7 Gedanken an den Mann in Schwarz

Am 12. September vor zehn Jahren verstarb Johnny Cash im Alter von 71 Jahren. Die TagesWoche stellt zu Ehren des «Man In Black» sieben seiner Wegmarken vor. Er trug schwarz für die, denen kaum einer einen Gedanken schenkte. Für die Armen und die Unterdrückten, für die Kranken und einsamen Alten, für die Vergessenen hinter Gittern […]

Eine Legende, mit legendärem Hut: Johnny Cash.

Am 12. September vor zehn Jahren verstarb Johnny Cash im Alter von 71 Jahren. Die TagesWoche stellt zu Ehren des «Man In Black» sieben seiner Wegmarken vor.

Er trug schwarz für die, denen kaum einer einen Gedanken schenkte. Für die Armen und die Unterdrückten, für die Kranken und einsamen Alten, für die Vergessenen hinter Gittern und in den Gräbern und für die – auch das war Johnny Cash –, die nie das Wort Jesu gehört hatten.

Cash schrieb das Lied «Man In Black» 1971, als er längst ein Überstar des Country war. Mit Hits, die sich zu Evergreens wandelten, mit eigener TV-Show, mit einer Ehefrau (seiner zweiten) namens June Carter, die aus einer der bedeutsamsten Familien des US-Country und -Folk stammte. Und mit einer Vergangenheit des Drogenmissbrauchs und der intensiven Hinwendung zum Christentum.

Bibelfestigkeit hiess für Cash, sich den Ausgegrenzten, den Verlassenen und denjenigen auf den schiefen Bahnen hinzuwenden, und ihm, der seit Jahren das Image des Outlaws pflegte, hörten sie zu. Zehn Jahre vor seinem Tod, als die Countrymusik in ihrer Kapitale Nashville längst zu einer fleckfreien Glitzerwelt verkommen und Cash als zu knorrig, zu erdig, zu dunkel galt, um in ihr noch Platz zu finden, verschaffte ihm der Rock- und Rap-Produzent Rick Rubin (Beastie Boys, Public Enemy, Red Hot Chili Peppers) zu einem fulminanten Comeback, das Cashs Nimbus des unbeugsamen Alten festigte und ihm ein völlig neues, junges Publikum jenseits des Country erschloss.

Für die Reihe «American Recordings», von der zu Cashs Lebzeiten vier Alben erschienen, liess Rubin Cash im Studio die Songs singen, auf die er gerade Lust hatte, mit einem minimalistisch gehaltenen Instrumentarium, das sich stets dezent hinter den noch immer eindrucksvollen, jedoch zunehmend brüchigeren Bariton des «Man In Black» einordnete. Im Mai 2003 starb seine Frau June Carter Cash, mit der er 35 Jahre verheiratet war. Er folgte ihr vier Monate später, am 12. September 2003.

 1. «Folsom Prison Blues» (1955)

«Folsom Prison Blues» war erst die zweite Single in der noch jungen Karriere Cashs, aber er handelte Urthemen des Country in einer klaren Nüchternheit ab, die fortan Cashs Themen blieben: Es geht um Züge, die vorbei fahren und ein anderes Leben in einer besseren Welt versprechen, aber der Figur aus dem Song bleibt nichts anderes übrig, als ihnen hinterherzuschauen. Denn: «I shot a man in Reno just to watch him die», und daher: «I’m stuck in Folsom Prison, and time keeps draggin‘ on». Cashs Zeilen über einen, der nicht auf seine Mutter hörte, der mit Waffen spielen wollte und nun im Gefängnis sitzt, werden bereits in diesen frühen Jahren von seinem charakteristischen rhythmischen Spiel an der Gitarre begleitet, dem «Boom-Chicka-Boom», ein schnarrendes, schnell stampfendes Schlagmuster, das lautmalerisch einen ratternden Güterzug imitierte.

