Richtig gezählt: Die britische Einmannband mit dem Zwilling im Namen hat nach 13 Jahren ihr sechstes Album veröffentlicht. Sieben Tracks zum unartigsten Wunderkind der elektronischen Musik.
Mitte August liess der selbsternannte «fartist» Aphex Twin einen steigen: Ein grüner Zeppelin schwebte über London und versetzte die Medien in Alarmbereitschaft. Nach 13 Jahren Stille kündigte das erratische Wunderkind der «Intelligenten Tanzmusik» (IDM) einen neuen Release an, Fan-Foren überschlugen sich vor Vorfreude.
Am 23. September erschien «Syro» als sechstes Aphex-Twin-Album bei Warp Records, seither rätseln Kritiker und Fans. Ist das Gehörte nun brandneu, uralt, oder schlicht zeitlos?
Alle anderen fragen sich: Wer ist der Kerl mit dem Haar im Gesicht und den Flausen im Kopf eigentlich?
1. «Analogue Bubblebath» (1991)
Richard David James wurde 1971 in Limerick, Irland geboren und wuchs in Cornwall als glückliches Kind mit viel Freilauf auf, wie er selbst sagt. Die erste EP, die der gerade einmal 20-Jährige unter dem Pseudonym AFX veröffentlichte, scheint viel von der Landluft seiner Kindheit zu atmen. Im Acid-House-Stück «Analogue Bubblebath» blubbert ein torfiger Bass, während analoge Synthesizer einen weiten Himmel darüber spannen. Und spielt da nicht eine Wasserflöte im Hintergrund?
2. «Tha» (1985-1992)
Doch James war nicht nur ein Naturbursche: Von Kindsbeinen an frickelte er, was die Schaltkreise hergaben: Angeblich entlockte er schon als 11-Jähriger einer Maschine Töne, die gar keine Klänge erzeugen konnte. Sein hypnotisch schönes Debütalbum «Selected Ambient Works 85-92» erschien 1992 unter dem Pseudonym Aphex Twin – das sich aus dem Markennamen eines amerikanischen Musikgeräteherstellers und einer Hommage an James’ früh verstorbenen Bruder zusammensetzt.
3. «Acrid Avid Jam Shred» (1995)
Auf «…I Care Because You Do» lieh James dem Albumcover erstmals sein mörderisches Grinsen – in der anfänglich auf Anonymität bedachten Elektronikmusikszene ein Unding. Doch der Musiker hatte Grosses im Sinn, und so liess er seinen Track «Icct Hedral» von Philipp Glass orchestral arrangieren. Karlheinz Stockhausen, der deutsche Pionier der elektroakustischen Musik, zeigte sich von den Ambitionen des «Techno-Mozart» wenig beeindruckt und gab ihm den väterlichen Rat, sich von allzu «post-afrikanischen Wiederholungen» zu verabschieden.
4. «Girl/Boy Song» (1996)
Mitte der 1990er war Aphex Twin längst kein Geheimtipp mehr: Er gab Interviews auf MTV, Madonna und Björk wollten mit dem Knöpfefummler kollaborieren, doch der lehnte ab. James experimentierte mit Schlafentzug, lebte in einer Londoner Bank und fuhr in der Freizeit Panzer – falls man dem notorischen Schwindler glauben darf. Die irrwitzigen Breakbeats auf dem «Richard D. James Album» stückelte er am Computer zusammen, das Resultat gefiel: Sogar die Bank of America verwendete den «Girl/Boy Song» für einen Werbeauftritt.
5. «Windowlicker» (1999)
Zu den erklärten Zielen von Aphex Twin gehörte es, die britische Musiksendung Top of the Pops zu stürmen – was ein Wunschtraum bleiben dürfte, da die Fernsehshow 2006 eingestellt wurde. Dass er den Mainstream durchschaut, verdeutlicht seine EP «Windowlicker»: In der genial perversen Parodie auf arschwackelnden R&B tanzt ein Richard D. James-Lookalike den Michael Jackson. Das skurrile Video dazu stammt vom Briten Chris Cunningham, der im politisch inkorrektesten Intro aller Zeiten zeigt, wer den Längsten hat.
6. «Avril 14th» (2001)
Für die Entstehungsgeschichte des Albums «Drukqs», das von der Kritik lauwarm begrüsst wurde, gibt es zwei Versionen: a) James versuchte, sich aus seinem Plattenvertrag mit Warp freizusprengen, oder b) James vergass einen MP3-Player mit unzähligen Tracks im Flugzeug und wollte mit dem Album einer unautorisierten Veröffentlichung zuvorkommen. «Drukqs» zerfällt in zwei Hälften: epileptischen Drill & Bass und klassisch komponierte Klavierstücke im Stil von Erik Satie. Der Track «Avril 14th» erhielt 2006 eine Audienz am Königshof von Sofia Coppolas Historiendrama «Marie Antoinette».
7. minipops 67(2014)
Womit beschäftigte sich Richard D. James in den 13 langen Jahren ohne Aphex Twin? Er spielte mit seinen alten Analogsynthesizern, stand am DJ-Pult und besorgte 26 Mixes for Cash: Das Geld hatte James dringend nötig für eine kostspielige Scheidung. Aktuell lebt er mit seinen beiden Kindern aus erster Ehe und seiner russischen Freundin in Schottland. Ihre Stimmen sind auch auf dem Album zu hören. «Syro» sei ein Schlussstrich unter seine langjährige Abstinenz, sagt James im Interview mit Pitchfork. Jetzt experimentiert er mit Drum-Robotern und Orgeln – Aphex Twin ist eben immer da, wo ihn keiner vermutet: weiter.
Bonus-Album: «Caustic Window LP» (1994)
Zu viel Zukunftsmusik? Nostalgiker dürfen sich an dieser neuen, alten LP satthören: Fünf Stück von «Caustic Window» wurden 1994 auf Vinyl gepresst, bevor das Album in der Schublade verschwand. Mittels Crowdfunding ersteigerten Fans in diesem Jahr eine wieder aufgetauchte Kopie, die auf eBay teuer verkauft wurde. Den Gewinn teilten die Crowdfunder gleichmässig unter sich, dem Musiker und einer gemeinnützigen Organisation auf. Richard D. James zeigte sich von der werbewirksamen Geste gerührt: Der Maschinist ist eben auch nur ein Mensch.