Worten: Der gelähmte Millionär Philippe stellt den arbeitslosen Driss als Pfleger ein, daraus entsteht ein Joint Venture, ja, ein Joint Adventure, das lose auf der wahren Geschichte von Philippe Pozzo di Borgo beruht. Zwei Welten, eine Freundschaft, wie man am Ende des rührenden Spielfilms feststellt. Der Kinohit des Jahres 2012.
4. Bottled Life
Hoppla, da haben sich die Verantwortlichen von SRF3 in die Nesseln gesetzt: Ihre Dauer-Spenden-Aktion «Jeder Rappen zählt» widmete sich heuer der Wasserversorgung. Und bot dabei u.a. auch Peter Brabeck eine Plattform. Der Nestlé-Chef schlüpfte in die Rolle des Philanthropen («Wir verkaufen nicht das Wasser sondern eine Dienstleistung») und spendete noch 250’000 Franken. Was prompt einen Sturm der Entrüstung auslöste. Juso-Präsident David Roth sprach gegenüber 20 Minuten deutliche Worte: «In Anbetracht der Bestrebungen von Nestlé bezüglich Wasserprivatisierung kommt das einer Prostitution gleich.» Wie heuchlerisch Brabecks Gutmenschentum ist, zeigt der exzellent recherchierte Film «Bottled Life»: Journalist Res Gehriger erforschte das Wasserimperium von Nestlé und reiste dafür in die USA wie auch in die dritte Welt. Eindrücklich und erschütternd ist seine Dokumentation darüber, wie Brabecks Firma Wasser in Gold verwandelt. Uns scheint, den Radio-Leuten sei dieser hervorragende Film eines Fernsehkollegen entgangen. Denn hätten sie ihn sich im Vorfeld genau angeschaut und die schlauen Schlüsse gezogen, wäre ihnen viel Ärger erspart geblieben.
5. More Than Honey
Ein zweiter Dokfilm made in Switzerland hat uns 2012 aufgerüttelt: «More than Honey» von Markus Imhoof. Darin streicht uns der Zürcher Filmemacher keinen Honig um den Mund, sondern geht der beklemmenden Frage nach, warum die Bienen sterben. «Würde ein Viertel der Kühe sterben, dann wäre die Hölle los», sagte Imhoof im Gespräch mit der TagesWoche. «Den Bienen aber fehlt es an einer vergleichbaren Lobby.» Dabei sind die Bestäuber die wichtigsten Nutztiere nach Rind und Schwein: Ein Drittel unserer Ernährung hängt von ihnen ab. In manchen Regionen Chinas sind die Bienen bereits ausgestorben. In beklemmenden Aufnahmen zeigt Imhoof, wie Bäume von Menschenhand bestäubt werden müssen. Alarmierende Aussichten. Mehr als 100’000 Schweizer liessen sich im Kino aufrütteln. Damit wurde «More than Honey» zum erfolgreichsten Schweizer Film des Jahres 2012.
6. Drive
Wo bleiben in dieser Bestenliste eigentlich die grossen B’s? Bond und Batman? Nun, diese sparen wir uns für später auf – für die Liste mit den Comebacks des Jahres. Freunde des guten Actionfilms sollen aber auch hier auf ihre Kosten kommen. Gerne erinnern wir an einen Film, der mit ungewöhnlichen Stilmitteln auffiel und hängenblieb: «Drive». Darin schlüpfte Ryan Gosling in die Rolle eines Fahrers, der tagsüber als Stuntman beim Film arbeitet und nachts als Fluchthelfer von Kriminellen. Der Film lebt von Stimmungen, von seiner Visualisierung und Stilisierung, angereichert mit Retro-Charme und einem hinreissenden Soundtrack.
7. Merida
Während «Drive» ausschliesslich Erwachsenen mit stärkeren Nerven zu empfehlen ist, wollen wir uns abschliessend noch an familientaugliche Kinoerlebnisse erinnern. Es gibt so viele Animationsfilme inzwischen, und jeden davon gucken die Kleinen mit Enthusiasmus. Merida jedoch vermochte auch uns Eltern zu überzeugen – und sei es nur wegen jener Szene, in der die Königin, soeben zum Bären verwandelt, sich damenhaft das Krönchen aufsetzt. Dazu noch die verfressenen Drillinge, der rauhbeinige Papa und zahlreiche kuriose Schotten in Röcken – fertig ist der Familienspass!