2. «Jackson» (1967) 

Was den Sänger Cash antreibt, hat er selbst eins in einem kernigen Zitat überliefert: «I love songs about horses, railroads, land, Judgment Day, family, hard times, whiskey, courtship, marriage, adultery, separation, murder, war, prison, rambling, damnation, home, salvation, death, pride, humor, piety, rebellion, patriotism, larceny, determination, tragedy, rowdiness, heartbreak and love. And Mother. And God.» Neben der Düsterkeit, dem unterschwelligen (wie stets uneindeutigen) politischen Gehalt seiner Songs, der Outlaw-Manier und der Bibelfestigkeit gehörten auch Liebeslieder zu den Kernstücken seines Programms, etwa das bittere «I Still Miss Someone» über einen, der seiner Verflossenen hinterhertrauert oder sein Grosserfolg «I Walk The Line», das er als Treueversprechen für seine erste Frau Vivian Liberto schrieb – die Ehe wurde 1967 geschieden. Im selben Jahr veröffentlichte er das Duett «Jackson» mit seiner Frau June Carter, ein Sprössling der Carter Family, eine der bedeutendsten Sippen im US-Folk. «Jackson» stammt nicht aus Cash Feder, aber handelte davon, dass auch die grösste Liebe nur mit gemeinsamer Sorgsamkeit erhalten werden kann. Ein Jahr später heiratete Cash June Carter.

3. «San Quentin» (1969)

 

1968 spielte Cash das erste von mehreren Gefängniskonzerten – und zwar dort, wo der «Folsom Prison Blues» herkam, im Folsom State Prison in Kalifornien. Seine Plattenfirma riet ihm mangels erwarteter Rentabilität ab, Cash setzt sich durch – und das Livealbum «At Folsom Prison» erreichte den obersten Platz der amerikanischen Country-Charts. Fortan trat Cash regelmässig in Gefängnissen auf, was seine Reputation des Outlaws, der selbst kaum je ernsthaft einsass, festigte. Ein Jahr später folgte «At San Quentin», aufgenommen am 24. Februar 1969 im San Quentin State Prison. Das Album übertraf den Erfolg aus Folsom noch und beinhaltete mit dem Titelsong ein Schlüsselstück, in dem deutlich wurde, warum die Knastinsassen Cash abnahm, was er sang, und ihn als einen der ihren akzeptierte: Cash singt aus der Perspektive eines Häftlings, der an seiner Strafe, die nur auf Sühne, nicht jedoch Resozialisierung ausgerichtet war, verzweifelte – und gab der Armseligkeit des Gefängnislebens eine prominente Stimme. «San Quentin, may you rot and burn in hell / may your walls fall and may I live to tell / May all the world forget you ever stood / and the whole world regret you did no good.»

4. «Children, Go Where I Send Thee» (1971)

Cash und der Glaube: eine nie erschöpfende Quelle seiner Musik. Sein älterer Bruder Jack, der im Alter von 15 Jahren an einem Kreissäge-Unfall starb, wollte Priester werden und beeinflusste den jüngeren John stark. 1967 wollte Cash sich in einer Höhle zum Sterben hinlegen und wurde, seiner Überzeugung nach, von Gott zum Weiterleben aufgefordert. Er war befreundet mit Fernsehpriestern wie Billy Graham, schrieb etwa mit «Belshazzar» schon seit den frühsten Jahren Songs zu biblischen Themen und beendete die erfolgreiche Zusammenarbeit mit seinem ersten Label «Sun Records», weil es ihm nicht gestattet wurde, Gospel-Platten aufzunehmen. Spätere Platten wie «The Holy Land» oder «A Believer Sings The Truth» zeugten von seinen tiefen religiösen Überzeugungen, 1986 schrieb er seinen einzigen Roman, «Man In White», der vom Damaskuserlebnis und der Wandlung von Saulus zu Paulus handelte, und in ihren letzten Jahren besuchten Johnny und June Cash zusammen eine Bibelgruppe. Cash schrieb seine Glaubenslieder nicht nur selbst, sondern bediente sich aus dem reichen Fundus der US-amerikanischen Traditionals. Eines davon, «Children, Go Where I Send Thee», stammt von einem TV-Auftritt in Dänemark 1971, bei der Cashs ganze Entourage dabei ist: Leute wie Carl Perkins oder die Statler Brothers – und die Carter Family, inklusive dem Familienoberhaupt «Mother» Maybelle Carter, June Carters Mutter, eine der wegweisendsten Figuren des frühen Country.

5. «Chicken In Black» (1984)

Die Achtziger Jahre waren geprägt von Cash kommerziellem Niedergang – Countrymusik orientierte sich am Mainstream, seine Plattenfirma, der er dreissig Jahre lang angehörte, vernachlässigte ihn, seine Themen waren nicht mehr gefragt. Da veröffentlichte Cash das absurde «Chicken In Black», in der er nicht nur den Country akustisch verhunzte und die Country-Industrie subkutan anklagte, sondern vor allem sich selbst parodierte – als ein ausgebrannter Country-Star, dem ein verrückter Professor das Hirn entfernt und ihn zu einem Bankräuber mutiert, während Cashs Hirn einem Huhn eingepflanzt wird, das an seiner Stelle die grossen Erfolge einfährt. Ironischerweise wuchs gerade «Chicken In Black» zu seinem grössten kommerziellen Erfolg dieser Jahre, das erwünschte Resultat erzielte er dennoch: seine Firma trennte sich von ihm, er ging eigene Wege. Bis er Rick Rubin traf.

6. «Hurt» (2002)

Rick Rubin holte Cash für sein Label «American Recordings» zurück in sein Studio. Cash tourte damals mit seinen alten Hits durch bestuhlte Säle, Rubin hatte sich mit Metal und Hip-Hop seinen Namen gemacht. Eine eigentümliche Zusammenarbeit, die späte Früchte trug: Rubin besuchte Cash in seiner zum Studio ausgebauten Blockhütte in Henderson, legte ihm die Gitarre in den Schoss und liess das Band laufen. Cash spielte die Lieder, die er spielen wollte, so, wie er sie spielen wollte. «American Recordings» erschien 1994 und war ein unerwarteter Grosserfolg, der – auch dank der Erscheinung von Kate Moss im Clip zu «Delia’s Gone» – Cash auch einem jungen, dem Country bisher fremden Publikum nahe brachte. Später, als Cashs Vertrauen zu seinem neuen Produzenten wuchs, hörte er sich auch Songs aus anderen Genres an, die Rubin ihm nahelegte: von Depeche Mode, Nick Cave, Soundgarden. Und Nine Inch Nails. Auf seinem letzten zu Lebzeiten erschienen Album, «The Man Comes Around», sang Cash «Hurt» aus der Feder von Trent Reznor, als handle es sich um seine Nekrologe. Seine Stimme war bereits im Endstadium der Brüchigkeit angekommen, im Videoclip sitzt er, umgeben von Vanitas-Motiven, in einem steinernen Landhaus und lässt vor seinem zerfurchten Gesucht sein Leben Revue passieren. Nicht einmal ein Jahr nach der Veröffentlichung starb Cash in Nashville an Lungenversagen.

7. «God’s Gonna Cut You Down» (2006)

 

Die knapp zehnjährige Zusammenarbeit zwischen Cash und Rubin brachte eine Unmenge von Demos, Tonaufnahmen, alternativen Versionen und zur Seite gelegten, fertigen Songs hervor. Dass mit Cash Tod nicht das letzte Wort gesungen war, schien absehbar. Zwei Monate nach seinem Tod erschien «Unearthed», eine bereits fertig produzierte Vier-CD-Box, drei Jahre später mit «A Hundred Highways» das fünfte (von insgesamt sechs) Exemplar der «American Recordings». Beeindruckendster Moment darauf war «God’s Gonna Cut You Down», nicht nur wegen dem dunklen Klang in Stimme und Instrumentierung, sondern auch wegen dem Clip: Dort erwiesen ihm nicht nur Country-Grössen wie Sheryl Crow oder Kris Kristofferson die Ehre, sondern die gesamte Elite der Popkultur: Jay-Z und Kanye West, Chris Martin und Johnny Depp, Keith Richards und Iggy Pop, Brian Wilson und Justin Timberlake, und viele andere. Die Schar an Prominenz verdeutlichte zu seinem Abschied noch einmal, welchen Status der «Man In Black» in der Massenkultur eingenommen hat.

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